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Sauerei!

Tiere sind auch nur Menschen, meint das Theater Bautzen in der Uraufführung „Die Wahrheit über die Farm der Tiere“.

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© Theater/Miroslaw Nowotny

Von Rainer Könen

Bautzen. Der Mann trägt einen rosafarbenen Anzug und hat eine Mission: Er will zeigen, wie sich vor 70 Jahren die Geschehnisse auf der „Farm der Tiere“ seiner Meinung nach tatsächlich abgespielt haben. Also bittet er zur Pressekonferenz ins Theater, um den vielen Diffamierungen und Falschmeldungen, die seither von den Medien in Umlauf gebracht wurden, entgegenzutreten. Er will aufklären über die Revolte der Farmtiere. Um diese besser darstellen zu können, präsentiert er zwei Medienvertretern, die zur Talkrunde gekommen sind, auf der Bühne ein Modell der Farm. Nach seinen Anweisungen wird der Handlungsverlauf der Orwellschen Geschichte nachgestellt. Dabei sollen ihm die beiden Journalisten Nettig (Katja Reimann) und Stramm (Moritz Trauzettel) helfen.

Alle sind gleich, manche gleicher

So startet im Bautzener Theater die Uraufführungsinszenierung von Regisseur Ronald Mernitz, die den Titel „Die Wahrheit über die Farm der Tiere“ trägt. Der Erfurter Puppenspieler hat sich George Orwells Roman „Die Farm der Tiere“ vorgenommen. Jene Geschichte, in der sich Hühner, Schafe, Esel und Schweine von der Herrschaft ihres Besitzers, Mr. Jones, befreien, den Hof übernehmen und verkünden, dass alle Tiere gleich sind. Die Herrenfarm ist tot, hoch lebe der Animalismus.

Aber beim Thema Gleichheit gibt es Steigerungspotenzial, wie die Tiere in der Folge lernen. Denn einige sind ein wenig gleicher. Bei Orwell sind das die Schweine, die auf der Farm peu a peu die Geschicke übernehmen, die erkennen, dass Demokratie ohne funktionierende Marktwirtschaft nicht funktioniert. So verkaufen sie Milch, Eier und Wolle, kassieren das Geld. Ronald Mernitz präsentiert nach dem Marionettentheaterstück „Die purpurrote Blume“ nun seine zweite Inszenierung am Bautzener Theater.

Ein komplexes Stück, ein Spiel im Spiel, in dem Mernitz sich mit der Frage auseinandersetzt, wie eine Demokratie funktioniert – oder halt nicht. Gleich zu Beginn läuft die Pressekonferenz aus dem Ruder, was zum einen daran liegt, dass der von Andreas Larraß dargestellte Mann, von allen als Chef bezeichnet, die Medienvertreter zum Mitspielen auffordert. Zum anderen braucht er weitere Akteure, die das tierische Personal verkörpern. Wie gut, dass zwei Puppenspieler (Annekatrin Weber und Jan Schneider) im Publikum sitzen.

George Orwell, einer der bedeutendsten englischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, stellt in seinem 1945 veröffentlichten Roman „Farm der Tiere“ den Verlauf einer Revolution dar, an deren Ende jedoch nicht die Befreiung aller steht, sondern die Herrschaft derer, die die Revolution angeführt haben. Orwells Fabel wirft so manche hochaktuelle Frage auf. Was bedeuten Gleichheit und gleiche Rechte? An welchem System scheitern die Revolutionen, die es eigentlich abschaffen wollen?

Schwein Napoleon schafft Ordnung

In Mernitz´ Inszenierung, die sich an Jugendliche wie Erwachsene richtet, reibt man sich im Laufe der anderthalbstündigen Aufführung gelegentlich die Augen. Was allerdings nicht an dem von Christof von Büren aus Obstkisten geschaffenen kargen Bühnenbild liegt, sondern an der Art und Weise, wie das puppenspielende Personal der Handlung Leben gibt. Wenn Hühner mit Schafen um mehr Freiraum im Stall ringen, das Schwein Napoleon mit subtil-drohendem Unterton für Ordnung sorgt, wird deutlich, dass Tiere auch nur Menschen sind. Irgendwie.

In dem Stück wechseln die Darsteller im gestreckten Galopp von einer Tierrolle zur nächsten, sind die Charakterisierungen recht witzig. Ermüdend und fade hingegen sind die Szenen, in denen Mernitz zu sehr auf Bauernhofatmosphäre setzt. Die Tiere leben nach ihrer vermeintlich gewonnenen Freiheit in Saus und Braus, paaren sich hemmungslos, wollen das Leben in vollen Zügen genießen. Die Botschaft ist unüberhörbar: In einer Demokratie wird man schnell faul und träge. Da gilt es aufzupassen, um nicht anderen Kräften das Feld zu überlassen. In diesem Fall den Schweinen, die die Macht an sich reißen und das System der Ausbeutung politisch und ökonomisch lückenlos auf der Farm etablieren. Diese Lektion sitzt. Mernitz und seine Darsteller provozieren, animieren zum Diskurs über dieses Spiel der Revolution und ihr Scheitern.

Was geschehen kann, wenn auf leisen Sohlen demokratische Ideale opportunistisch unterwandert werden, die Mechanismen der Macht zum Vorschein kommen, zeigt das Bautzener Puppentheaterstück bei diesem tierischen Demokratieversuch auf recht nachdrückliche Weise. Zuerst das Fressen, dann die Moral – das trifft nicht nur in der Menschenwelt zu. Brecht lässt grüßen. Der Beifall an diesem Premierenabend, er kommt erst zögerlich, dann lang-anhaltend. Einverstanden!

Weitere Vorstellungen am 3., 8. und 10. März, jeweils 19.30 Uhr im Burgtheater Bautzen. Kartentelefon: 03591 584 225.