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Sachsen glänzt in Hannover – auch durch Abwesenheit

Auf der weltgrößten Industriemesse sind nur noch gut halb so viele Aussteller aus dem Freistaat wie Mitte der 90er-Jahre.

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© Wolfgang Schmidt, dpa

Von Michael Rothe

Wer seine Fabrik, sein Logistikzentrum oder sein Kraftwerk nicht digitalisiert, wird abgehängt“, warnt die Hannover-Messe auf ihrer Website. Industrie 4.0 werde zum Standard, und das bedeute Veränderung: „IT und Maschinenbau wachsen zusammen, neue Geschäftsmodelle entstehen, künstliche Intelligenz zieht in die Fabriken ein“, heißt es: Roboter, die sich ihrem menschlichen Gegenüber anpassen, AR-Brillen, die ihren Träger mit Informationen versorgen, und lernende Maschinen, die sich selbst optimieren. „Die Fabrik der Zukunft ist eine mitdenkende Fabrik mit dem Menschen im Mittelpunkt“, fasst Jochen Köckler, Chef der Deutschen Messe, die Kernbotschaft der wichtigsten Industriemesse der Welt 2018 zusammen.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) nennt die Schau mit über 5 000 Ausstellern aus 75 Ländern eine „hervorragende Plattform, auf der sich über den eigenen Tellerrand blicken und erkennen lässt, wo Sachsen im Vergleich mit anderen Regionen und Ländern steht.“ Dulig war am Montag vor Ort, besuchte Unternehmen, traf sich mit der niederländischen Wirtschafts-Staatssekretärin und lud zum „Sachsenabend“ mit Gästen u. a. aus Mexiko, dem diesjährigen Messe-Partnerland.

„Ich freue mich, dass wieder so viele Unternehmen aus dem Freistaat nach Hannover kommen, um ihre Innovationen und Produkte zu präsentieren“, sagt der Minister. Auf Nachfrage nennt sein Haus die Zahl von 110 Teilnehmern – mit eigenen Auftritten, an Gemeinschaftsständen der Kammern, Hochschulen und Netzwerken oder im Gefolge ihrer Konzernmütter. Nur noch 110 Aussteller – gut halb so viele wie Mitte der 1990er! Und speziell seit sechs Jahren zeigen jährlich weniger weiß-grün Flagge.

Spezialisierte Messen ziehen mehr

Was ist der Grund für das wachsende Desinteresse? Steigende Kosten für Messestände und Hotel? Schrumpfende Marketing-etats der Unternehmen? Fehlende Effizienz der Gemeinschaftsstände? Wachsende Konkurrenz durch Regionalschauen wie das Leipziger Messedoppel Intec und Z, zu dem 2017 fast 1 400 Aussteller kamen? Unterschätzung der Wirkung des Mediums Messe? Bequemlichkeit angesichts steigender Exporte? Gerade hatte der Freistaat für 2017 mit Waren im Wert von 41,4 Milliarden Euro einen Rekord verkündet.

Sandra Furka kennt Antworten. Die Referentin Außenwirtschaft/Messen bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz organisiert seit 1997 den gemeinsamen Auftritt der Sachsen-Kammern – ausdrücklich keine Katalog- oder Prospekt-Verteil-Veranstaltung. „Alle Firmen sind persönlich vertreten“, so die 42-Jährige. Die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH hatte früher auch Gemeinschaftsstände organisiert, doch die Landestochter konzentriert sich jetzt auf andere Messen.

Viele Unternehmen gingen auf spezialisierte, kleinere Veranstaltungen wie in Leipzig, sagt Furka. Zum Sinneswandel hätten auch jährlich um zwei Prozent steigende Standmieten und horrende Hotelpreise während der Messe beigetragen. Selbst eine neun bis 23 m² große Präsentation im gemeinsamen „Zuliefermarkt“ koste im Schnitt 9 000 Euro, kleinere Stände bei den „Zukunftstechnologien“ noch die Hälfte.

