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Topf secret war zu geheim

Ein Dresdner Koch hatte als Gründer Großes vor, doch sein Plan ging nicht auf. Jetzt ist er pleite – gibt aber nicht auf.

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© André Wirsig

Von Michael Rothe

Kochen wollte er für Gourmets ohne Zeit, ihnen hochwertige, teils vorgekochte Speisen nach Hause bringen. Vier Jahre später kocht Gregor Merker: für sich in seiner Dreiraumwohnung. Und er liefert Essen aus: als Pizzabote. Sein kleines Edelrestaurant am Rand der Dresdner City ist dicht – und Merker pleite.

Gregor Merker 2013.
Gregor Merker 2013. © kairospress

2013 hatte die Sächsische Zeitung den damals arbeitslosen Koch sechs Monate auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet, in Töpfe und Businessplan geschaut. Bereitwillig hatte der Jungunternehmer in spe berichtet: von großen Problemen und kleinen Erfolgen. Im Ergebnis entstand ein zwölfteiliges Gründertagebuch, das der SZ beim bundesweiten „Medienpreis Mittelstand“ den 3. Platz einbrachte.

Jetzt sitzt der heute 33-Jährige mit grauer Schiebermütze wieder in der Redaktion, macht mit dem Smartphone Fotos von der Urkunde an der Wand. Soll das alles gewesen sein? Vor einer Woche wurde das Insolvenzverfahren gegen seine Firma Topf Secret eröffnet. Merker ist erleichtert: „So erhalten wenigstens meine Köche ihren drei Monate ausstehenden Lohn“, sagt er. Andere Gläubiger werden wohl leer ausgehen.

Unterm Strich bekommt der Verwalter für das, was er zu Geld machen kann, weit weniger, als Merker einst investiert hat. „Obwohl, wenn er noch wartet, wird der Wein wertvoller“, scherzt er. Galgenhumor. Eigentlich ist ihm nicht nach Lachen zumute. „Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen“, sagt der gescheiterte Firmenchef. „Gerade weil die Geldgeber an mich geglaubt haben. Und ich kämpfe noch.“

Gregor Merker gehört zu einer immer kleiner werdenden Spezies in Sachsen. 2016 wurden dort nur noch 14 688 neu gegründete Unternehmen gezählt. Zwar sei deren Zahl weiter gesunken, in den letzten Jahren aber deutlich verlangsamt, heißt es vom Wirtschaftsministerium in Dresden. „Der deutschlandweite Trend ist nicht zuletzt auf die immer bessere Lage am Arbeitsmarkt zurückzuführen“, kein Anlass zur Sorge und im Rückgang von „Notgründungen“ aus der Arbeitslosigkeit begründet. Ein größerer Anteil der neuen Unternehmen sei dauerhaft erfolgreich.

Zu jenen sollte auch Topf Secret gehören. Chef Merker hatte schon vor dem Gründerseminar einiges erlebt: Mittlere Reife, abgebrochene Schneiderlehre, Lagerjobs, Kochausbildung, Fach-Abi mit 2,0, diverse Küchen: vom Fünf-Sterne-Flusskreuzfahrtschiff bis zum Grand Hotel, Arbeitslosigkeit. Dann der mutige Schritt: Ein Lieferservice für den heimischen Herd sollte es werden, ein Spagat zwischen Bote und Sterne-Küche. Rezept: „Die Leute bestellen am Vorabend, ich kaufe je Personenzahl frisch ein, bereite ohne Zusatzstoffe vor, was geht, und gebe eine Anleitung zur Fertigstellung.“ Die Auslieferung erfolgt roh, teilzubereitet oder fast fertig. Gourmetqualität für 15 Minuten Restaufwand. Von vier Filialen hatte Merker einst geträumt und von bis zu 5 000 Menüs pro Tag.

