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Tausende pendeln nach Niesky und Görlitz

Viele arbeiten nicht an dem Ort, wo sie wohnen. Das hat Folge: Volle Straßen, Kitas und Ärger bei Umleitungen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer und Thomas Staudt

Für Annett Gernhardt ist Pendeln Alltag. Seit acht Jahren fährt die Marketingleiterin der Landskron-Brauerei täglich von Cottbus nach Görlitz, früher ist sie auch mal nach Berlin gependelt. Auch Andreé Gauernack pendelt seit acht Jahren. Der Nieskyer fährt werktags an das Berufliche Schulzentrum nach Zittau, wo er das Fach Kfz-Technik lehrt. Er sitzt gern im Auto, die etwas über 60 Kilometer machen ihm nichts aus, wenn er rechtzeitig losfährt und so keinen Stress hat. Das Gegenteil kommt im Grunde nie vor, meint er.

Annett Gernhardt ist nur eine von insgesamt 11 202 Beschäftigten, die in einem anderen Kreis wohnen, zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aber in den Landkreis Görlitz kommen. Sie sind die sogenannten Einpendler. Das geht aus dem neuen Pendleratlas der Bundesagentur für Arbeit hervor. Andererseits pendeln demnach 18 832 Menschen aus dem Landkreis Görlitz zur Arbeit in einen anderen Kreis. Sie sind die Auspendler. Unter dem Strich fahren mehr Leute weg, als herkommen.

Wie Landrat Bernd Lange, der von Rothenburg nach Görlitz zur Arbeit muss, gehört Andreé Gauernack zu einer anderen Pendlerklientel. Beide pendeln innerhalb des Kreises zwischen Wohn- und Arbeitsort. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Kamenz (Stichtag: 30. Juni 2016) fahren insgesamt 2 113 Nieskyer in eine andere Kommune zur Arbeit. Dem stehen 2 167 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer gegenüber, die nach Niesky einpendeln. Sie kommen auch aus anderen Kreisen oder sogar aus dem Ausland. So pendeln 13 Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern zur Arbeit nach Niesky (Auspendler: 124), 30 aus Dresden (Auspendler: 108) und zwölf aus dem Ausland. Wie viele Nieskyer im Ausland arbeiten und gleichzeitig in der Stadt wohnen, darüber liegen in Kamenz keine Angaben vor.

In Niesky sind 3 627 Menschen beschäftigt, 3 571 Nieskyer woanders. Einige Zahlen verstehen sich von selbst, andere machen stutzig. Aus Weißwasser etwa kommen „nur“ 37 Arbeitnehmer nach Niesky, wohingegen 93 von hier zur Arbeit in die Glas- und Sportstadt fahren. Zwischen Niesky und insgesamt 15 Orten im Landkreis gibt es bei Pendlern überhaupt keine Bewegung, darunter Großschönau, Oppach oder Groß Düben.

Interessant ist die Kamenzer Statistik auch im Hinblick auf Görlitz. Hier arbeiten 21 916 Menschen, darunter 11 763 Nichtpendler und 10 153 Einpendler. Von denen kommt ein Großteil (7 445) aus dem Landkreis Görlitz, die anderen 2 708 von woanders. Andererseits pendeln 5 866 Görlitzer zur Arbeit nach außerhalb, darunter 2 681 innerhalb des Landkreises und 3 185 woandershin. Laut den Zahlen der Stadtverwaltung Görlitz, ist sowohl die Zahl der Ein- als auch der Auspendler von 2012 bis 2016 Jahr für Jahr gestiegen.

Doch was bedeutet das für den Landkreis, für Görlitz und Niesky? Wie gehen sie mit den Einpendlern um, von denen viele Parkplätze und manche sogar eine Kinderbetreuung benötigen? Der Landkreis fühlt sich nach Auskunft von Sprecherin Gerlind Walter „in der Sache nicht zuständig.“ Zentrale Projekte zu diesem Thema habe der Landkreis auch nicht – bis auf ein paar Pendlerparkplätze.

In Niesky hat man sich mit der Pendlerproblematik bei den Kita-Plätzen arrangiert: Kinder aus anderen Gemeinden, deren Eltern täglich nach Niesky zur Arbeit fahren, haben einen Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz. Den Eltern steht frei, einen Kitaplatz auch in einem anderen Ort als der Heimatgemeinde zu beantragen. In den Kitas der Stadt werden 90 Kinder aus anderen Gemeinden betreut, nur 50 Nieskyer Kinder gehen anderswo zur Kita oder in Krippe und Hort. Große Schwankungen seien dabei in den letzten Jahren nicht zu verzeichnen gewesen, so Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann.

Für die „Fremdbetreuung“ werden Ausgleichsbeiträge fällig. Bei diesen sogenannten Kommunalanteilen nimmt Niesky mehr ein als die Stadt ausgeben muss. Aber sie habe durch die höheren Betreuungszahlen auch einen höheren Aufwand, relativiert Beate Hoffmann. Im Hinblick auf den Straßenunterhalt sei der Pendelverkehr ohnehin nicht zu beziffern, sagt sie. Von wem die Straßen abgenutzt werden, ob von den Nieskyern, Aus- und Einpendlern oder vom Durchgangsverkehr ist keine haushalterische Größe.

„In Görlitz haben wir einen hohen Bedarf für Kinder der Stadt Görlitz selbst, sodass geprüft wird, ob überhaupt Plätze bereitgestellt werden können“, sagt demgegenüber die Görlitzer Amtsleiterin Petra Zimmermann. Mit Stand vom 30. Juni wurden in den Görlitzer Kindereinrichtungen rund 120 Kinder aus anderen Gemeinden betreut, etwa 50 Prozent davon in Horten. Weitere Angaben gibt es zu der Problematik weder vom Kreis noch von der Stadt Görlitz.

Annett Gernhardt hat mit dem Pendeln kein großes Problem, muss sich in Görlitz nicht um die Kinderbetreuung kümmern: Ihr Sohn geht in Cottbus zur Schule, wo auch ihre Eltern leben. Sie können ihn abholen. Ähnlich ergeht es Andreé Gauernack. Sein Nachwuchs ist raus aus den Kinderschuhen.