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Unter’m Hakenkreuz auf den Berggipfel

Selbst zu NS-Zeiten zog es die Menschen auf die Berge. Ihre Erlebnisse hat Joachim Schindler in einer Chronik gesammelt.

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© Archivfotos: Joachim Schindler

Von Nadine Franke

Sächsische Schweiz. Soll ein Braunhemd getragen werden?“ Eine Frage, die sich die Kinder der Hitlerjugend stellten, als es sie in die Sächsische Schweiz zum Wandern zog. An ihre Seite bekamen sie ältere, erfahrene Bergsteiger gestellt. Sie sollten als Bergführer dienen – dabei waren sie dafür bekannt, wenig mit den Nazis zu tun zu haben.

1934 erklomm eine Bergsteigergruppe die„Rahmhanke“ unterhalb der Bastei.
1934 erklomm eine Bergsteigergruppe die„Rahmhanke“ unterhalb der Bastei. © Archivfotos: Joachim Schindler
Joachim Schindler „Chronik, Band III, 1933 – 1945“, 376 Seiten, 23 Euro, erhältlich in der SBB Geschäftsstelle, „Bergsport Arnold“ Bad Schandau/Hohnstein.
Joachim Schindler „Chronik, Band III, 1933 – 1945“, 376 Seiten, 23 Euro, erhältlich in der SBB Geschäftsstelle, „Bergsport Arnold“ Bad Schandau/Hohnstein.

Und doch war der Einfluss des NS-Regimes bei den Bergfreunden und in ihren Vereinen zu spüren. Aber Hakenkreuz und Stechschritt waren nicht alles. „Am Fels zählt die Leistungen und das Verhalten der mit dem Seil verbundenen Bergfreunde“, sagt Joachim Schindler. Der Berghistoriker beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Bergsteigen in der Sächsischen Schweiz. Am Mittwochabend hat er im Landratsamt auf Schloss Sonnenstein in Pirna sein neustes Buch vorgestellt: „Chronik zur Geschichte von Wandern und Bergsteigen in der Sächsischen Schweiz“, Teil III. Es umfasst die Jahre 1933-1945.

Etwa 50 Besucher lauschten dem Vortrag von Joachim Schindler und dem Bergfotografen Frank Richter, der für die Gestaltung des 376 Seiten umfassenden Text- und Bildbands verantwortlich ist. Die beiden gaben Einblicke in ihre Arbeit. Als Erstes zeigten sie ein Foto von einem Aktenberg, der in Schindlers Archiv lag. „Zu Beginn bin ich erschrocken und fragte mich, wie wir das bewältigen sollen“, erinnert sich Frank Richter. Sogar Schindler gibt zu, dass der Arbeitsprozess ihn viel Kraft kostete. Auch die Gesundheit spielte nicht immer mit.

Er verbrachte viel Zeit in Archiven, durchstöberte Zeitungen und Tagebücher, traf Zeitzeugen und Nachkommen, sammelte Fotos und führte selbst über Jahrzehnte hinweg ein ausführliches Register über Bergsteiger und ihre Kletterwege. Schindler hat bei seiner Forschung den Vorsatz, keine Gerüchte, sondern nur belegte Geschehnisse in die Chronik aufzunehmen – umso umfangreicher wurde die Recherche. „Manchmal saß ich vor dem Computer und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Berge.“ Immerhin ist er seit 1963 Bergsteiger. Da fehlt vor dem Bildschirm der Berg. Aber er lernte viel über die Gleichschaltung und die Widersprüche in der NS-Zeit. So wurde auch eine Jüdin mit zum Wandern genommen. Oder es gibt das Foto eines Mannes, der zufrieden auf einem Gipfel sitzt, und auf derselben Seite wird ein Erschießungsbefehl gezeigt – unterzeichnet von eben jenem Bergsteiger.

Im September 2017 veröffentlichte Schindler das Buch dank der Unterstützung des Fördervereins Nationalparkfreunde Sächsische Schweiz. Die Reaktionen fielen sehr positiv aus, wie auch die Zuhörer im Schloss zeigen. „Es ist faszinierend, wie Sie die NS-Zeit mit Wandern und dem normalen Leben verknüpfen“, sagt ein Mann in der ersten Reihe. Aus dem hinteren Teil des Saals ruft eine Frau, dass er das Bundesverdienstkreuz erhalten solle. Schindler lacht. Ob noch ein vierter Band folgt, ist unklar. Dann wäre die DDR dran. Stoff genug hat er. Und die eigene Erfahrung.