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Streit zwischen Eltern nimmt zu

Um Krach bei der Erziehung kümmert sich die Familienberatung Weißwasser. In diesem Jahr wird sie zwanzig.

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© Frank Leonhardt/dpa

Von Thomas Staudt

Weißwasser. Vor Bettina Rießner sitzen er und sie, beide Elternteile, Vater und Mutter. Die beiden leben in Scheidung, eines der gemeinsamen Kinder leidet an einer chronischen Erkrankung. Vor kurzem ist der Opa gestorben. Wenn überhaupt einer in der Familie einen Job hat, reicht das Geld nicht. Der Fall ist konstruiert, Ähnlichkeiten mit real existierenden Familien sind nicht ausgeschlossen, aber rein zufällig, sagt Bettina Rießner. Sie ist die Leiterin der Erziehungs- und Familienberatungsstelle Weißwasser. Das Beispiel mache deutlich, was sich im Vergleich zu früher verändert hat, so Rießner. Die studierte Dipl.-Kommunikationspsychologin weiß, wovon sie spricht. Sie führt seit 2003 Beratungen in Weißwasser durch, seit zehn Jahren leitet sie die Stelle, die 2017 auf zwanzig Jahre kontinuierliche Beratungstätigkeit zurückblickt. „Früher kamen Eltern mit bestimmten Problemen. Heute ist die Situation meist viel komplexer, was bedeutet, dass wir allein wenig bewirken können.“ Die anspruchsvoller werdenden Fälle erfordern einen höheren Zeitaufwand, bei mehr oder weniger gleichbleibendem Personal.

Bettina Rießner (53) ist Dipl.-Kommunikationspsychologin. Die Nieskyerin leitet seit 2007 die Familienberatungsstelle Weißwasser.
Bettina Rießner (53) ist Dipl.-Kommunikationspsychologin. Die Nieskyerin leitet seit 2007 die Familienberatungsstelle Weißwasser. © Joachim Rehle

Zum Team gehören drei Kolleginnen. Außerdem gibt es eine Außenstelle in Niesky, wo drei weitere Mitarbeiterinnen für Beratungen zur Verfügung stehen. Träger beider Einrichtungen ist die Diakonie Görlitz-Hoyerswerda. Im vergangenen Jahr zählte die Beratungsstelle 5325 Kontakte. Die Hausnummer spiegelt den Aufwand, nicht die Zahl der Ratsuchenden. Bis zu 60 Minuten Beratungsaufwand werden als ein Kontakt gezählt, eine Stunde entsprechend als zwei Kontakte. 2016 bearbeitete die Beratungsstelle insgesamt 519 Fälle. Vor zehn Jahren waren es kaum weniger, aber dafür einfachere Fälle.

„Wir arbeiten heute viel vernetzter als früher“, erzählt die Kommunikationspsychologin. Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist eng und hat sich über Jahre eingespielt. Das ist wichtig, um den Ratsuchenden die bestmögliche Hilfe geben zu können. Aber auch viele andere Behörden, Hilfsangebote und Beratungsstellen sind eingebunden.

Vielleicht die häufigsten Fälle sind Scheidungsberatungen. Dabei werden in der Regel zwei Szenarien unterschieden. Im ersten kommen die Eltern von selbst. Sie machen sich Gedanken, wie sie mit ihren Kindern darüber reden sollen oder wo der Nachwuchs künftig leben wird. Im zweiten Fall wird die Beratung vom Familiengericht angeordnet. Eine Alternative haben diese Paare nicht. Dabei handelt es sich um sogenannte „hochstrittige Eltern“, die kaum kompromissbereit und sich komplett uneins sind. Ihre Zahl hat im Laufe der Jahre soweit zugenommen, dass 2009 eine gesetzliche Beratungspflicht eingeführt wurde. Solche Beratungen werden grundsätzlich zu zweit durchgeführt, zwei Eltern, zwei Beraterinnen. Die Fallaufnahme beansprucht in der Regel bis zu drei Sitzungen. Insgesamt zehn bei einer Dauer von bis zu anderthalb Jahren sind nötig, um eine Lösung herbeizuführen.

Aktuell läuft neben den täglichen Terminen eine wöchentliche Scheidungskindergruppe. Die Kinder lernen über Gespräche, Filme oder Rollenspiele mit der Kamera den ganz neuen Umgang mit den Eltern. In aller Regel ist es gut für die Kinder, sich von den Eltern nicht instrumentalisieren zu lassen. „Sich gegen die eigenen Eltern zu stellen, das ist für Kinder eine ganz schöne Herausforderung“, weiß Bettina Rießner aus Erfahrung. Die Solidarität mit anderen Kindern, denen es ebenso oder ähnlich geht, tut den Teilnehmern der Gruppe gut.

Was allen Ratsuchenden hilft, ist die jahrelange Erfahrung des multiprofessionellen Teams – Sozialarbeiterinnen, Sozialtherapeutinnen und Teamassistentinnen. Alle wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können, alltäglicher Stress hin oder her. Selbstverständlich gibt es für alle turnusmäßige Supervisionen, also professionelle Beratungen für Mitarbeiter.

Bettina Rießner nutzte neulich gemeinsam mit Mitarbeiterin Diana Zielske die Chance, die Familienberatung dem Stadtrat vorzustellen. „Viele wissen gar nicht, dass es uns gibt.“ Zudem kann ein wenig Eigenwerbung nicht schaden. „Wir könnten zwei Kräfte mehr gut gebrauchen.“