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Verzweifelte Wohnungssuche

Familie Kreische braucht eine neue Bleibe. Doch mit der Pflegestufe des Mannes wird die Suche zum Martyrium.

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© Arvid Müller

Von Nina Schirmer

Radebeul. Silke Kreische ist hausieren gegangen. In jeden Briefkasten in der Nachbarschaft hat sie Zettel gesteckt. Jeden angesprochen, den sie kennt. Unzählige Telefonate geführt. Immer in der Hoffnung, dass irgendjemand den entscheidenden Tipp hat. Seit zwei Jahren sucht die 57-Jährige für sich und ihren pflegebedürftigen Mann eine Wohnung.

Die Kreisches sitzen in ihrer Stube. Die Wohnung in Friedewald ist gemütlich. Hier haben sie sich eingerichtet. Hier wollten sie ihre gemeinsamen Jahre miteinander verbringen. Im Grünen. 2006 ist das Ehepaar ins Erdgeschoss des Zweifamilienhauses gezogen. „Wir hatten ein gutes Verhältnis zu den Vermietern“, erzählt Silke Kreische. Doch 2015 trennen sich die Besitzer und verkaufen das Haus. Die neuen Eigentümer sind anders. Sie wollen keine Mieter, möchten die Wohnung der Kreisches für ihre eigene Familie nutzen.

Bis dato wäre ein Umzug zwar nicht schön aber immer noch gut machbar gewesen. Doch dann kommt der Tag im Oktober 2015, der das Leben des Ehepaares schlagartig verändert. „Von Sonntag auf Montag war alles anders“, erinnert sich Silke Kreische. Ihr Mann Bernd, der bisher als Taxifahrer in Radebeul gearbeitet hat, erleidet einen Schlaganfall. Wochenlang liegt er im Koma. Als er aufwacht, kann er nicht gehen, nicht sprechen. Nicht einmal richtig selbstständig atmen. Seine Frau besucht ihn jeden Tag nach der Arbeit in der Klinik, erst in Dresden, dann in Pulsnitz. Im Februar kommt er nach Hause.

An einen Umzug ist jetzt nicht zu denken. Silke Kreische muss alles organisieren: Pflegedienst und Therapeuten für ihren Mann und einen Ort, wo er tagsüber betreut wird. Denn sie kann ihren Job nicht aufgeben. Er ist nun die einzige Einnahmequelle der Eheleute.

Um die Wohnungskündigung hinauszuzögern, nimmt sie sich einen Anwalt. Das Ganze landet vor Gericht. Doch der Richter entscheidet zugunsten der Hausbesitzer, erzählt die zierliche Frau. Anfang des Jahres hält sie die Räumungsklage in der Hand. Silke Kreische hat zwischenzeitlich Angst, mit ihrem schwer kranken Mann auf der Straße zu landen, wenn sie keine passende Wohnung findet. Der Vorschlag des Richters, doch nach Dresden zu ziehen, klingt für sie wie der blanke Hohn.

Sie könne nicht weiter wegziehen, sagt sie. Das lässt ihr Tagesablauf nicht zu. Alles ist minutiös geplant. Um 6.10 Uhr muss Silke Kreische ihren Mann wecken, ihm die Thrombosestrümpfe anziehen und ihn rasieren. Zehn Minuten später kommt der Pflegedienst. Um 7 wird er mit einem Bus abgeholt, der ihn in die Tagespflege nach Radebeul-Ost bringt. Seiner Frau bleiben dann nur noch fünf Minuten, bis sie selbst auf Arbeit muss. 7.15 Uhr beginnt ihr Dienst an der Produktionsschule in Moritzburg.

Nach der Arbeit muss sie sich wieder beeilen. Denn um 16.30 Uhr schließt die Tagespflege. Zu Hause steht dann noch der Haushalt auf dem Programm. Essen vorbereiten, putzen und später ihren Mann für die Nacht fertigmachen. „Vor 21 Uhr bin ich nie fertig“, sagt Silke Kreische. Und zwischendurch immer wieder die Suche nach einer Wohnung.

Die muss auf jeden Fall behindertengerecht sein, damit Bernd Kreische dort gut mit seinem Rollstuhl klarkommt. Nötig sind auch zwei Schlafzimmer. Denn der 63-Jährige macht Pfeifgeräusche beim Atmen, seit Ärzte ihm eine Trachealkanüle gesetzt hatten und dabei im Hals ein Knorpel gesplittert ist. „Ich brauche ein eigenes Schlafzimmer. Sonst mache ich kein Auge zu“, sagt seine Frau. Mindestens 70 Quadratmeter wünscht sich die Familie. Und im Bad muss es eine Wanne und eine Dusche geben. Denn in der Badewanne steht der Wannenlifter des Mannes. Den kann seine Frau, selbst keine 1,60 Meter groß, nicht alleine herausheben.

Die neue Wohnung soll in der Region um Friedewald, Reichenberg, Moritzburg oder Lindenau sein. Maximal Kötzschenbroda wäre von der Entfernung noch eine Option. Denn Silke Kreische möchte ihren Mann nicht aus dem Umfeld der Tagespflege reißen, in das er sich so gut eingelebt hat. Auch mit den Therapeuten dort sind sie sehr zufrieden.

Gegen die Räumungsklage ist ihr Anwalt in Berufung gegangen. Sonst wären sie schon im Juni aus ihrer Wohnung geflogen. Silke Kreische wünscht sich trotzdem, dass sie bis dahin etwas findet. Denn ihr Mann soll im Sommer in die Reha. Sie würde ihn gerne begleiten und auch selbst endlich wieder etwas entspannen. Mal wieder eine Runde spazieren gehen oder einfach eine Stunde in der Sonne sitzen – danach sehnt sie sich.

„Man funktioniert und man entwickelt ungeahnte Kräfte, wenn es um einen geliebten Menschen geht“, sagt sie. Trotzdem ist auch ihre Kraft inzwischen am Ende.

Wer ein Wohnungsangebot oder Tipps hat, kann sich an schirmer.nina@ddv-mediengruppe. de wenden. Die Redaktion stellt den Kontakt zur Familie her.