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Schnelles Geld oder Ausbildung?

Elektriker Rozan Sido aus Syrien war zur Berufsberatung. Wie die IHK Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

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© André Wirsig

Von Olaf Kittel

Die neue Willkommenslotsin der Industrie- und Handelskammer in Dresden begrüßt den syrischen Flüchtling: „Mein Name ist Reich. So heiße ich aber nur.“ Rozan Sido braucht ein Weilchen, bis er den Gag versteht – und grinst dann. Macht nichts, er sucht hier keine Reichtümer, sondern einen deutschen Weg in Ausbildung und Arbeit. Marion Reich unterstützt seit Herbst Flüchtlinge genau dabei, wenn auch bisher mäßig erfolgreich. Aber das wird sich hoffentlich ändern. So wie Rozan Sido haben Tausende Flüchtlinge in Sachsen ja erst in den vergangenen Monaten einen Aufenthaltstitel bekommen und absolvieren gerade ihren Sprachkurs. Erst danach haben sie die Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt und werden bald in alle Beratungsstellen drängen.

Zunächst will sie die wichtigsten persönlichen Angaben von Rozan Sido, den sie schon aus der SZ kennt: Aha, 30 Jahre, Syrer, verheiratet, zwei Kinder. „Das ist schon mal ein Vorteil. Firmen stellen lieber Familienväter ein. Die hauen nicht gleich wieder ab.“ Rozan Sido weiter: Seit September 2015 in Dresden, als Flüchtling für drei Jahre anerkannt. „Auch gut. Das schafft den Unternehmen Planungssicherheit.“ Und Rozan hat in Aleppo zehn Jahre als Bauelektriker gearbeitet, angelernt, wie in Syrien üblich. Zeugnisse hat er nicht, sie sind in seinem zerstörten Haus zurückgeblieben. Marion Reich kennt das schon, sie muss jetzt herausbekommen, was er wirklich kann. „Haben Sie Kabel verlegt? Lampen installiert? Mit Schaltkreisen gearbeitet? Schaltschränke gebaut?“ Rozan Sido beantwortet alle Fragen mit „Ja“.

Vokabeln bitte ins Muttiheft

Jetzt nimmt Marion Reich ein „Bildwörterbuch für Metalltechnik“ in die Hand, in Deutschland gerade erst erschienen mit Bildtexten in Deutsch und Arabisch. Sie zeigt dem Flüchtling Fotos von Werkzeugen und fragt ihn, ob er damit gearbeitet hat: Phasenprüfer, Kombizange, Lötkolben und so weiter. Kennt er alle, aber nicht deren deutsche Bezeichnungen. Dann die Warnschilder – da wird es ganz schwierig, aber die sind wichtig für jeden Elektriker. Marion Reich empfiehlt das Buch zum Kauf. „Und besorgen Sie sich ein Muttiheft, schreiben Sie die Vokabeln ein und lernen Sie die in der Straßenbahn. Wenn Sie die draufhaben, gibt’s erste Pluspunkte vom möglichen Arbeitgeber.“ Rozan Sido nickt und macht ein Handyfoto vom Buchtitel.

Der Verweis aufs Muttiheft und die technische Detailkenntnis verraten eine typische DDR-Biografie: Die Endfünfzigerin hat Instandhaltungsmechanikerin mit Abitur gelernt, Berufspädagogik studiert und dann lange an berufsbildenden Einrichtungen gearbeitet. Freundlich-handfest geht sie auf ihre Klienten ein, lässt sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen. „Besonders wichtig ist mir aber, die Erfahrungen dieser Menschen zu erkennen und wertzuschätzen. Zeugnisse sind nicht alles. Das habe ich in meinem Leben immer wieder erfahren.“ Rozan Sido schmunzelt zufrieden. Er weiß jetzt: Hier ist er richtig.