Zwischenzeitlich konnte er sich vor Arbeit kaum retten, wenn auch anders als gedacht. Nur Restaurant und Catering, im Konzept eigentlich nachrangig, hatten ihn über Wasser gehalten. Das mediterran angehauchte Restaurant wurde zum Geheimtipp. Auch Amts- und Würdenträger aus aller Welt waren seine Gäste. Ein 3-Gänge-Menü gab’s für gut 30 Euro. Von den zwölf Stühlen waren schon mal 13 besetzt – inklusive Büroschemel. Stress pur, zumal zuletzt als Einzelkämpfer. Der Chef konnte sich seine drei Köche nicht mehr leisten, musste ihnen kündigen. Dazu ein jahrelanger Namensstreit mit einer Limited, zwei Einbrüche und das Gefeilsche mancher Besteller um ein paar Euro. „Wer sich selbstständig macht, braucht dauerhaft starkes Selbstbewusstsein“, sagt Merker.

Das hat der verkannte Sternekoch auf Rädern mit Hang zum Perfektionisten – aber auch zu Blauäugigkeit und Chaos. Im Tagebuch von einst steht: „Immerhin kann ich sagen: Ich habe mich aufgerafft und Neues gewagt.“ Er sei durch die Gründung erwachsen geworden. „In der Lehre hatten sie mich mal in den Keller geschickt, die Kümmelspaltmaschine zu holen. Oder ins Kopiergeschäft für die Farbe zum Karpfen blau.“ Das passiere ihm nun nicht mehr.

In der vergangenen Woche war er mit dem Fernbus in Wien, schlug sich zwei Nächte und einen Tag um die Ohren – in der Hoffnung, eine Bank würde ihm den nötigen Kredit über 250 000 Euro zur Reinvestition geben. Doch es war das immergleiche Spiel aus wechselnden Ansprechpartnern, Missverständnissen, Hinhalten.

Dabei erscheint das Konzept mit drei Vertriebswegen genial: Das überlappende Angebot vermeidet Warenverderb und garantiert optimale Nutzung der Küchenkapazität. Weil auf Homecooking nur sieben Prozent Mehrwertsteuer entfallen, ergibt sich bei gleichem Bruttopreis gegenüber dem Restaurant pro Portion ein Nettovorteil von elf Prozent. Das Kalkül ging nicht auf, trotz der 60 Prozent Umsatzplus in Jahresfrist. „Der Lieferservice klemmte – nicht, weil der Plan nichts taugte, sondern die Website“, ist Merker überzeugt. „Die Idee ist geil und geht nicht insolvent.“ In Dresden gebe es genügend potenzielle Kundschaft mit dickem Portemonnaie.

Das sieht auch Martin Urwalek so – und nennt 500 ansässige Steuerberater als Indiz. Der Dresdner Unternehmensberater hatte ihn vom Businessplan bis zur Finanzierung betreut – auch als Motivator. Merker hätte „die Ursprungsidee konsequenter verfolgen sollen, statt sich zu verzetteln“, so seine Einschätzung. Topf Secret sei sein erster Totalausfall in dem Metier.

Sein Schützling sieht andere Fehler: „Ich habe an richtigen Stellen falsch kommuniziert und mögliche Kooperationspartner nicht überzeugt. Außerdem hätte ich früher die Reißleine ziehen und meinen drei Köchen eher kündigen müssen“, sagt Merker. Nachdenken sei gut, Grübeln Mist. „Deshalb ist Pizza-Ausfahren okay, da kommst du nicht ins Grübeln.“ Neulich habe er 40 Touren in einer Schicht gehabt.

Noch bis Sonntag läuft deutschlandweit eine Gründerwoche mit vielfältigen Veranstaltungen. „Gregor Merker wird im Februar bei einer Flip-the-Flop-Night über sein Scheitern erzählen“, sagt Existenzgründercoach Sören Frost vom Gründernest Leipzig. Er ist Initiator jener Reihe um lehrreiche Niederlagen. Der Topf-Secret-Mann hat schon jetzt einen Rat parat: „Wer gründen will, braucht eine Idee, die nützlich ist, die Sinn macht, die Werte schafft und Leuten hilft.“ Dann müsse man dranbleiben und immer weiter kämpfen, reflektieren, feinjustieren – und es besser machen. „Man bewegt nichts, wenn man sich selbst nicht bewegt“, zitiert er aus einem Song der Münchner Hip-Hop-Band Blumentopf.

„Ende vom Anfang“ hieß einst der letzte Teil der SZ-Gründer-Serie. Doch es war der Anfang vom Ende. Oder doch nicht?