Von Catharina Karlshaus
Großenhain. Die Geschichte ist filmreif. Eine Mischung aus Bernsteinzimmer, Geniestreich und Räuberpistole in einem. Robin Hood, Alfons Zitterbacke und Schenkelklopfer zugleich: Als am Mittwochmorgen das erste Mal die Frühlingssonne durch das frisch geschlagene Loch in der Wand hinter dem Großenhainer Alberttreff blinzelt, ist sein langes Schattendasein beendet. Stück für Stück klopfen ein paar Männer von der Sauer Stadt und Landbau GmbH jene schützende Hülle frei, die das Innere zwei Jahrzehnte vor den skeptischen Blicken der Nachwende-Welt bewahrt hat.
Großenhains verschwunden geglaubtes Lenin-Denkmal
Kurz vor halb neun ist es dann soweit. Zum Vorschein kommt plötzlich, was seit Oktober 1992 als verschwunden galt: das sogenannte Lenindenkmal. Geschaffen vom Dresdner Bildhauer Hans Peschel war es anlässlich des 100. Geburtstages des russischen Revolutionärs Wladimir Iljitsch Lenin im Jahre 1971 in Großenhain aufgestellt worden. Ein massiger Betonblock, auf dem das Großenhainer Rathaus zu erkennen ist, viele Menschen, ein Gewehr sowie ein Zitat des kommunistischen Politikers. „Das ist ja echt ein Ding! Steht das Teil hier einfach so rum und keiner hat nen Schimmer davon“, sagt einer der Arbeiter lachend und schüttelt ungläubig den Kopf.
Was er nicht ahnen kann: Einige wenige Großenhainer wissen sehr wohl davon, was sich jahrelang, geschützt in einem Sarkophag, hinter den mit Graffiti besprühten Wänden verborgen hat. Mehr noch. Sie waren Teil einer kleinen verschworenen Gemeinschaft, die sich gut drei Jahre nach der politischen Wende in der ehemaligen DDR dazu entschlossen hatte, dieses Teil zeitgenössischer Kunst zu erhalten.
Einstmals am Radeburger Platz (Leninplatz)
Gewissermaßen in einer Nacht- und Nebelaktion schafften sie das teilweise bewusst mit Teer beschmierte und deshalb schnell abzubauende Denkmal beiseite. Wurde es zeitweilig zunächst auf dem ehemaligen Exerzierplatz der Husaren im Westen der Stadt in einer Erdmulde versteckt, habe es aufgrund von Bauarbeiten an der betreffenden Stelle dann wieder woanders hingeschafft werden müssen. Eben hin zum heutigen Soziokulturellen Zentrum Albertreff am Remonteplatz. Ein kompliziertes Prozedere, das so manchem Komplizen gewiss die Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben wird. „Man darf ja nicht vergessen, wie die Stimmung Anfang der 1990er Jahre gewesen ist! Die Leute verteufelten alles, was mit der jüngsten Vergangenheit zu tun hatte“, erinnert sich Marcel Reichel.
Der 38-jährige Hobbyhistoriker gehört zumindest an diesem Mittwoch im Mai 2017 zu jenen Großenhainern, die eindeutig wissen, was hier zu finden ist. Mehr noch. Mit einem überschaubaren Kreis von eingeweihten Menschen in den diversen Behörden von Stadt und Land hat der Betreiber des Bunkermuseums auf dem Flugplatz diesen Tag X sorgsam vorbereitet. Den Tag X, an welchem das heimlich eingemauerte Denkmal wieder ans Licht der Großenhainer Öffentlichkeit kommen soll. Der Tag X, von dem jener Maurer, der den Job seinerzeit stillschweigend übernommen hatte, sicherlich ahnte, dass er irgendwann einmal kommen würde.
Und – irgendwann ist also jetzt. Pünktlich um zehn hat Kranfahrer Tilo Hofmann sein Gefährt in Position gebracht. Wie viel das inzwischen komplett freigelegte Denkmal wiegt, lässt sich in diesem Moment nur schwer schätzen. 15 bis 20 Tonnen vielleicht mutmaßen die Männer. Der 47-jährige Mitarbeiter der Firma Bothur ist vorsorglich ganz dicht rangefahren, befestigt die Gurte und hat alles richtig gemacht. Der schwere Betonbrocken schwebt seiner Zukunft inmitten der Ausstellung am alten Flugplatz entgegen. Geradewegs hin zur Abschieds-Stele, die die sowjetischen Streitkräfte vor ihrem Abzug im März 1993 aufgestellt hatten und die detailgetreu restauriert bereits einen Platz auf dem Großenhainer Areal gefunden hat.
Bevor das Lenindenkmal in unmittelbarer Nachbarschaft in die Erde eingelassen wird, vergehen indes noch ein paar Stunden. Denn auch, wenn der Koloss letztlich nur zehn handliche Tonnen wiegt, mit schnell bindendem Beton gearbeitet wird – es dauert. Das Kunstwerk muss am Bothurschen Kran hängend weiter ausharren.
Eine Warterei, mit der sich das geschundene Objekt auskennen dürfte. Schon vor sieben Jahren war es nämlich schon einmal ganz dicht davor, aus seinem unfreiwilligen Steinsarg befreit zu werden. Der Pfingsttornado 2010 hatte just am Marstall das eine oder andere Stück Dach, Steine und Putz zu Boden befördert. Ein Sturm, der auch am Versteck des Denkmals mächtig kratzte. Allerdings: Seine Zeit war offenbar noch nicht gekommen. Das unsichtbare Netzwerk an Großenhainern, die es für den richtigen Moment aufbewahren wollten, funktionierte erneut.
Ob der Moment für eine Wiederkehr nun der Richtige ist, wird sich erst noch in den nächsten Wochen zeigen. Am Nachmittag steht es jedenfalls wieder da. Das für immer verschwunden geglaubte Denkmal von Großenhain. Lenin ist zurück.