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Mit Hund und Kegel

Von wegen Sauf- und Altherrensport: Der Freitaler Lucas Dietze ist Vize-Weltmeister mit dem U18-Team und trinkt keinen Alkohol.

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© Thomas Kretschel

Von Michaela Widder

Die Trainerin kann sich noch gut erinnern, als sie den Blondschopf das erste Mal auf der Kegelanlage in Freital sah. „Das war im Oktober 2009, Lucas ist mir aufgefallen, er spielte auf Bahn vier und stellte sich nicht so doof an“, erzählt Silvia Burkhardt. Die 57-Jährige hat ihren Weg gefunden, um Nachwuchs für den Kegelsport zu sichten. Jede Woche fragt sie in der Gaststätte „Alle Neune“ auf der Anlage nach, ob sich ein paar Teenager mal wieder für eine Geburtstagsrunde verabredet haben.

Trainerin Silvia Burkhardt hat Lucas Dietze 2009 bei einer Geburtstagsfeier entdeckt und beim KSV Freital ausgebildet. Ihr Hund Kimba ist Maskottchen und fast immer dabei.
Trainerin Silvia Burkhardt hat Lucas Dietze 2009 bei einer Geburtstagsfeier entdeckt und beim KSV Freital ausgebildet. Ihr Hund Kimba ist Maskottchen und fast immer dabei. © kairospress

Und dann kommt die Trainerin, natürlich ohne Ankündigung, vorbei und schaut heimlich nach Talenten. „Man muss ja irgendwie zu Nachwuchs kommen“, sagt sie. In einem Sport, dem noch immer das Image anheftet, dass sich alte Herren zum Feierabendbier treffen und eine ruhige Kugel schieben, muss sie mit viel Eigeninitiative auf Nachwuchssuche gehen.

Mit 18 941 Mitgliedern ist Kegeln zwar die sechststärkste Sportart in Sachsen, aber mit einem Anteil von nur 4,2 Prozent an Kindern und 2,5 Prozent an Jugendlichen in der Nachwuchsgewinnung schwach. Beim KSV Freital sieht die Statistik besser aus: Jeder Fünfte ist unter 18 – auch wegen des Engagements von Silvia Burkhardt.

Damals war Lucas Dietze mit Schulfreunden zum Geburtstag auf der Kegelbahn, als er von seiner späteren Trainerin angesprochen wurde. Kurz darauf meldete er sich an. Dass er sich acht Jahre später Vize-Weltmeister mit dem U18-Team nennen darf und eines der größten Talente in Sachsen ist, gehört zu den größeren Erfolgsgeschichten für den kleinen Verein mit 102 Mitgliedern – und einem Hund. Kimba ist als Maskottchen fast immer dabei.

Dietz’ Urkunde ist eingerahmt und hängt in der Kegelbaude an der Wand. „Das ist für uns ein riesiger Erfolg“, sagt Burkhardt stolz. Seit vielen Jahren leitet sie die Kindergruppe und förderte Dietz. Bei Kreismeisterschaften hatte er seit 2011 immer in seiner Altersklasse gewonnen. Nur die Umstellung von der kleinen 1,8-Kilo-Kugel auf die Männer-Kugel, die ein Kilo mehr wiegt, fiel ihm mit 14 Jahren zunächst schwer. „Lucas hat das Ding nur noch nach vorn geknallt“, erinnert sich Burkhardt. „Er war zu schnell gewachsen und hatte plötzlich zu viel Kraft.“

Als er aber den Dreh mit seinem neuen Sportgerät nach einem Jahr raus hatte, kamen auch wieder die Erfolge. Erst gehörte er zur Landesauswahl, dann wurden die Bundestrainer auf den großen Blonden aufmerksam. Im vorigen Jahr wurde er mit zwölf anderen Athleten ins U18-Nationalteam berufen. „Es wurde jeden Monat aussortiert, und ich habe immer gebibbert“, erzählt Dietze. Denn für die WM wurden nur sechs Athleten nominiert. Erst zwei Wochen vor dem Höhepunkt im badischen Dettenheim stand seine Premiere fest.

Eigentlich war er nur als Ersatzspieler berufen worden, doch dann erlebte er seinen großen Moment. Weil ein Teamkollege mit der Bahn nicht zurechtkam und die Deutschen auf Platz vier abgerutscht waren, wurde der Sachse eingewechselt und brachte die Mannschaft auf den Silberrang. „Lucas hat viel Nervenstärke bewiesen, er hat sich da schon viel von älteren Kontrahenten abgeschaut“, meint die Trainerin.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Dietze in Freital bei den Männern ausgeholfen. In dieser Saison gehört er offiziell zur ersten Mannschaft, die in die 2. Bundesliga aufgestiegen ist. Zum Auftakt in Freiberg verlor das Team mit 0:8, am nächsten Samstag steigt die Heimpremiere gegen Zeulenroda. „Saisonziel ist der Klassenerhalt. Persönlich möchte ich mich in der Rangliste verbessern, um mich national in der U 23 zu etablieren“, sagt der angehende Tischlerlehrling, der zurzeit berufsvorbereitende Praktika absolviert.

Als er kürzlich mit seinen Kollegen zum Kegeln verabredet war, räumte er auch mit dem Vorurteil auf: „Ich trinke keinen Alkohol, Bier schmeckt mir gar nicht.“ Für Wettkampfkegler unter 18 herrscht sowieso ein striktes Alkoholverbot auf der Bahn. „Es wird ja oft gesagt: Kegelsport ist Saufsport, aber das stimmt nicht. Vielleicht ist das noch in einigen Dörfern der Fall“, meint Burkhardt.

Wenn der 18-Jährige demnächst mit den Kollegen zum Bowling verabredet ist, wird er jedoch nur zuschauen. Er ist kein Spielverderber, aber damit „versaut man sich die Kegeltechnik“. Und das könne er sich in der Saison als Zweitligaspieler nicht erlauben. Gewinnen würde er vermutlich trotzdem. „Es ist so“, meint die Trainerin, „jeder Kegler kann Bowling spielen. Aber nicht jeder Bowlingspieler kann kegeln.“