Marion Reich ist dabei, zwei „Pools“ aufzubauen. Einen mit den Namen und Berufswünschen der Flüchtlinge, einen mit Interessenten aus der Industrie, vorwiegend kleinere und mittlere Unternehmen. Bisher hat sie in jedem Pool 40 bis 50, und bald sollen es mehr werden. Ihr Kunststück besteht darin, den einen Pool mit dem anderen zu verbinden. Eng arbeitet sie zusammen mit IHK-Kollegen, die für die „passgenaue Besetzung“ von Ausbildungsstellen deutscher und ausländischer Jugendlicher zuständig sind. Oft sind das keine leichten Fälle.

Für Rozan Sido hat sie vier mögliche Wege vorbereitet, die es in den nächsten Wochen zu prüfen gilt. Variante 1 führt am schnellsten zum Ziel: Einige Wochen Praktikum, um festzustellen, was er wirklich kann und dann schon Festeinstellung in einem Job mit geringen Anforderungen. Rozan Sido, der wie die meisten Flüchtlinge so schnell wie möglich eigenes Geld verdienen möchte, zeigt sich spontan gar nicht so begeistert. Es wäre wohl ein Job unter seinen Möglichkeiten.

Variante 2 läuft unter „Einstiegsqualifizierung“. In einem Modul von sechs Monaten werden theoretische und praktische Berufserfahrungen vermittelt. Diese Zeit wird in der folgenden Lehrausbildung angerechnet. Rozan könnte auf diesem Weg in zwei Jahren seinen Abschluss als Industrieelektriker machen. Klingt gut. Marion Reich kennt da auch schon ein Unternehmen, es baut Werbeschilder. Allerdings wäre da seine Bereitschaft nötig, auf Montage zu fahren. Rozan Sido erschrickt zunächst, weil er ja Frau und Kinder allein in der Fremde zurücklassen müsste. Dann aber meint er: „Okay, habe ich in Syrien auch gemacht.“

Er könnte sich aber, Variante 3, auch zum Elektroanlagenbauer ausbilden lassen. Frau Reich hat einen Kontakt zu einer interessanten Solarstromfirma. Allerdings dauert die Ausbildung hier drei Jahre. Klingt aber auch gut.

Und schließlich Variante 4: Nach Praktikum und Einstellung nach Eignungstest erfolgt die Qualifizierung im Job. Dafür gibt es das Programm „Wegebau“, das eigentlich für Bauberufe entwickelt wurde, um Bauarbeiter während der Winterzeit in Beschäftigung zu halten.

In den nächsten Tagen soll Rozan Sido zunächst einen Lebenslauf schicken. Just am Tag der Beratung hat er im Deutschkurs Bewerbungen trainiert. Er zeigt sein Übungsheft: „In einer Anzeige in der Zeitung habe ich gelesen, dass Ihre Firma eine freie Stelle hat. Mein Name ist Rozan Sido, ich bin Elektriker.“ Und so weiter. Seinem Lebenslauf soll er möglichst Handyfotos anhängen, die ihn in Syrien bei der Arbeit zeigen und, wenigstens etwas, die fehlenden Zeugnisse ersetzen. Marion Reich wird dann Kontakt zu Firmen aufnehmen und die vier Varianten konkretisieren. Das nächste Beratungsgespräch findet in einem Monat statt.

Es gibt noch gut zu tun

Noch Fragen? Rozan Sido will wissen, wie in Deutschland die Arbeitszeiten sind und wie Ausbildung vergütet wird, er hat ja eine vierköpfige Familie. Flüchtlinge erhalten, erklärt Marion Reich, weiter ihre an Hartz IV orientierten Bezüge. Mehr nicht.

Und wie sieht sie seine Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt? Für diese Beurteilung legt sie drei Kriterien an. Flüchtlinge müssen mindestens den Sprachabschluss B1 haben, möglichst B2. Da hat Rozan bis zum Abschluss im Sommer noch gut zu tun. Er braucht außerdem die Ausbildungsreife, insbesondere sind da naturwissenschaftliche Grundlagen gemeint, die bei uns Kinder in der Schule lernen. Seine Kenntnisse sind noch zu testen.

Und, vielleicht das Wichtigste: Die Motivation muss stimmen. Marion Reich: „Die ist bei Rozan Sido gegeben. Er wird ein guter Handwerker.“