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Krauthobeln für den Peststein

Bei einer Wanderung haben Schüler in Trogen ein altes Denkmal entdeckt. Und haben es jetzt adoptiert.

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© privat

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Die 6b der Lommatzscher Oberschule hat Wandertag, ist in Trogen unterwegs, als der Schüler Felix Kneschke seine Klassenlehrerin Waltraud Sonnleitner am Ärmel zupft: „Frau Sonnleitner, können Sie bitte mal mitkommen? Ich habe da was entdeckt.“ Die Lehrerin stapft mit dem Schüler durch ein verwuchertes Gelände. Dann stehen sie plötzlich vor einem etwa 1,70 Meter großen Stein. Es ist ein Grabstein mit einer langen Inschrift, die so verwittert ist, dass man sie kaum lesen kann. Das, was die beiden entziffern können, fasziniert sie. Dieser Stein ist mehr als 400 Jahre alt, stammt aus dem Jahr 1608 und erinnert an die ersten acht Pesttoten der Stadt Lommatzsch. „Wir haben herausgefunden, dass die Pesttoten nicht auf dem Friedhof beerdigt, sondern in einem Garten vergraben wurden“, sagt Waltraud Sonnleitner. Insgesamt, so haben die Schüler recherchiert, starben damals in Lommatzsch 1 350 Menschen an der schwarzen Seuche. Doch der Stein erinnert nicht nur an die Pesttoten, sondern auch an einen Blitzschlag 199 Jahre später. Das gesamte Dorf brannte ab und wurde wieder aufgebaut. Aus der Inschrift wird deutlich, dass der Stein damals möglicherweise neu aufgestellt wurde: „Johann Gotthilf Reichert, Brau- und Schenkwirt zu Trogen, und dessen Ehefrau Johanne Christine geb. Nohekin haben diesen Stein errichten lassen als mit Gottes Hilfe sämtliche Wohn-und Wirtschaftsgebäude wieder aufgebaut wurden, welche am 9. Juli 1802 durch einen Blitzstrahl in die Asche gelegt wurden. Dieses geschah am 8. August 1806 an eben dem Tag, als vor 199 Jahren der Wirt Thifttahls als eines der ersten Opfer der Pest ... gestorben ist.“

Waltraud Sonnleitner und Schüler Felix Kneschke, der den Stein entdeckte.
Waltraud Sonnleitner und Schüler Felix Kneschke, der den Stein entdeckte. © Gerhard Schlechte
Die Inschrift soll wieder lesbar gemachtwerden.
Die Inschrift soll wieder lesbar gemachtwerden. © Gerhard Schlechte

Die 6b war sofort Feuer und Flamme, sich dafür einzusetzen, den alten Stein zu erhalten. „Der Stein war in einem erbärmlichen Zustand. Er war nicht nur verwittert, sondern stand völlig schief. Er hätte kein Jahr mehr gestanden. Beim nächsten Sturm wäre er wohl umgefallen“, sagt die Lehrerin. Das letzte Mal wurde der Stein im Jahre 1937 saniert. Der Schlussstein wurde später gestohlen, es konnte Wasser in den Sandstein eindringen, Frostschäden drohen.

Doch eine Sanierung kostet Geld, viel Geld, zuviel Geld für die Schüler. Um die 5 000 Euro wären nötig. Doch dann finden sie einen Steinmetz aus der Umgebung, der es für nicht mal die Hälfte machen würde. Das ist immer noch viel Geld, doch die Mädchen und Jungen der 6b lassen sich nicht entmutigen. Zum Lummscher Krautmarkt hobeln sie wie die Wilden Kraut, spielen rund 380 Euro ein. Zur Ausbildungsmesse in der Schule backen und verkaufen sie Waffeln. Dort ist auch der Unternehmer Frank Kühne vertreten. Der ist ganz begeistert von dem Engagement der Schüler. Und verspricht, Geld dazuzugeben. Er knüpft das aber an eine Voraussetzung. Die Schüler sollen in der Heimatgeschichte ihrer Region recherchieren. Am letzten Schultag vor den Winterferien haben sie ihre Ergebnisse vorgestellt. Frank Kühne ist in die Schule gekommen, hat sich die Ergebnisse angesehen und angehört. Und ist wieder begeistert. Er hält sein Versprechen, steuert das Geld bei. „Die Politik spart an der Bildung, da müssen wir doch unsere Jugend unterstützen, damit sie wieder Mut schöpfen kann“, sagt der Lommatzscher. Es sei wichtig, die Jugend für die Heimat zu begeistern, sie zum Hierbleiben zu bewegen. „Die jungen Leute sollen in ihrer Heimat lernen, arbeiten und leben, sie gehören doch nicht nach München. Was soll denn sonst aus unserer Region werden?“, so Kühne.

Geld erhält die Klasse auch aus einem Förderprojekt. Das nennt sich „Schüler adoptieren Denkmal“. Mit acht Mann fahren die Lommatzscher zur Projekteröffnung nach Chemnitz. „Wir waren mit unserer Klasse die Jüngsten und bekamen die Höchstförderung von 500 Euro“, freut sich Waltraud Sonnleitner. Nach den Ferien soll es mit der Sanierung des Steines losgehen, bis zu den Sommerferien soll alles fertig sein. Die Schüler wollen so weit wie möglich helfen, Unkraut ziehen, Blumen Pflanzen. Und es gibt weitere Helfer. Der Wirt der „Müllerwiese“ in Trogen gab 200 Euro dazu. Das offene Jugendhaus wird die Schüler mit einem Kleinbus nach Trogen fahren, ein Steinmetz aus Gostewitz wird den Schlussstein fertigen. „Es soll wieder ein würdiges Grab werden“, sagt die Klassenlehrerin. Nicht nur sie freut sich, mit welcher Begeisterung die Sechstklässler bei diesem Projekt, das sie selbst erdacht haben, dabei sind.