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Retter oder Schlepper?

Nicht-staatliche Organisationen retten Tausende aus dem Mittelmeer. Doch ihre Arbeit ist heftig umstritten.

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© dpa

Von Cordula Eubel und Antje Sirleschtov

Nach seiner massiven Kritik an der Arbeit von Flüchtlingsrettern will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nun auf deutsche Nichtregierungs-Organisationen zugehen, die bei der Seenotrettung im Mittelmeer tätig sind. Das Ministerium strebe Gespräche auf Arbeitsebene an, sagte ein Sprecher.

Noch Anfang der Woche hatte der Minister schwere Vorwürfe gegen die Organisationen erhoben. Unter Verweis auf seinen Amtskollegen aus Rom hatte er von Regelverletzungen berichtet, die derzeit von Italien untersucht würden: So gebe es den Verdacht, dass Rettungsschiffe ihre Transponder zur Ortung regelwidrig abstellten, um ihre Position zu verschleiern. „Das löst kein Vertrauen aus“, kritisierte er. Es gebe auch Rettungsschiffe, die in libysche Gewässer führen, um vor dem Strand mit ihren Scheinwerfern Schleppern und ihren Booten ein Ziel vorzugeben.

Auf eigene Erkenntnisse kann das Innenministerium dabei nicht verweisen, sondern nur auf „Erfahrungen der zuständigen italienischen Behörden“, wie es im Innenministerium heißt. Doch die Hilfsorganisationen weisen die Anschuldigungen vehement zurück. „All diese Vorwürfe sind unhaltbar, das hat das italienische Parlament in den letzten Monaten mehrmals festgestellt, erst im Schengen-Ausschuss, dann im Verteidigungsausschuss“, sagt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher von Sea-Eye, einer Organisation aus Regensburg, die mit zwei Schiffen im Mittelmeer unterwegs ist. Es sei „unsäglich, dass der Innenminister nun wieder versucht, uns kriminelles Handeln anzuhängen“, sagt Buschheuer. Die Stoßrichtung sei klar: „Die NGOs sollen für die Flüchtlingskrise verantwortlich gemacht werden.“ Die Verunsicherung zeige Wirkung, berichtet er. „Die Spendentätigkeit ist in den letzten Monaten zurückgegangen.“ Dafür sei die Zahl der Freiwilligen stark gestiegen.

Seit dem Jahresanfang kamen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR gut 110 000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa. Mehr als 2 300 Menschen ertranken bislang in diesem Jahr. Um schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten, sind in den letzten Jahren zunehmend Schiffe von privaten Organisationen im Einsatz, dazu gehören Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, aber auch kleinere Initiativen wie Sea-Eye. Sie füllen die Lücke, seit Ende 2014 die italienische Rettungsmission Mare Nostrum beendet wurde. 2016 waren sie schon an mehr als 40 Prozent der Hilfseinsätze im Mittelmeer beteiligt. Sie werden dabei nicht auf eigene Faust tätig, ihre Einsätze werden von der Seenotrettungszentrale für das westliche Mittelmeer in Rom koordiniert.

Einen Beleg für die These, dass die Rettungseinsätze mehr Menschen zur Flucht über das Mittelmeer bewegen, gibt es nicht. Eine Studie, die in diesem Frühjahr an der Universität Oxford veröffentlicht wurde, kommt zum Ergebnis, dass es eine solche „Magnetwirkung“ nicht gebe. In Perioden mit vermehrten Rettungsaktionen sei kein Flüchtlingsanstieg zu verzeichnen, fanden die Wissenschaftler heraus.

Nach dem Willen der EU-Innenminister sollen die Hilfsorganisationen nun einen Verhaltenskodex für Rettungseinsätze unterschreiben. Vor zwei Wochen billigten die Minister bei einem informellen Treffen einen entsprechenden Vorschlag der italienischen Regierung, die sich in der Flüchtlingsfrage von den EU-Partnern im Stich gelassen fühlt. Ein erster Entwurf für den Kodex liegt vor, über eine ausführliche Fassung soll mit den NGOs nächste Woche in Rom geredet werden. Ziel sei es, die Abläufe insgesamt möglichst transparent und für beide Seiten verlässlich zu gestalten, heißt es dazu im Innenministerium.

Sea-Eye-Sprecher Buschheuer hält den Kodex für überflüssig. „Vieles von dem, was da gefordert wird, halten wir ohnehin schon immer ein“, sagt er. Der Kodex sieht vor, dass Schiffe der Hilfsorganisationen nicht in die Hoheitsgewässer Libyens eindringen dürfen und dass sie weder telefonisch noch durch Lichtsignale den Schleppern den Weg weisen sollen. Verstoßen sie gegen die Regeln, will Italien den Zugang zu seinen Häfen verweigern.

Es gebe keinen Kontakt zu den Schleppern, versichert Buschheuer. „Wir geben auch keine Lichtzeichen“, sagt er. Allein technisch und physikalisch wäre das nicht möglich. „Für die entsprechenden Scheinwerfer brauchten wir riesengroße Masten, wegen der Erdkrümmung wären aber die Lichtzeichen an der Küste überhaupt nicht zu sehen.“ In die 12-Meilen-Zone vor der libyschen Küste dringen die Rettungsboote außerdem „selbstverständlich“ nicht ein. Das passiere „nur im Notfall“, wenn die Seenotrettungszentrale das Schiff mit der Rettung beauftrage. Auch die Transponder würden nicht regelwidrig abgeschaltet. „Wir verschleiern unsere Position nicht.“

Einen Punkt aus dem Kodex könne er aber nicht unterschreiben. „Wir können nicht zusagen, dass unsere Schiffe die gleiche technische Ausstattung wie die italienischen Rettungsschiffe haben“, sagt Buschheuer. „Um auf dem gleichen Stand zu sein, müssten wir Millionenbeträge investieren. Das können wir nicht.“