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Neuer Skandal erschüttert Truppe

Mobbing, sexuelle Belästigung und Volksverhetzung: Berichte über Missstände bei den Gebirgsjägern schaden dem Ruf der Bundeswehr. Dabei ist der letzte Skandal erst wenige Wochen her. Noch ein Einzelfall?

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© dpa

Nico Pointner und Paul Winterer

Berlin/Bad Reichenhall. Immer wieder die Gebirgsjäger. Ausgerechnet die Eliteeinheit der Bundeswehr sorgt seit Jahren für Negativschlagzeilen: Betrunkene Soldaten, die den Hitlergruß zeigen, ekelerregende Aufnahmerituale mit rohem Fleisch und Alkoholexzessen, makabre Posen mit Totenschädeln in Afghanistan, Kriegsspiele für Kinder bei einem Tag der offenen Tür in einer Kaserne. Nun der Vorwurf von sexueller Belästigung und Volksverhetzung. Die Gebirgstruppe als Schmuddeleinheit der Bundeswehr?

Dabei ist der letzte Skandal bei der Bundeswehr erst wenige Wochen her - nicht bei den Gebirgsjägern, sondern in einer Elite-Ausbildungskaserne in Pfullendorf in Baden-Württemberg. Soldaten berichteten Ende Januar von demütigenden Aufnahmeritualen. Zudem sollen Ausbilder untergebene Soldatinnen zum Tanz an der Stange gezwungen und sie im Intimbereich abgetastet haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung.

Der Pfullendorf-Fall ist noch nicht richtig aufgearbeitet, da kommen die nächsten Schmuddelberichte ans Licht. Die Ermittlungen gegen 14 Soldaten der Gebirgsjäger laufen schon eine Weile. Ein Obergefreiter berichtet dem Wehrbeauftragten im Oktober 2016, er sei zwischen November 2015 und September 2016 in Bad Reichenhall sexuell belästigt und genötigt worden. Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt nicht nur wegen Mobbings und „sexualbezogener Verfehlungen“, sondern auch wegen Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.

Gebirgsjäger - Spezialisten für schwieriges Gelände

Für den Kampf in schwierigem Gelände unterhält die Bundeswehr eine Spezialtruppe. Die 5300 Soldatinnen und Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 gelten als körperlich besonders fit, können klettern und Ski fahren.

Sie sind für den Einsatz unter extremen Witterungs- und Geländebedingungen ausgebildet und ausgerüstet. Als Einsatzgebiete kommen neben dem Hochgebirge auch Wüste und arktisches Gelände infrage.

Die Spezialtruppe mit dem Edelweiß im Abzeichen ist an fünf südbayerischen Standorten stationiert. Sitz der Brigade ist Bad Reichenhall. Aushängeschild sind neben dem hohen Ausbildungsstand der Soldaten und der besonderen technischen Ausrüstung die Tragtiere der Gebirgsjäger. Die Mulis sind eine Kreuzung aus Pferd und Esel.

Mehrfach wurden die Soldaten in Auslandseinsätze geschickt. So waren Gebirgsjäger im Rahmen der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan und als Teil der Friedenstruppe KFOR im Kosovo.

Wegen Verfehlungen wie ekelerregende Aufnahmerituale und jüngst Vorwürfe der sexuellen Nötigung ist die Gebirgstruppe immer wieder in den Negativschlagzeilen. Gebirgstruppen der Wehrmacht begingen im Zweiten Weltkrieg in Italien und Griechenland Kriegsverbrechen. (dpa)

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„Äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel“ seien die Vorfälle, schreibt das Ministerium. Aber im Gegensatz zu Pfullendorf betreffe das nur eine Teileinheit, die verantwortlichen Kommandeure hätten diesmal umsichtig und konsequent reagiert. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), lobt die Aufklärung. Er machte sich Anfang März ein Bild von der Lage in Bad Reichenhall. Nichts sei vertuscht worden.

Die Übergriffe offenbarten „ein systemisches Problem bei der Bundeswehr“, erklärt hingegen die verteidigungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Christine Buchholz. „Die Kommunikationspolitik ist immer, dass von Einzelfällen gesprochen wird, aber wir haben mittlerweile eine stattliche Anzahl von Einzelfällen“, meint der Obmann der Linken im Verteidigungsausschuss, Alexander Neu. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Liegt der Fehler im System?

Generell müsse man aber bei jungen Soldaten in Kampfverbänden genau hingucken, mahnt der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD). „Es gibt eine Notwendigkeit, sensibel zu sein, in manchen Bereichen mehr als in anderen.“ In Kasernen seien abends vermehrt Soldaten unter 25 Jahren unter sich. „Kasernen sind ziemlich leer geräumt, auch von Vorgesetzten.“

Die Opposition fordert eine lückenlose Aufklärung und kritisiert die Informationspolitik von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). „Das Ministerium hat bereits im Fall Pfullendorf zu spät und unzureichend informiert und hat offensichtlich nicht vor, diese miserable Informationspraxis zu ändern“, schimpft die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger. Nach den Enthüllungen aus Pfullendorf hätten Parlamentarier mehrfach nach weiteren, ähnlich gravierenden Verstöße gefragt. „Ursula von der Leyen hat sich nach Pfullendorf als knallharte Aufklärerin dargestellt, daran kann man angesichts dieses wiederholten Vorgehens durchaus zweifeln“, betont Brugger.

Die Verteidigungsministerin selbst lobt am Dienstag in einem offenen Brief auf ihrer Homepage die neu gegründete Ansprechstelle für Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr, berichtet von einem älteren Belästigungsfall und fordert „respektvolle und menschenwürdige Umgangsformen“. Über die Missbrauchsvorwürfe bei den Gebirgsjägern verliert sie kein Wort. (dpa)