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Moskau Torpedo im Anflug

Ilja Dragunov ist ein Idol der deutschen Wrestling-Szene. Eine Figur, bei der Realität und Show verschwimmen.

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© wxw

Von Henry Berndt

Walter wankt. 15 Minuten prügelte der 140-Kilo-Koloss Big Daddy Walter selbst gnadenlos auf Ilja Dragunov ein. Iljas Brust ist aufgeplatzt, sein Gesicht von den Schlägen gezeichnet. Doch jetzt zieht der russische Kämpfer seinen letzten Joker: den gefürchteten „Moskau Torpedo“. Mit dem Kopf voran springt er in Walter hinein. Sekunden später ist Ilja Dragunov der neue Champion der wXw 16 Carat Gold, dem größten Wrestling-Turnier Europas.

Ilja Dragunov
Ilja Dragunov © Sven Ellger

Das war vor wenigen Tagen in Oberhausen. Spätestens jetzt kennt ihn in der deutschen Wrestlingsszene jeder. Es ist sein Durchbruch. Der nächste Schritt wird ein Weltmeisterschaftskampf sein. Dabei ist der Dresdner gerade mal 23 Jahre alt. Er heißt wirklich Ilja, seinen echten Nachnamen will er nicht verraten. Natürlich weiß er selbst am besten, dass er dieses Turnier gewinnen sollte und es kein echtes Kräftemessen im Ring gab. Das Drehbuch hat es gut mit ihm gemeint. Aber das ist ein Thema, über das Wrestler nur sehr ungern reden. Sie verweisen dann lieber auf den ewigen Kampf von Gut gegen Böse, der niemals endet. Eines aber betont Ilja dann doch: „Es ist nicht wichtig, wer gewinnt. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, zu unterhalten.“ Deswegen sei Wrestling aber keineswegs ein „Fake“. Schließlich wisse jeder Zuschauer, dass er hier eine Show erlebt. Als Schauspieler will Ilja aber nur ungern angesehen werden. Schon eher als Darsteller. Gleichzeitig sei Wrestling ein knallharter Leistungssport. Mit 17 kam er noch als Schüler zufällig in Kontakt mit dieser Welt – und war begeistert. Jahrelang lernte er von diesem Tag an in der Dresdner Wrestlingschule, wie man richtig fällt und wie man harte Treffer kassiert, möglichst ohne sich ernsthaft zu verletzen. Sein Trainer und Mentor Axel Tischer hat inzwischen den Sprung in die USA geschafft und kämpft bei World Wrestling Entertainment (WWE) gegen die größten Stars.

Stolz auf seine Narben

Ilja steht derzeit bei der größten deutschen Wrestling-Promotion „Westside Xtreme Wrestling“ unter Vertrag. Ob er seinem Vorbild eines Tages nacheifern kann, ist für ihn nicht wichtig. „Ich liebe meinen Sport, und ich liebe es zu kämpfen“, sagt er. „Auf alles andere habe ich keinen Einfluss.“ Vier bis fünf Mal in der Woche trainiert Ilja im Fitnessstudio. Körperlichkeit ist für ihn die Basis für alles. „Die Schläge im Ring werden nicht abgestoppt“, behauptet er. „Die Muskulatur muss das alles wegstecken.“ Das klappt allerdings nicht immer. Sein „Moskau Torpedo“ soll ihm schon zwölf Gehirnerschütterungen eingebracht haben. Zweimal brach er sich die Nase. Nach einer schweren Schädelfraktur musste er gar anderthalb Jahre aussetzen. Nicht ohne Stolz zieht Ilja sein Hemd runter und zeigt die Narben seiner aufgeplatzten Brust nach dem jüngsten Finalkampf gegen Walter. Sieht echt aus.

Was ist Realität, was ist Showcharakter? Bei Ilja Dragunov verschwimmen die Grenzen immer mehr, je genauer man hinsieht. Als in den 90ern die Poster von Wrestlingstars wie Hulk Hogan und dem Undertaker hierzulande in jedem zweiten Kinderzimmer hingen, verbrachte Ilja seine Kindheit noch in Moskau. Erst mit fünf  Jahren siedelte er mit seinen Eltern nach Sachsen über, spricht heute perfekt und ohne jeden Akzent Deutsch. Es sei denn, er verkörpert gerade seinen Ilja Dragunov, den unbesiegbaren russischen Kämpfer mit einem ausgeprägten Hang zum Wahnsinn. Dann spricht er auf einmal wie Wladimir Klitschko und agiert dabei wie Klaus Kinski in seinen besten Zeiten.

Windeln wechseln!

„Das Wichtigste ist dein Charakter“, sagt Ilja. „Die Fans müssen dich vergöttern oder hassen können.“ Zu seiner Figur inspirierte ihn der muskelbepackte Ivan Drago aus Rocky IV. Im Ring trägt Ilja meist einen Mantel mit weißen Ärmeln und rotem Kragen, eine rote Badehose und rote Stiefel. Die Haare sind streng nach hinten gegelt. Außerdem setzt er sich als Krönung noch farbige Kontaktlinsen in die Augen. Dann kann der Wahnsinn beginnen. Sein Schlachtruf in der Halle lautet „Unbesiegbar“. Das hätten auch die 900 Fans in Oberhausen gebrüllt, sagt er, bevor er zu seiner finalen Attacke auf Walter ansetzte.

Sein Schlachtruf zu Hause in Dresden heißt: Windeln wechseln! Ilja ist Vater eines drei Monate alten Sohnes. Mehr will er nicht über sein Privatleben preisgeben. Beruflich arbeitet er in der Fitnessbranche, wobei die Einnahmen für seine Kämpfe zuletzt deutlich stiegen. „Ich kämpfe nur noch gegen Geld“, sagt er. „Dieses Privileg habe ich mir hart erarbeitet.“ Und dann schickt er noch eine Warnung hinterher: „Jeder, der es mit mir aufnimmt, sollte wissen: Ich lasse mich von niemandem unterkriegen – weder im Ring noch in der Realität.“ Eine ernste Drohung oder doch nur Show? Man weiß es nicht. Ist ja auch nicht so wichtig.