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Reißt die Stadt Görlitz auch in der Bismarckstraße ab?

Das Dach der Nummer 29 ist akut einsturzgefährdet. Das Rathaus schließt derzeit nur eine Lösung komplett aus.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Ingo Kramer

Die Parallelen zwischen der Bismarckstraße 29 und der Landeskronstraße 34 sind nicht zu übersehen. Beides unsanierte Gründerzeithäuser, beide mitten in geschlossenen Häuserzeilen, beide seit Ewigkeiten leer stehend, nicht gepflegt und entsprechend marode. Und: Jeweils Besitzer, die nicht in Görlitz leben. „Doch es gibt Unterschiede“, sagt Hartmut Wilke, der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung. Er meint damit nicht nur, dass die L 34 im Februar zum Teil eingestürzt ist und später abgerissen wurde, während in der B 29 (bisher) noch nichts passiert ist. „In der Landeskronstraße hatten wir es mit einer Erbengemeinschaft zu tun, diesmal mit einem Einzeleigentümer“, sagt Wilke. Allerdings: Damals gab es einen Ansprechpartner, der zur Kooperation bereit war. Der jetzige Eigentümer hingegen will nicht kooperieren. „Er hat schriftlich angedroht, dass er die Stadt verklagen will, wenn sie sein Eigentum anrührt“, erklärt der Amtsleiter.

Aber mal ganz von vorn. Die Stadt beobachtet das Haus B 29 seit vielen Jahren. Zum Beweis zeigt Wilke zwei Fotos. Auf dem einen, 1997, ist im Parterre noch ein Laden geöffnet – wohl der letzte Mieter. 2001 dann ist der Laden ausgezogen – und an der Fassade unterhalb des Daches ein Wasserschaden erkennbar. Weil aber keine Gefahr drohte, hat die Stadt nichts unternommen, sondern nur weiter beobachtet. Das änderte sich erst im Frühsommer 2017. Da war von unten erkennbar, dass am Dach größere Pflanzen wachsen. „So etwas ist immer ein Zeichen dafür, dass viel Wasser ins Mauerwerk eingedrungen ist, sodass die Wurzeln eine gute Nahrungsgrundlage finden“, so Wilke. Das heißt, dass etwas ein- oder abstürzen könnte, die Sicherheit von Passanten gefährdet ist. „Nur wenn das der Fall ist, dürfen wir handeln“, sagt Wilke. Ist die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet, weil zum Beispiel zwischen Haus und Fußweg eine große Wiese ist, dann kann die Stadt nichts machen, sondern muss mit anschauen, wie ein Haus allmählich einfällt.

Nun schrieb die Stadt den Eigentümer mit fremdländisch klingendem Namen – aber Adresse in Deutschland – im Frühsommer an, zunächst mit einem gut gemeinten Info-Schreiben und der Bitte, sich um sein Eigentum zu kümmern. Als nichts passierte, wurde die Stadt im Juli oder August deutlicher: Sie schickte per Einschreiben einen Sicherungsbescheid. Darin stand, dass der Eigentümer die Standsicherheit des Hauses herstellen und anschließend bis September über ein Statiker-Gutachten nachweisen muss. Wieder passierte nichts.

Jetzt ging die Stadt zwei Wege parallel: Sie bereitete die Sicherung als sogenannte Ersatzvornahme vor: Die Stadt geht dabei in Vorleistung und stellt die Arbeiten hinterher dem Eigentümer in Rechnung. Dazu stellte sie in der ersten Novemberwoche ein Gerüst auf, um die Fassadensicherung zu beginnen. Und sie schickte ihm im Oktober ein zweites Einschreiben, diesmal eines, das der Postbote dem Empfänger eigenhändig übergeben musste. Der reagierte Ende November schriftlich: Mit der Aussage, dass er die Stadt verklagen werde, wenn sie loslegt. Das aber tat sie trotzdem: „Vorigen Mittwoch waren wir erstmals mit einem Statiker in dem Haus“, so Wilke. Der Zustand erwies sich als so katastrophal, dass die Stadt bereits einen Tag später die Straße wegen Einsturzgefahr komplett sperrte und auf der gegenüberliegenden Seite einen Tunnel baute, sodass zumindest Fußgänger weiterhin durchkommen.

Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Derzeit prüft ein Statiker, wie groß die Schäden sind, was baulich wie herstellbar ist und was das kostet. Spätestens nächste Woche rechnet Wilke mit den Ergebnissen. Wenn diese vorliegen, will die Stadt entscheiden, wie es weitergeht. Wilke schließt nur eine Lösung komplett aus: Dass die Bismarckstraße dauerhaft gesperrt bleibt: „Das ist eine wichtige Verkehrsverbindung, auch als Umleitung für die Baustelle Postplatz, die im Frühling weitergeht.“ Also bleiben ein Komplettabriss, ein Teilabriss oder eine Sicherung des kompletten Gebäudes als mögliche Lösungen. Eine davon soll bis zum Frühling begonnen oder sogar abgeschlossen sein, damit die Straße wieder nutzbar ist, wenn die Baustelle Postplatz weitergeht. Aber kann die Stadt das Gebäude abreißen, ist es städtebaulich wirklich verzichtbar? „Nein, das ist es ganz klar nicht“, sagt Wilke: „Die Bismarckstraße ist eine der prägnanten Achsen von der Altstadt in die Gründerzeit.“ Hier gibt es keine Baulücken. Trotzdem könne ein Abriss aus Sicherheitsgründen in Betracht kommen, falls das die preiswerteste Lösung sein sollte. Schließlich kann die Stadt dem Eigentümer hinterher nur die preiswerteste Lösung in Rechnung stellen, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit führt. Doch so lange das Gutachten nicht vorliegt, will Wilke darüber nicht spekulieren. Erst mit dem Papier könne die Stadt die Kosten abschätzen. Den Namen des Eigentümers darf Wilke nicht nennen. Der SZ ist er bisher nicht bekannt. Was Wilke aber sagt: „Dem Mann gehören in Görlitz auch andere Häuser.“ Seines Wissens stehen sie alle leer, sind alle unsaniert. Bei den anderen ist der Zustand aber (noch) nicht so akut. Mit der Landeskronstraße 34 hat er nichts zu tun.