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Mobbing an Schulen wird unterschätzt

Schon Grundschüler sind betroffen. Meistens geschieht es übers Internet. Manche Opfer müssen wochenlang in stationäre Behandlung.

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© dpa/Arno Burgi

Von Juliane Richter

Die Beschimpfung kommt nicht hinter vorgehaltener Hand oder aus der letzten Bankreihe im Klassenzimmer. Sie kommt über den Whatsapp-Klassenchat. Und alle lesen mit, manche steigen darauf ein, machen weiter und weiter. „Es ist haarsträubend, wie die Opfer teilweise beschimpft werden“, sagt Oberarzt Andreas Lachnit. Er leitet am Neustädter Klinikum die Station für Pädiatrische Psychosomatik. Die acht Stationsplätze sind fast ständig mit Kindern und Jugendlichen belegt, die unter psychosomatischen Störungen leiden und bis zu sechs Wochen in Behandlung sind. Die Jüngsten besuchen noch die Grundschule. Nahezu alle haben Mobbingerfahrungen gemacht. „Mobbing gab es schon immer. Aber es hat zugenommen“, sagt Lachnit und schätzt, dass mittlerweile jedes zehnte Kind betroffen ist.

Andreas Lachnit, Oberarzt am Neustädter Klinikum.
Andreas Lachnit, Oberarzt am Neustädter Klinikum. © René Meinig

Liane Leiser, die an der 128. Oberschule in Dresden-Reick als Lehrerin arbeitet, glaubt, dass es pro Klasse mindestens einen Mobbingfall gibt. „Ausgegrenzt werden Kinder, die weniger haben. Die zum Beispiel die abgetragenen Sachen der Geschwister anziehen müssen. Andere haben ADHS oder sind Autisten“, sagt sie. Leiser unterrichtet seit mehr als 30 Jahren und meint, es brauche feine Antennen der Lehrer, um Mobbing zu erkennen und die Täter ausfindig zu machen. Gespräche mit den Eltern und den Schulsozialarbeitern würden dann helfen, die Probleme zu lösen. Doch lange Zeit gab es zu wenig entsprechendes Personal an den Schulen. In diesem Jahr hat der Freistaat reagiert und ein Landesprogramm aufgesetzt, mit dem Schulsozialarbeiter nun flächendeckend an jeder Oberschule vertreten sind.

Laut Petra Nikolov, Sprecherin der Dresdner Bildungsagentur, gibt es mittlerweile 53 Vollzeitstellen für Schulsozialarbeiter an 39 Dresdner Schulen. Allerdings sieht die Bildungsagentur das Thema Mobbing derzeit nicht als Problem an. „Aktuell können wir keine Mobbingfälle oder ähnliche Auffälligkeiten bestätigen“, sagt Nikolov. Die Schulen seien generell bemüht, „auftretende Problemfälle“ eigenständig zu lösen. Nur in besonderen Härtefällen kämen die Schulpsychologen zum Einsatz. Oberarzt Lachnit kritisiert, dass es davon viel zu wenige gibt. Derzeit sind es sieben – für alle Schulen in Dresden, den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge. Zudem fordert er mehr niederschwellige Angebote.

Was Eltern bei Cybermobbing tun können

Woran erkennt man Cyber-Mobbing?

Anzeichen können beispielsweise sein, wenn Kinder sich zurückziehen, verschlossener werden und weniger von der Schule erzählen. Oft zeigen sie auch körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen. Möglicherweise sind Betroffene nicht mehr gerne im Internet, schließen Anwendungen wie Soziale Netzwerke, wenn jemand hinzukommt oder wirken verstört, nachdem sie aufs Handy geschaut haben.

Was können Eltern tun?

Sie sollten möglichst schnell, aber mit Bedacht handeln. Vorwürfe wie „Wie konntest du nur so dumm sein, ein Nacktfoto zu verschicken?“ sind wenig hilfreich. In erster Linie sollte es darum gehen, dem gemobbten Kind zu helfen und es zu unterstützen.

