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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Die alte Fußballweisheit gilt auch für den wichtigsten Unternehmerpreis im Freistaat: Sachsen sucht seinen „Unternehmer des Jahres“ – bereits zum elften Mal.

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© Kristin Schmidt

Von Michael Rothe

Ab der 73. Spielminute war die Welt für Daniel und Jörn Meyer wieder in Ordnung. Die Fußballwelt. Erzgebirge Aue, ihr Lieblingsverein, hatte gerade den 1:1-Ausgleich gegen Dynamo Dresden erzielt – den Tabellenführer der 3. Liga – und diesen Punkt bis zum Schluss festgehalten. Das war am vergangenen Sonnabend.

Die Brüder, Chefs und Inhaber der Meyer Drehtechnik GmbH in Marienberg, sind mit ihren lila-weißen Schals bei fast jedem Heimspiel. Im Konferenzraum des Autozulieferers hängt ein Trikot der „Veilchen“ mit den Unterschriften. Die Meyers hatten zu Saisonbeginn mitgelitten, als der Verein auf einen Abstiegsplatz gestürzt war, sich fing und nun auf Platz sechs steht. Sie können sich aber auch in Dynamo hineinversetzen, wissen, wie es sich anfühlt, ganz oben zu stehen. Denn sie sind seit April „Sachsens Unternehmer des Jahres“.

„Auch als Champion bekommt man nichts geschenkt!“ Das ist die erste und wichtigste Erkenntnis im Leben danach. Der Wettbewerb unter den Autozulieferern ist knüppelhart. Die Hersteller nutzen ihre Marktmacht, und das notgedrungene Sparprogramm bei Volkswagen erschwert die Situation zusätzlich. Noch spüren Meyers nach eigenen Angaben keinen Einbruch durch den Abgas-Skandal. In Medien macht aber bereits die Runde, dass der Konzern wegen erwarteter Mehrkosten durch Schadenersatz und Rückrufe drei Milliarden Euro bei den Lieferanten sparen will.

Gut, wer da breiter aufgestellt ist. Auf Meyers CNC-Maschinen entstehen auch Präzisionsdrehteile für Dialysegeräte und andere Medizintechnik sowie den Maschinenbau – selbst Bindungsteile für Skispringer. Dennoch liegt der Fokus auf dem Fahrzeugbau. „In 80 Prozent aller Autos sind Drehteile von uns“, sagt Jörn Meyer. „Neuerdings sogar in Ferraris.“ Der 43-Jährige hat ein Faible für Geschwindigkeit und sich nach Motocross einen neuen Kick gesucht: die Fliegerei. Er hat den Flugschein für einmotorige Maschinen in der Tasche, sein ein Jahr jüngerer Bruder steht vor der Prüfung. „Dann sind wir aus der grenznahen Abgeschiedenheit auch mal schnell bei Geschäftsterminen“, sagt Daniel.

Der Laden läuft. Dann und wann holen die Meyers, beide Familienväter, Opas alten Hammer aus der Vitrine im Foyer. Eine besondere Trophäe inmitten dort ausgestellter Nockenwellen für Motoren, Bauteile für Sicherheitsgurte und Anhängerkupplungen sowie Schalter von Heizungsregeltechnik. Und der Start ihrer Erfolgsgeschichte.

Sie begann 1994 eher notgedrungen. Wie fast jeder Dritte im Erzgebirge waren auch die Meyers nach der Wende arbeitslos geworden. Das DDR-Strumpfkombinat Esda und der Kühlschrankbauer DKK Scharfenstein hatten keine Verwendung mehr für den Vater und die Brüder. Auch der Job der Mutter hatte auf der Kippe gestanden.

Preis beschert mehr Bewerber

Da die bodenständige Familie ihre Zukunft nicht im Westen sah, gab es nur eine Lösung: Selbstständigkeit. Aus zusammengekauften Uraltmaschinen entstand eine kleine Dreherei. Bald wurde die angemietete Tischlerei zu klein dafür. So entstand dank staatlicher Förderung der neue Firmensitz im Gewerbegebiet von Marienberg. Das Unternehmen wuchs und schaffte es mit einigen Blessuren auch 2008 durch die weltweite Krise. Der Preis: 60 Leute mussten damals gehen. Heute ist Meyer Drehtechnik nach dem Federnwerk Scherdel zweitgrößter Arbeitgeber der Großen Kreisstadt. 167 Mitarbeiter, darunter 14 Lehrlinge, erwirtschaften in diesem Jahr voraussichtlich 17,6 Millionen Euro Umsatz, 15 Prozent mehr als 2014.

„Unsere gute Auftragslage hätten wir vermutlich auch ohne den Unternehmerpreis“, sagt Daniel Meyer. Aber: „Bei Bewerbungen auf Jobs macht sich die gewachsene Bekanntheit und Medienpräsenz schon bemerkbar.“ Das Unternehmen ist ein gefragter Arbeitgeber – vor allem wegen des guten Arbeitsklimas. Die Brüder hatten den Unternehmerpreis auch wegen des Engagements für ihre Beschäftigten erhalten. Wer mindestens vier Jahre im Betrieb ist, bekommt sein Mittagessen gratis. Für jedes Mitarbeiterkind übernehmen die Chefs die Kita-Kosten. Abhängig vom Betriebsergebnis gibt es Leistungszuschläge zu einem Lohn, der sich am Tarif orientiert.

Noch am Wochenende der Preisverleihung im April hatten die Chefs eine Betriebsfete organisiert. „Obwohl es Samstag war, kamen kurzfristig 90 Leute“, sagt Jörn Meyer. Und der Bürgermeister. Und der Landrat. Kein Wunder, ist doch die Drehtechnik besonders wertvoll: als Patenbetrieb zweier Schulen, ihre Chefs als von der Wirtschaftsförderung ernannte „Botschafter des Erzgebirges“. „Der Erfolg steht und fällt mit guten Mitarbeitern. Wir sind stolz auf unsere Belegschaft“, heißt es auf einem Aufsteller im Eingangsbereich – gleich neben der Siegerskulptur „Die Träumende“.

An diesem Wochenende startet Sachsens wichtigster Unternehmerpreis in seine mittlerweile elfte Saison. Mit der Flüchtlingskrise rückt auch für Unternehmer eine neue Herausforderung in den Fokus. Wer hat das beste Rezept bei der Integration? Wer gab durch Eigeninitiative und bürokratischen Hürden zum Trotz Migranten eine Perspektive – und hat dabei gleich sein Fachkräfteproblem gelöst? Egal ob bei Flüchtlingen oder anderen Themen: In jedem Fall ist die besondere Leistung gefragt.

Eine solche erwarten Aues Fans an diesem Sonntag auch von ihrem Verein. Fortuna Köln kommt als sportlicher Gegner zum nächsten Match ins Erzgebirgsstadion. Im Fußball wie beim Unternehmerpreis gilt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Der Preis „Sachsens Unternehmer des Jahres“ ist eine Gemeinschaftsinitiative von Sächsischer Zeitung, Freier Presse sowie von Volkswagen Sachsen, der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft PwC, der Sachsen Bank und der Sparkassen-Versicherung Sachsen.