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Straßenkampf um Francos Erbe

Reste der Diktatur leben in den Namen spanischer Straßen und Plätze. Madrid will deshalb 27 Straßen umbenennen.

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© Imago/CordonPress

Von Martin Dahms, SZ-Korrespondent in Madrid

Guillermo Rocafort weiß, dass dieser Vergleich unpassend ist, zieht ihn aber trotzdem heran. „Es ist wie mit der Kirche Christi. Es kann keine Kirche ohne Christus geben, und es kann keine Legion ohne Millán Astray geben.“ Rocafort absolvierte einst seinen Wehrdienst bei der Legion, einer Eliteeinheit der spanischen Armee, gegründet 1920 von José Millán Astray. Der 47-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, „die Ehre unseres Gründers zu verteidigen“. Die sieht er in Gefahr. Eine Straße in Madrid, die nach dem General Millán Astray benannt ist, soll ihren Namen verlieren, weil es eine Stadtregierung der „gewalttätigen extremen Linken“ so will. Dagegen kämpft Rocafort, Sekretär der „Patriotischen Plattform Millán Astray“.

Es scheint, als sei der Spanische Bürgerkrieg noch nicht zu Ende gefochten. 1936 erhoben sich rechte Militärs gegen die damalige Republik, drei Jahre später gewannen sie den Krieg. Einer der Anführer der Revolte, der General Francisco Franco, regierte Spanien bis zu seinem Tod 1975. Das Land wandelte sich zum demokratischen Rechtsstaat, doch die Erinnerung an Diktatur und Bürgerkrieg sind bis heute lebendig. Und Spanien ist immer noch damit beschäftigt, die Spuren des Franquismus im Alltag zu tilgen. Die vor knapp zwei Jahren gewählte linke Stadtregierung Madrids unterzieht gerade die Straßennamen einer Revision. Eine Kommission hat die Umbenennung von 27 Straßen vorgeschlagen, die Personen oder Ereignissen der Franco-Zeit gewidmet sind.

Viele der Namen, die verschwinden sollen, sagen den meisten Spaniern heute nichts mehr. Das sind irgendwelche Generäle, von denen sie noch nie gehört haben. Andere Namen sind eindeutiger. Da gibt es noch eine „Plaza del Caudillo“, was der Ehrenname Francos war. Ein anderer Platz heißt „Arriba España“ nach dem Schlachtruf des Regimes. Der berühmteste Name, der nach dem Vorschlag der Madrider Kommission getilgt werden soll, ist der des Generals Millán Astray.

Millán Astray ist keiner der Generäle, die gegen die Republik zu putschen versuchten und damit den Bürgerkrieg auslösten. Dafür war der damals 57-Jährige zu alt, und außerdem war er mehrfach behindert: Ihm fehlten ein Auge und ein Arm, Folge von Kriegsverletzungen, die er sich in den 1920er-Jahren in Marokko zugezogen hatte. Aber Millán Astray war ein glühender Bewunderer Francos, der unter ihm in der Legion gewirkt hatte. Franco machte ihn zu einem seiner Propagandisten. In dieser Rolle wurde er für die Nachwelt berühmt. Es ist vor allem eine Szene aus seinem Leben, die heute jedem geschichtsbewussten Spanier in den Sinn kommt, wenn er den Namen Millán Astray hört: die Konfrontation mit Miguel de Unamuno in der Universität von Salamanca am 12. Oktober 1936.

Unamuno war ein konservativer Intellektueller und Schriftsteller, der sich auf die Seite der aufständischen Militärs geschlagen hatte, aber unter ihnen ein Fremdkörper blieb. Als Rektor der Universität von Salamanca präsidierte er an jenem 12. Oktober einen Festakt zum spanischen Nationalfeiertag und lieferte sich ein Wortgefecht mit dem anwesenden Millán Astray, der den Schlachtruf der Legion in den Saal gebrüllt hatte: „Viva la muerte!“ – Es lebe der Tod! In bewegenden Worten wandte sich Unamumo gegen die Verherrlichung des Todes und gegen Millán Astray selbst, dem er vorwarf, Spanien zu einem Land von „Versehrten“, wie er selbst einer war, machen zu wollen. Und er sprach den in Spanien berühmt gewordenen Satz: „Venceréis, pero no convenceréis“ – Ihr werdet siegen, aber nicht überzeugen.

Von diesem Festakt in Salamanca gibt es keine Ton- oder Bildaufnahmen. Was an jenem Tag geschah, rekonstruierten später die Anwesenden, weswegen die Getreuen von Millán Astray heute einige Details der Veranstaltung infrage stellen. „Tod der Intelligenz!“, soll der General damals auch gebrüllt haben, was die Madrider Kommission zu dem Vorschlag veranlasste, die bisher nach Millán Astray benannte Straße in „Straße der Intelligenz“ umzubenennen.

Guillermo Rocafort hält das für einen schlechten Witz und für einen zusätzlichen Beleg, dass die Stadtregierung „ein komplettes Desaster“ sei. Er und seine Mitstreiter seien dagegen „überzeugte Demokraten“. Dass Millán Astray in der Legion Francos Lehrmeister der brutalen Kriegsführung gewesen sei, bestreitet Rocafort.

Vor ein paar Tagen hat die Straßennamen-Kommission ihren „Intelligenz“-Vorschlag zurückgezogen. Millán Astray soll aber trotzdem aus Madrid verschwinden. Sein Name soll durch den einer engagierten Lehrerin, Justa Freire, ersetzt werden. Rocafort sieht hinter diesem Vorschlag nichts als „Hass und Sektierertum“.