Von Ines Mallek-Klein
Der Himmel ist strahlend blau, die Wiese saftig grün und hinter dem sanften Hügel zeichnet sich der Turm des Stolpener Schlosses ab, in dem Gräfin Cosel viele Jahre ihres Lebens verbringen musste. Den Galloways scheint die Kulisse zu gefallen. Sie haben sich in kleinen Grüppchen auf der Wiese zusammengekuschelt und halten dösend Mittagsschlaf.
Galloways sind die Eisbären unter den Rindern. Sie leben das ganze Jahr auf der Weide. Im Winter gibt es Heu, im Sommer frische Kräuter. Und doch landen sie, meist nach 24 Monaten, auf dem Filetierbrett von Philipp Winters.
Der 27-Jährige ist der erste Fleischsommelier Sachsens. „Ich wollte lernen, gutes Fleisch nicht erst am Geschmack zu erkennen“, sagt Winters. Wurst gehört schon seit seinen Kindertagen zu seinem Leben, nicht nur auf dem Pausenbrot. Denn es war Christian Ehrentraut, der Opa von Philipp Winters, der 1992 die Dürrröhrsdorfer Fleisch- und Wurstwaren GmbH gründete. Er schrieb damit die Geschichte der Fleischerei weiter, die Kurt Hempel 1912 in Dürrröhrsdorf eröffnet hat. Der kleine Vierseithof war zu DDR-Zeiten Teil des Konsumbetriebes Bautzen und späteren Kombinats.
Geschichte von Dürrröhrsdorfer
Christian Ehrentraut startete in den frühen Nachwendejahren mit dem Betrieb und zwei Filialen neu. Die Produktionsräume von damals gibt es heute noch an der Hauptstraße. Weiße, bis zur Decke gekachelte Wände. Nur genutzt werden sie heute anders. An der einen Seite stehen Gas- und Holzkohlegrills, an der anderen Seite trennt eine Edelstahltür die Besucher von der Schatzkammer. Hier lagern die Kronjuwelen des Unternehmens. Hier reift bei einem bis maximal zwei Grad Celcius Schweine- und Rindfleisch. Philipp Winters greift zu den Einmalhandschuhen und zeigt einen trockegereiften Schweinerücken. Kirschrotes, fein marmoriertes Fleisch, das an der einen Seite von einer handbreiten, schneeweißen Fettschicht eingehüllt wird. „Solche Schweine gibt es heute nur noch sehr selten“, sagt Philipp Winters. Seit dem Magerfleischwahn in den 1970er-Jahren wurden die Tiere optimiert, große Muskelberge mit möglichst wenig Fett waren das Ziel. Doch was die Verbraucher dabei vergessen: Fett ist ein wichtiger Geschmacksträger und Voraussetzung für eine erfolgreiche Trockenreife.
Das ist einer der Lehrsätze, die die Besucher der Akademie in Dürrröhrsdorf zu hören bekommen. Dort, wo bis 1997 noch Schweinehälften zerlegt wurden, steht ein rustikaler Tresen, aufgebaut aus hölzernen Europaletten. An der weißen Kachelwand hängt der Kopf eines pechschwarzen Highlanderbullen, daneben der einer Färse mit wunderschöner braun-weißer Zeichnung. Das Simmentalerrind war das Lieblingstier vom Chef und führt nun in der Akademie die Aufsicht über die Sommelierkurse, die Philipp Winters regelmäßig anbietet. Das Interesse ist riesig. Aus den zwei geplanten Terminen pro Monate sind mittlerweile vier geworden. „Ich merke, dass sich die Leute wieder stärker für das interessieren, was sie essen“, sagt Philipp Winters.
60 bis 65 Kilogramm Fleisch verzehrt jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr. Das ist viel. Philipp Winters will das Bewusstsein der Fleischesser für das Produkt schärfen und beginnt manchen Kurs der Akademie am Fuße der Burg Stolpen mit einem Besuch bei den Galloways. Die haben, rein rational betrachtet, eigentlich die ungünstigsten Bedingungen, um bestes Fleisch zu liefern. Sie bewegen sich regelmäßig an der frischen Luft, kräftigen so ihre Muskeln, und bauen keine großen Fettreserven auf. Die objektiv beste Fleischqualität aber liefern die Tiere, die nur im Stall leben, sich kaum bewegen, viel fressen und mindestens genauso viel schlafen. Die Tiere setzen Fettreserven an und trainieren ihre Muskeln nicht. Je kürzer die Fasern sind, je zarter ist das Fleisch.
