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Mehr als nur Striptease

Der Miskus bespielte am Wochenende gleich dreimal die Seebühne. Der Hauptgang war eine Burlesque-Show. DA sprach vorher mit den Künstlerinnen.

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© Dietmar Thomas

Von Marcus Möller

Kriebstein. Das gute Wetter an der Talsperre zaubert an diesem Sonnabend eine herrlich laue Dämmerungskulisse – deshalb genießt auch so mancher Bootsfahrer noch die Fahrt auf dem Wasser: Vorbei an der Seebühne, ein bisschen der netten Musik lauschen. Doch als die Show beginnt, da vergisst so mancher das Paddeln, die Boote werden merklich langsamer, wenn sie an der Seebühne vorbeifahren. Ein Schelm ist, wer denkt, das hätte mit der vielen nackten, weiblichen Haut zu tun, die auf der Bühne unwirklich wackelt.

„Burlesques Strandspektakel“ nennt es Jörn Hänsel vom Mittelsächsischen Kultursommer (Miskus), während er vor der Show noch mit seiner unnachahmlichen Ansagerstimme die Gewinnspielgewinner aufruft. Cocktailgutscheine und Karten für weitere Miskus-Veranstaltungen werden verlost. Von Letzteren gibt es viele, wie auch dieses Wochenende an der Seebühne Kriebstein zeigt: Am Freitag interpretieren die Mittelsächsische Philharmonie Freiberg gemeinsam mit der Singakademie Chemnitz Queen-Songs, am Sonntag zeigt das Eduard-von-Winterstein-Theater die Geschichte vom kleinen Muck. Und zwischendrin: Die Burlesque-Formation „The Lipsie Lillies“ aus Leipzig.

Eigentlich ein Quartett, müssen die Lillies derzeit zu dritt auftreten. Ulrike Biller alias Mama Ulita fällt derzeit aus. Bei der Sonnabend-Veranstaltung werden sie mit ihrem Programm „Badeperlen Deluxe“ dafür vom Leipziger Entertainer Bert Callenbach und dem „Nummerngirl“ Mitzi von Sacher unterstützt.

„Badeperlen Deluxe“ ist eines von mehr als 50 Programmen der Burlesque-Künstlerinnen. Für den Auftritt auf der Seebühne Kriebstein habe es aber etwas angepasst werden müssen: „Die Gegebenheiten sind hier wegen der Treppen natürlich etwas anders als auf klassischen Kabarettbühnen“ , sagt Anja Busse alias Simone de Boudoir vor Showbeginn. Das sollte für die erfahrenen Entertainerinnen aber kein Problem sein. Mehr als 50 Shows bringen sie jährlich auf die Bühne und waren bei ihrer Gründung vor acht Jahren die ersten Leipziger Burlesque-Künstlerinnen.

Im Oktober dieses Jahres werden sie sogar zum Stockholm-Burlesque-Festival fahren. Von Hunderten Bewerbern werden dorthin jedes Jahr 30 Acts eingeladen. „Es macht uns stolz, vor allem werden wir neben den Solokünstlern die einzige Gruppe sein.“ , sagt Mareike Eisermann alias Roxie Heart, die als mehrfache Deutsche Meisterin in Rhythmischer Sportgymnastik zum Burlesque fand.

Die Konzepte der Shows spielen bei den Lipsie Lillies eine einnehmende Rolle. Und obgleich die Damen gern Korsett tragen, trennen sie sich zugleich von künstlerischen Korsetts. Burlesque, als eine erweiterte, künstlerische Form des Striptease, weiten die Lipsie Lillies thematisch und technisch nach Belieben aus: „Wir arbeiten auch oft mit Gesang, bauten sogar mal Luftakrobatik ein.“, sagt Roxie Heart. Beim Kurt Weill Festival in Dessau interpretierten sie vor einigen Jahren Lieder von Kurt Weill auf burlesque Weise, mit der Show „Lipsie Lillies im Wunderland“ schlugen sie gar eine Brücke zu Disney. Die Liebe zum Burlesque ist bei den Leipzigerinnen eng verbunden mit einer Nostalgie für die Ästhetik und Musik vergangener Jahrzehnte oder alter Hollywoodfilme. 2009 sahen sie sich gemeinsam in London, der Hauptstadt des Burlesque, verschiedenste Showkonzepte an. Seither proben sie mindestens einmal die Woche.

Die tänzerische Erotik versuchen die Lipsie Lillies, stets mit einer Prise Humor zu würzen. Schließlich solle das Ganze vor allem unterhaltsam sein, sagt Miriam Heyde alias Miriellle Tanton.

Und das ist es, wie wohl auch die Zuschauer vorausgeahnt haben. Die Ränge der Seebühne sind nämlich bis oben hin gefüllt, als auch schon Bert Callenbach baywatchartig auf die Bühne hüpft und mit einem Tuch wedelt, welches das Wasser darstellt, durch das die Lillies sogleich in ästhetischer Höchstform schwimmen und tauchen. Bert, gleichzeitig Bademeister, reißt das Publikum schließlich mittels Trillerpfeife aus den Tagträumen, um sich als amüsanter Moderator zu entpuppen: Gemeinsam mit Mitzi von Sacher, die süßlich-naiv, dem Bademeister zunächst aber etwas zu korpulent ist, erklärt er den Zuschauern, wie burlesques Aufräumen funktioniert. Später verhakt er sich dann doch intim mit ihr und die beiden bringen mit teils großartiger Improvisation und einer sächsisch-erotischen Gesangseinlage Callenbachs das Publikum so in Fahrt, dass auch schon einmal eine Zuschauerin selbst das burlesque Aufräumen bravourös vorführt.

Der Humor funktioniert als Antrieb der Erotik, wie sich zeigt. Das ausgelassen lachende Publikum lässt sich nun entspannter ein auf die elegant sich entkleidenden Burlesque-Damen. Und die vorbeifahrenden Boote? Die fahren langsamer. Sie wissen schon, warum.