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Letzte alte Bahnbrücke verschwindet

Bei der Abbruch-Aktion am Leisniger Platz haben die Bauleute viel Aufwand, um die Bäume zu schützen.

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© Norbert Neumann

Von Peter Hilbert

Laut dröhnt der Motor des Schwerlastkrans. Am Leisniger Platz drängen sich die Schaulustigen am Sonnabendabend dicht an dicht hinter den Sperrzäunen. Zwei Stunden lang haben die Männer von Hentschke Bau alles vorbereitet. Jetzt kommt die Stunde von Steffen Hermann, der im Führerstand hoch oben im Führerstand seines 150-Tonnen-Krans thront.

Aus dem Sprechfunkgerät hallt das Kommando: „Heb mal an“. Leicht drückt Hermann auf den rechten Hebel. Die Stahltrosse am 22 Meter hohen Kranarm spannt sich. Doch an der Stahlbrücke ist noch nichts zu sehen. Nach wie vor liegt sie fest auf den Betonwänden an ihren Enden, den sogenannten Widerlagern. Doch die sind nicht das Problem. Während die Konstruktion an der Ostseite auf einem Rollenlager liegt, ist sie vis-à-vis noch mit dem rostigen stählernen Festlager verbunden. Das gibt nicht so leicht nach. Doch dann ein Ruck. Die Brücke hebt sich Zentimeter um Zentimeter, schwebt letztlich in luftiger Höhe.

Oben am Bahndamm steht Michael Michaelis. Der Bauleiter beobachtet die Szenen. Öffentlich wird die Aktion vor allem deshalb so aufmerksam verfolgt, weil die Bahnunterführung am Leisniger Platz von Sonnabendnachmittag bis heute, 5 Uhr, gesperrt wird. Also ist von dem Hentschke-Bauchef und seinen Männern schnelles Handeln gefragt. In einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) mit Strabag Rail, die sich vor allem um den Streckenbau kümmert, wird seit Anfang 2012 die über fünf Kilometer lange Strecke ab dem Neustädter Bahnhof bis Radebeul-Ost ausgebaut.

Dabei gibt es künftig jeweils zwei Fernbahn- und zwei S-Bahn-Gleise. Die Brücke am Haltepunkt Pieschen, über die sie führen, ist weitgehend fertig. Jetzt hat die Arge noch den Zusatz-Auftrag erhalten, auch die benachbarte alte Stahlbrücke zu erneuern, die letzte bei diesem Großprojekt, erläutert Arge-Projektleiter Daniel Windisch. Sie ist ein Teil der Nebentrasse, die von der Hauptstrecke in Richtung Güterbahnhof Neustadt abzweigt. Im Alltag rollen nur Güterzüge über sie. Bei Notfällen kann sie aber auch als Ausweichstrecke für die Haupttrasse genutzt werden. Ende September soll sie wieder befahrbar sein. Allerdings mit einer neuen Stahlbeton-Rahmenbrücke, die bis zu 120 Jahre hält.

Kranführer Hermann hat die erste Etappe fast geschafft. Behutsam lässt er den 18 Meter langen Stahlkoloss neben der Straße herab. Allerdings gibt es ein Problem. Denn dort ragen eine stattliche Lärche und ein weiterer Baum empor. „Die müssen erhalten bleiben“, erklärt Bauleiter Michaelis.

Was für Dirk Kunze und die beiden Spezialisten seines Radeberger Krandienstes erheblichen Aufwand bedeutet. Denn die Brücke kann nicht in einem Zuge zur Seite gehoben werden, sondern muss zwischendurch einmal abgesetzt werden, damit sie durch die Lücke passt. So ist es zumindest geplant. Doch die Realität macht diesen Plan zunichte. „Die Brücke ist schwerer als angenommen“, erläutert Kunze das Problem. Geschätzt waren 35 bis 40 Tonnen. Real sind es jedoch 47 Tonnen, hat der Kran gemessen.

Also muss Kunzes Kran sich noch einmal neu postieren, bis ganz an den Fußwegrand. Nur so kann der Stahlkoloss ein Stück weiter gehoben werden, damit er letztlich durch die Bäume passt. Also müssen die seitlichen Stützen wieder abgesenkt werden, bis der 104 Tonnen schwere Kran mit seinen sechs Achsen komplett am Boden steht. Dann rangiert Kranfahrer Hermann ein Stück zur Seite. „Mach Allrad rein“, ruft Kunze, als es über den Bordstein geht. Eine halbe Stunde später: Die langen Seitenstützen sind erneut ausgefahren, stehen auf Abstützplatten und -hölzern. Die Räder hängen in der Luft.

Währenddessen dröhnt der große Abbruchhammer an der dicken Stahlbetonwand, auf der die Brücke lag. Staubwolken ziehen über die Straße. „Jetzt sollte es gehen“, ruft Kunze, als die Stahlkonstruktion zwischen den Bäumen schwebt. „Weiter Hermi, soweit du sie kriegst“, kommandiert er. Dann liegt das Teil am gewünschten Platz. Später muss es nur noch einmal umgesetzt werden, bevor diese Woche der Schneidbrenner angesetzt wird. Am ersten Juli-Wochenende gibt es aber noch eine Sperrung. Dann erhält der Schwerlastkran wieder Arbeit und hebt drei vorgefertigte Stahlbeton-Fertigteile der Brücke ein.