In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, beleidigende Videos und Bilder dem Anbieter zu melden. Über Apps geteilte Inhalte lassen sich oft aber nicht wieder vollständig entfernen. Findet das Cybermobbing in der Schule statt, sollte in Absprache mit dem Kind der Lehrer informiert werden.

Manche Eltern glauben, dass das Cybermobbing von alleine aufhört, wenn ihr Kind Internet und Handy nicht mehr nutzt. Das ist leider selten der Fall. Denn andere Personen sehen die Beleidigungen nach wie vor, reagieren darauf oder erzählen es weiter.

Wo finden Eltern Hilfe?

Zum Beispiel bei Online- oder Telefonberatungsstellen. Passiert das Mobbing in der Schule, kann man Klassen- oder Vertrauenslehrer ansprechen. Auch der schulpsychologische Dienst kann kontaktiert werden. In besonders schlimmen Fällen sollten Eltern die Polizei hinzuziehen. (dpa)

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Die Bildungsagentur verweist auf die Klassen- und Beratungslehrer. Polizeihauptmeisterin Susen Heerwagen weiß, dass sich betroffene Schüler selbst diesen Schritt nicht trauen. Täglich ist die 40-Jährige an den hiesigen Schulen unterwegs. Sie gehört zum Gewaltpräventionsteam der Polizeidirektion Dresden und klärt über Medien und Cybermobbing – also Mobbing im Internet – auf. Die Kinder seien versiert im Umgang mit den Internetplattformen Facebook, Instagram, Snapchat oder Musically. Allerdings denken sie oft nicht über die Folgen ihres Handelns nach. „Ich spreche sehr stark das Thema freizügige Fotos an. Schon in den fünften und sechsten Klassen machen die Kinder solche Fotos von sich, um anderen zu gefallen – und machen sich erpressbar.“

Nach dem Präventionsunterricht würden regelmäßig Schülerinnen zu ihr kommen und um Rat fragen. Meist ist die Scham zu groß, sich an die eigenen Eltern zu wenden. „Ohne Hilfe der Polizei oder eines Anwalts bekommen die Fälle aber eine schlimme Dynamik“, sagt Heerwagen. Damit es nicht soweit kommt, sind vor allem die Eltern in der Pflicht, die Internetnutzung der Kinder kritisch zu begleiten. Das bedeutet aber auch, dass sie die gängigen Plattformen kennen und verstehen müssen. Die Mobbingtäter sind dort oft anonym unterwegs, weil sie falsche Profile auf Facebook oder Instagram nutzen. Zudem gehen sie sicher mit Fotobearbeitungsprogrammen um und laden manipulierte und dadurch bloßstellende Fotos hoch.

Die Folgen für die Opfer sieht Oberarzt Andreas Lachnit Jahre später. Jene Kinder, die er stationär behandelt, klagen häufig über Bauch- oder Kopfschmerzen – ohne dass es dafür klinische Befunde gibt. Viele nehmen die Opferrolle dermaßen an, dass sie an Depressionen erkranken. Monatelang bleiben sie der Schule fern. Lachnit appelliert, dass sich der Fokus aber nicht immer nur auf die Mobbingopfer richtet, sondern auch auf die Täter. Oberschullehrerin Liane Leiser bringt es auf den Punkt: „Nicht der gemobbt wird geht, sondern der, der mobbt.“ Vom Verweis bis zum Schulausschluss sei alles möglich.

Rechtlich gesehen empfiehlt Polizeihauptmeisterin Heerwagen eine Anzeige bei der Polizei sowie Unterlassungsklagen durch einen Anwalt. Das habe auch bei unter 14-Jährigen schon Konsequenzen, zum Beispiel die Zahlung von Schmerzensgeld. Heerwagen warnt, das Thema Mobbing definitiv ernst zu nehmen. Denn im schlimmsten Fall wählen Opfer als letzten Ausweg den Selbstmord. Das sei auch schon in Dresden vorgekommen.