Dass das der Galloways trotzdem hervorragend schmeckt, liegt an ihrem gedrungenen Körperbau und ihrer Gelassenheit. Beides verhindert eine übermäßige Bildung von Muskeln. Sind die nämlich gut trainiert, entsprechend langfasrig und dick, „dann kauen Sie wie auf einer Schuhsohle“, sagt Philipp Winters. Das Risiko besteht übrigens auch, wenn der Weg der Tiere in den Schlachthof zu lang war. Acht Stunden darf ein Rind aus konventioneller Haltung maximal auf dem Lkw sein, für Tiere aus dem Biolandbau hat der Gesetzgeber die Zeit halbiert. Sie einzuhalten, wird immer schwieriger. „Daher haben wir eine separate Tierlogistik, die die Tiere zur zwei Stunden entfernten Schlachtstätte bringt“, erzählt Philipp Winters. Die Zahl der Schlachthöfe schrumpft. Gerade erst hat ein Unternehmen in der Sächsischen Schweiz seinen Betrieb eingestellt.
Auf die Frage, welche Fehler man bei der Zubereitung machen kann, antwortet der Sommelier mit einem Lächeln und den Worten: „Fleisch braucht Zeit.“ Wieder so ein Lehrsatz aus der Akademie. Es ist die Kruste, die wir am Fleisch so lieben. Die Muskelstränge selbst sind nahezu geschmacklos. Um eine perfekte Kruste zu bekommen, vakuumiert Philipp Winters die Steaks und gibt sie für sechs, sieben Stunden in ein Sous-vide-Becken. Bei exakt 57 Grad Celsius werden die Steaks gegart. Aus der Folie herausgenommen, haben sie bereits die Färbung gekochten Fleisches angenommen. Die Kruste bekommen sie durch die anschließende Hitzebehandlung auf dem Grill bei teilweise bis zu 800 Grad, die allerdings nur zwischen 30 und 60 Sekunden dauert.
Für den Hausgebrauch eignen sich auch Pfanne und Backofen. Ob man das Steak erst knusprig brät und dann bei maximal 100 Grad Celsius 60 Minuten im Ofen durchgart – oder aber den umgekehrten Weg wählt, das sei keine Frage des Geschmacks, sondern der eigenen Vorliebe, sagt Philipp Winters.
Eines aber ist ein Märchen: Dass mit der Hitze in der Pfanne Poren verschlossen werden und das Fleisch schön saftig bleibt. „Unsere Steaks bestehen zum Großteil aus Muskelfasern, die haben weder Haut noch Poren“, räumt Philipp Winters mit einem weitverbreiteten Hausfrauen-Irrtum auf.
Beim Grillen in der freien Natur bevorzugt er einen Gasgrill. Der muss eine Haube haben, nur so lässt sich eine indirekte Hitze erzeugen, in der das Fleisch langsam gart. Auch hier wird das Steak erst kurz – circa 90 Sekunden für jede Seite – der hohen Hitze ausgesetzt, um dann bis zur gewünschten Kerntemperatur nachzugaren. Der Gasgrill hat noch zwei weitere Vorteile. Er ist einfacher zu reinigen als ein Holzkohlegrill und es kann kein Fett in die offene Flamme tropfen. Die dabei entstehenden Acrylamide und Nitrosamine stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.
Marinaden lehnt Sommelier Winter übrigens entschieden haben. „Erstens dringen sie weit weniger tief in das Fleisch ein als wir denken und zweitens neigen sie zum Verbrennen“, erklärt der Fleischexperte. Um den Urgeschmack des Fleisches zu genießen, reichen Pfeffer und Salz. Beides wird am besten nach dem Grillen dazugegeben. „Es ist allerdings auch so eine Mähr, dass Salz dem Fleisch Wasser entzieht“, so Philipp Winters. Wer beim Steakbraten viel Feuchtigkeit in der Pfanne hat, hat sein Geld für junges, sehr schnell gewachsenes Fleisch ausgegeben, das ein Teil seiner Masse beim Anbraten verliert. Und wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich ein Grillthermometer zulegen. Mit ihm kann man die Kerntemperatur des Fleisches ermitteln, die in der Garphase nicht über 55 bis maximal 65 Grad klettern darf.
Doch alle Achtsamkeit hilft nichts, wenn die Fleischqualität nicht stimmt. „Es lohnt, den einen oder anderen Euro mehr auszugeben“, sagt Philipp Winters und bittet dann auch schon mal zum Rundgang durch den Stolpener Landhof. In den Ställen der Färsen, so heißen die Kühe, die noch nicht gekalbt haben, wird gerade frisches Stroh eingestreut, während sich die älteren Damen am Ausgang drängen. Die Weide ruft. Philipp Winters schaut auf die Tiere, weiß schon anhand ihrer Bewegungen und ihrer Statur, welche Muskelberge sich unter dem braun-weißen Fell verbergen. Er kann den Geschmack erahnen, lange bevor das Steak auf dem Teller liegt.
Weitere Informationen zur Akademie von Dürrröhrsdorfer, zu Terminen, Inhalten und Kursgebühren finden Sie hier.