Furka selbst spürt kaum etwas von der Erosion. Am „Zuliefermarkt Sachsen“ beteiligten sich 28, bei „SACHSEN! Zukunftstechnologien“ sieben und am Gemeinschaftsstand „Energy Saxony“ acht Aussteller – meist in Sachen Forschung und Entwicklung, Zulieferung, Automatisierung/ Robotik, Antriebstechnik, Software/ Digitalisierungslösungen und Energie. Nur bei den Zukunftstechnologien gebe es leichten Schwund, weil Forschungsthemen in die Produktion übergegangen seien und die Projekte anderswo gezeigt würden.

Die meisten von Furkas Schäfchen sind Wiederholungstäter, einige wie die Präzisionsteile-Hersteller Feinwerktechnik in Geising und Richard Grießbach Feinmechanik in Altenberg schon seit 1992 auf dem Gemeinschaftsstand dabei. Dabei ist die freistaatliche Förderung längst ausgelaufen. Nur Neuaussteller wie die Rochhausen Kältesysteme GmbH im erzgebirgischen Drebach erhalten durch Sachsens Aufbaubank bis zu viermal einen Messezuschuss von 4 000 Euro. „Allerdings ist gerade im Zulieferbereich die Präsentation für die meisten so wichtig, dass sie auch ohne die Förderung auf die Messe gehen“, so Furka. Viele Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen seien ebenfalls von Anfang an dabei – auch diesmal am von der TU Dresden organisierten Gemeinschaftsauftritt „Forschung für die Zukunft“.

Frank Walther, viele Jahre Ostbeauftragter der Deutschen Messe, kennt noch weit höhere sächsische Einschaltquoten. „Das Förderumfeld ist anders geworden, man kümmert sich nicht mehr um die Firmen“, kritisiert er. Mit „man“ meint er die Wirtschaftsförderung Sachsen. „Sie verkennt, dass in Hannover mehr Ausländer sind als auf mancher Messe in China“, so der 72-Jährige. Als Rentner ist er nur noch privat auf der Schau und nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch fehle im Freistaat die Unterstützung durch Netzwerke, sagt er. „Deshalb arbeitet die IHK Chemnitz schon lange erfolglos an einem Gemeinschaftsstand für Automatisierungstechnik, obwohl es viele prädestinierte Firmen gibt.“

Mancher der fehlt, ist trotzdem da

Einer der Abtrünnigen ist die Robotron Datenbank-Software GmbH. Gleichwohl sind die Dresdner in Hannover. „Nach Aufwand-Nutzen-Betrachtung sind wir wieder weg vom eigenen Stand“, sagt Sprecherin Katja Popp. „Für uns ist es zielführender, über Technologiepartner wie Microsoft und Splunk in Kundenkontakt zu treten“, sagt sie. Der Nachfolger der einstigen DDR-Mikroelektronikschmiede präsentiert erstmals seit der Wende wieder eigene Hardware in Hannover: das „Robogate“. Diese Brücke zwischen Automatisierungstechnik und IT entstand in Kooperation mit Turck Duotec in Grünhain-Beierfeld bei Schwarzenberg. Das Hightechteil im Geldbörsenformat dient unter anderem der Energieeffizienz und Zustandsüberwachung von Maschinen über eine Internet-Cloud.

Auch Robert Franke, Chef des Dresdner Amts für Wirtschaftsförderung, taucht nur in der Besucherstatistik der Hannover-Messe auf. Er kennt aber 45 Firmen und Forschungseinrichtungen der Landeshauptstadt mit eigenem Stand. Und wenn er dort an diesem Dienstag für den Standort Dresden buhlt, findet zeitgleich der 1. Spatenstich für eine milliardenschwere Investition statt: eine neue Chipfabrik von Bosch.

Sachsen ist mit seiner bislang kleinsten, aber dennoch feinen Abordnung in Hannover. Der Freistaat wirbt in großen Lettern – und mit Ausrufezeichen. Bei der Teilnehmerzahl gibt es aber auch Fragezeichen.