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Massentierhaltung mit Auslauf ab halb zehn

Auf einem riesigen Hühnerhof stellt Sachsens Sozialministerin Klepsch den Tierschutzbericht vor.

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© dpa/ZB-Funkregio/Jan Woitas

Von Georg Moeritz

Zwickau. Ständig Gackern im Hintergrund, mal wird es lauter, dann wieder leiser. Während Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) über den freiwilligen Verzicht aufs Schnabelkürzen spricht, steigen im benachbarten Stall fast 40 000 Hühner auf Stangen und Roste und wieder herunter. Manche finden auch Platz für einen Sprung und schlagen kurz mit den Flügeln. Ein Gewirr fürs Auge: Sechs Etagen mit Hühnern sieht der Besucher, das Ende des langen Stalls ist nicht zu erkennen. Transportbänder liefern braune Eier aus dem Stall in Richtung Packstation, zu den Stapeln mit Eierkartons und Aufklebern mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 6. Februar. Der Schönberger Geflügelhof Weber bei Meerane ist für Ministerin Klepsch ein „Vorzeige-Unternehmen“. In dem Betrieb mit 25 Mitarbeitern stellte Klepsch am Mittwoch den sächsischen Tierschutzbericht vor. Den gibt es nur alle fünf Jahre.

Landwirt Jürgen Weber weiß, dass sein Betrieb mit insgesamt fast 75 000 Hühnern nicht einmal zu den großen in Sachsen gehört. Er verkauft seine Hühnereier über Supermärkte der Umgebung und über Bäckereien. Einen Hofladen mit Wurst aus eigener Schlachtung bietet er auch. Die Käfighaltung hat Weber im Jahr 2002 abgeschafft, seitdem können sich die Tiere innerhalb des Stalls auf mehreren Ebenen bewegen und ab halb zehn Uhr morgens auch nach draußen. Bis dahin sollen sie ihr tägliches Ei drinnen gelegt haben. Ein Teil der Tiere folgt den Besuchern neugierig erst in den überdachten Vorraum, dann auf die Wiese. „Freilandhaltung aus unserer Region“ steht auf Webers Eierkartons.

„Anders kann man Hühner nicht halten“, sagt Weber. 50 Hühner auf einem Misthaufen, das funktioniere nicht. Viele Menschen hätten ein „verklärtes Bild“ von Landwirtschaft, die Akzeptanz lasse immer mehr nach. Freilich gebe es auch die Bio-Landwirtschaft, mit kleineren Herden. Darüber denkt Weber nach, doch einstweilen kauft er Bio-Eier für seinen Handel von einem anderen Bauernhof.

Landwirt Weber beteiligt sich an einer „freiwilligen Vereinbarung“, nach der seine Hühner mit ungekürztem Schnabel leben dürfen. Damit sie einander nicht die Federn herauspicken, bekommen sie Picksteine und besonderes Heu zur Beschäftigung. „Bei uns ist es gutgegangen“, berichtet Weber. Allerdings koste diese tierfreundlichere Haltung mehr Geld.

Ministerin Klepsch äußert sich diplomatisch. Einerseits betont sie, die Haltungsbedingungen müssten an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden – nicht umgekehrt. Andererseits weisen Klepsch wie auch Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt stets darauf hin, beim Tierschutz dürfe man die „wirtschaftliche Machbarkeit nicht aus den Augen verlieren“. Das sei möglich, bewiesen durch Beispiele wie Weber oder den Träger des diesjährigen Tierschutzpreises, Bernhard Steinert in Cunnersdorf. Schlagwörter wie Massentierhaltung suggerierten, es gebe Tierwohl nur in kleinen Betrieben – doch das stimme nicht.

„Der Verbraucher entscheidet“, auch diese Aussage gehört zum Repertoire der Minister. In Klepschs Tierschutzbericht steht, die meisten Konsumenten seien nicht bereit, drei bis sechs Prozent höhere Preise für mehr Tierschutz zu bezahlen.

Mehr als fünf Millionen Hühner leben in Sachsen. Zu den Fortschritten beim Tierschutz gehört laut Klepschs Bericht, dass der „letzte Schritt zum Ausstieg aus der Käfighaltung“ getan ist. Im Jahr 2025 soll sie enden, in Einzelfällen 2028.

Lange Übergangsfristen wollen die Minister auch Schweinehaltern erlauben. Rund 650 000 Schweine leben in Sachsen. Vor gut einem Jahr beurteilten Richter die üblichen Kastenstände für Sauen als zu klein. Arbeitsgruppen der Ministerien bereiten neue Vorschriften vor, laut Tierschutzbericht voraussichtlich mit 10  bis 15 Jahren Übergangsfrist, orientiert „an den Abschreibungsfristen der Stall-Einbauten“. Die sollen sich erst rentiert haben.

„Mit Zwang erreicht man am wenigsten“, sagt Ministerin Klepsch. Zudem wolle sie nicht, dass die Produktion ins Ausland abwandert. Dennoch ist nach ihren Angaben die Zahl der Tiertransportkontrollen erhöht worden. „Die Kontrollen sind aus meiner Sicht ausreichend“, sagt Klepsch. Widerspruch kommt von Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Landtag: Viele Missstände bleiben nach seiner Ansicht im Dunkeln, weil Kontrollkapazitäten fehlen. Laut Tierschutzbericht wurden im Jahr 2016 insgesamt 2 902 der über 31 000 kontrollpflichtigen Betriebe in Sachsen überprüft, im Jahr zuvor 3 217. In mehr als sechs Prozent wurden Verstöße festgestellt, zum Beispiel bei Schweinen zu wenige Platz, Überbelegung oder Schwanzkürzen ohne Betäubung.

Die Zahl der Tierversuche hat in Sachsen weiter zugenommen. Die Zahlen stehen zwar diesmal nicht im Bericht, aber auf Nachfrage teilt das Ministerium mit: Fast 90 000 Versuchstiere in Sachsen dienten im Jahr 2016 der Forschung, darunter 77 000 Mäuse. In Dresden werde mehr geforscht als früher, das sei zu begrüßen, wenn auch bedauerlich für die Tiere.

Zur Unterstützung der rund 50 Tierheime in Sachsen gibt das Land pro Jahr insgesamt 630 000 Euro aus. Die Grünen forderten zusätzliches Geld für Personalkosten..