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Kopfhörer drauf, die Sonne geht auf

Ein Wochenende lang feiern die Bewohner des Hechtviertels ihren Stadtteil. Heimlicher Hit der Party: eine stille Disko.

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© André Wirsig

Von Anna Hoben

Man könnte ja meinen, so eine Silent Disko sei ein weiteres Symptom der zunehmenden Vereinzelung in einer unsolidarischen Ellenbogen-Gesellschaft. Jeder hört nur das, was er hören will. Keiner weiß, was im Kopfhörer des Gegenübers vor sich geht. Frei nach Hermann Hesse: Kein Tänzer sieht den andern, jeder tanzt allein.

Bilder vom Hechtfest in Dresden

Von Freitag und bis zum Sonntagabend feierten die Anwohner der Leipziger Vorstadt sich und ihren Stadtteil beim Hechtfest. Impressionen vom Fest.
Von Freitag und bis zum Sonntagabend feierten die Anwohner der Leipziger Vorstadt sich und ihren Stadtteil beim Hechtfest. Impressionen vom Fest.

I wo! Wer beim Hechtfest die nur äußerlich stille Tanzveranstaltung am Königsbrücker Platz betritt, den Menschen zuschaut und mittanzt, muss zu dem Schluss kommen, dass Silent Disko die bessere Disko ist. Gerade die Tatsache, dass jeder sein eigenes Ding macht, scheint paradoxerweise dazu zu führen, dass alle aufmerksamer zueinander sind als sonst im Club. Mit Zäunen haben die Veranstalter ein kleines Areal um einen Baum herum vom Rest des Fests abgetrennt. 100 Kopfhörer stehen zur Verfügung, und um 22 Uhr am Sonnabend muss man eine ganze Weile Schlange stehen, um einen zu ergattern. Am Rand der Tanzfläche zwei DJs, deren Musik auf die Kopfhörer übertragen wird. Lukas Müller, 18, ist für den elektronischen Mix zuständig. „Gut für mich“, sagt er, „ich kann spielen, was mir passt, das Einzige, was fehlt, ist das Feedback der Leute“. Gibt es verzückte Schreie, weiß er nicht, ob sie ihm gelten oder seinem Kollegen.

Ein kleines Licht am Kopfhörer zeigt den Kanal an, der gespielt wird. Grün: elektronisch. Rot: Michael Jackson, 80er-Jahre-Chartsongs, ewige Partykracher wie „Walking on Sunshine“. So sehen sie auch aus, die Tanzenden, als würden sie auf einer Welle aus Sonnenstrahlen surfen. Zum Beispiel die 18-jährige Brigitta, wallende Mähne, Sonnenbrille, Glückseligkeit im Gesicht. Sie tanzt, als habe die Nacht nicht gerade erst begonnen, sondern sei schon bald zu Ende. „Es ist cool, dass man die Lautstärke selber einstellen kann, so kann man die Musik schön leise machen, damit die Ohren nicht kaputt gehen“, sagt sie.

Vor einer Woche ist sie von Eisenach nach Dresden gezogen, um ein freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege zu absolvieren, zum Hechtfest hat sie durch Zufall gefunden. Auch Maxim, 24, ist zum ersten Mal da. Sein gleichaltriger Kumpel Waldemar hat sich derweil mitten in der Disko auf einer Bank niedergelassen und liest in Tolstois „Kreutzersonate“, die er nebenan beim Bücherflohmarkt erworben hat. Zwei Frauen, etwa Mitte 50, schreien einander über die Kopfhörer hinweg an. „Komm, wir machen ein Selfie!“ Von draußen gucken Leute durch den Zaun, ein bisschen wie im Zoo, amüsiert – und ziemlich neidisch.