Merken

„Solange ich gebraucht werde, mache ich das“

Arbeiten musste Carlo schon als Kind, das macht er bis heute. Der älteste Pizzabäcker von Görlitz wird am Mittwoch 70 Jahre alt.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Susanne Sodan

Görlitz. Carlo ist immer da. Wenn die gleichnamige Pizzeria in der Bismarckstraße geöffnet hat, dann ist dort auch Carlo irgendwo zu finden. Eigentlich hat er drei Mitarbeiter in seiner Pizzeria. Und außerdem wird er am Mittwoch 70 Jahre alt. Und trotzdem backt er jeden Tag Pizza. „Ich fühle mich gesund. Ich fühle mich wie 20“, ruft Carlo hinter seiner Theke. Warum soll er nicht weiter arbeiten? Ein zierlicher Mann ist er, mit Glatze, oft mit weißem Polo-Shirt. Was er immer dabei hat, ist der Schalk in den Augen. Selbst wenn er nicht lacht, das Schmunzeln in den Augen ist immer da. Er kann dieses Jahr noch ein zweites Jubiläum feiern. Seit 50 Jahren lebt er in Deutschland, vor 17 Jahren kam er nach Görlitz. Seitdem haben Tausende Hungrige seiner „Pizzeria Carlo“ einen Besuch abgestattet. Oder angerufen, um Essen nach Hause zu bestellen. Jeder, der je da war, kennt ihn unter dem Namen Carlo. Selbst seine Mitarbeiter sprechen ihn so an.

Dabei heißt Carlo eigentlich gar nicht Carlo. Er heißt Domenico Carlucci. Geboren wurde er in den Abruzzen, eine Region etwa in der Mitte des italienischen Stiefels, im Osten ist die Adria-Küste. Aufgewachsen ist er in ländlicher Gegend, die Eltern hatten einen Hof, erzählt Carlo. Er war der Älteste von vier Geschwistern. Und habe zeitig das Arbeiten gelernt. „Mit 12, 13 Jahren habe ich schon sehr viel gearbeitet“, auf dem elterlichen Hof. Der Vater hatte aus dem Zweiten Weltkrieg einen Lungenschaden davongetragen. Er war als Bäcker fürs Militär in Afrika eingesetzt. Die Lungenerkrankung kam womöglich vom Mehlstaub. Die Frau und die Kinder mussten ran. „Es war eine Katastrophe“, sagt Carlo. Und auf der anderen Seite, sagt er, sei es schön gewesen, das Aufwachsen und das Leben mit seinen Geschwistern.

Fragt man Carlo heute, woher er kommt, antwortet er im Spaß manchmal mit „Nürnberg“. Manchmal sagt er auch „Rimini“. Beides hat Wahrheit. In Rimini hatte Carlo eine Zeit gelebt, bevor er mit 20 Jahren nach Nürnberg ging. „Ich wollte ein eigenes Geschäft aufmachen“, erzählt er. Heute sei in Italien vieles freier, vieles anders. Damals sei es ihm dort aber jedenfalls nicht möglich gewesen, sich selbstständig zu machen. Ein Bekannter hatte es damals vorgemacht, war in die BRD gegangen und hatte ein Restaurant eröffnet. „So habe ich es dann auch gemacht“, erzählt Carlo. Die Familie sei nicht gerade begeistert gewesen. Aber Carlo war 20 und konnte gehen, wohin es ihm beliebte. „Es wurde nicht viel darüber gesprochen.“ Drei Jahre arbeitete Carlo zunächst in unterschiedlichen Jobs, bis genug Geld zur Seite gelegt war, um 1971 selber etwas auf die Beine zu stellen, eine kleine Gastronomie, Eis gab’s auch. Dabei war Carlo weder gelernte Koch, Gastronom, Bäcker oder Gelatiere. Die ersten Grundlagen lernte er von dem Bekannten, der ebenfalls in Nürnberg lebte, dann entwickelten sie die angebotenen Gerichte, Pizzen und das Eis weiter. „Und so wurden wir besser“, erzählt Carlo. Von Kunden und Kollegen lernte er die deutsche Sprache. „Ich habe durch die Arbeit Deutsch gelernt.“ In den 70er Jahren heiratete Carlo, seine beiden Kinder leben noch heute in der Nähe von Nürnberg.

Warum Carlo es nun vor 17 Jahren nach Görlitz zog, das ist eine lange Geschichte, sie hat mit Liebe zu tun. „Schreib einfach, ich war öfter in Görlitz damals, und mir hat die Stadt gut gefallen.“ Das stimmt auch. Jedenfalls packte er einen Umzugswagen voll mit seinen Sachen und einigen Teilen der Einrichtung aus seiner Nürnberger Gastronomie und kam an die Neiße. Die Räumlichkeiten auf der Bismarckstraße, wo die Pizzeria noch heute zu finden ist, standen damals leer. In die Wohnung über dem Geschäft konnte er sich auch einmieten. Sehr kurzer Arbeitsweg also. Elf Uhr beginnt stets der Arbeitstag. „Da fange ich mit den Vorbereitungen an.“ Mit denen für das Mittagsgeschäft. Ist das vorbei, gibt es am Nachmittag eine Pause, dann geht es direkt weiter zu den Vorbereitungen fürs Abendgeschäft – bis die Pizzeria gegen 22 Uhr schließt. Jeden Tag, außer Montag. Besonders im Sommer, wenn es drinnen wie draußen heiß ist, kann das eine sehr harte Arbeit sein. Wollte er nie etwas anderes machen? „Reich zu heiraten, wäre auch schön gewesen“, antwortet Carlo mit seinem Schalk-Lachen. Oder eine große Erbschaft. Oder mehr spazieren gehen.

Und manchmal vermisst er Italien sehr. Den Urlaub verbringt Carlo häufig dort. „Die Schönheit“, schwärmt er. Die Natur wie die Kultur – beides sei großartig. Ein bisschen Italien hat er auch bei der Arbeit stets vor der Nase. Die drei gerahmten Bilder gegenüber der Theke wirken stets ein bisschen verloren an der großen Wand – aber sie zeigen dafür Süditalien, „Napoli“, sagt Carlo. Und ja, es habe auch schon Momente in all den Jahren gegeben, in denen er daran dachte, nach Italien zurückzugehen. Überlegungen, die bisher stets in einem Kopfschütteln endeten. So auch jetzt. „Nein, ich brauche mein Geschäft“, sagt Carlo. „Das mache ich solange, wie ich gebraucht werde.“