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Kontrolle geht vor

Wer ins Gericht in Löbau will, muss vorher an Jens Ballack und Ronny Thiele vorbei. Ein Morgen mit den Justizbeamten.

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© Matthias Weber

Von Susanne Sodan

Der ältere Herr mit dem eisgrauen zurückgekämmten Haar packt aus. Viel ist es nicht: ein Portemonnaie, eine Taschenlampe – und Hosenträger. Der Mann schmunzelt. „Ach, die hab ich ganz vergessen“, murmelt er. Jens Ballack antwortet: „Solange das Beinkleid oben bleibt, ist alles ok.“ Ihn verwundert nur noch wenig. Seit 17 Jahren arbeitet er als Justizbeamter, seit 2013 bei der Löbauer Zweigstelle des Amtsgerichts Zittau. Eine der Aufgaben: Gemeinsam mit seinem Kollegen Ronny Thiele kontrolliert er Besucher, Kläger und Angeklagte, bevor sie das Gerichtsgebäude am Promenadenring in Löbau betreten dürfen.

Mittwochmorgen, auf der Liste der vielen Verhandlungen an diesem Tag stehen vor allem Zivilsachen: zwei Klagen von Privatpersonen gegen Versicherungen, später ein Streit in einer Kleingartenkolonie. Allgemein sind in der Löbauer Zweigstelle vor allem Zivilverfahren, Betreuungs- und Vollstreckungssachen auf der Tagesordnung. „Ab und an haben wir auch Strafverfahren“, erzählt Angela Holland, stellvertretende Geschäftsleiterin des Amtsgerichtes Zittau, zu dem auch die Löbauer Stelle gehört. Das hört sich alles zunächst nach sachlichen Angelegenheiten an und nicht nach heftigen Reaktionen, die mehr Sicherheit erfordern. Aber man weiß eben nicht, was die Verhandlungen für die Betroffenen bedeuten. In Löbau seien die Verhandlungen bisher tatsächlich, mit wenigen Ausnahmen, recht ruhig abgelaufen, erzählt Angela Holland. Aber nach Fällen wie dem tödlichen Anschlag auf die Ägypterin Marwa Ali El-Sherbini im Landgericht Dresden 2009 wurden nach und nach alle Gerichte mit Sicherheitsschleusen ausgestattet. Die in Löbau gibt es seit 2011.

Wie reagieren aber die Besucher darauf? „Ich habe nur einen Schlüssel und ein Handy dabei. Und haufenweise Gerümpel“, sagt Ariane Richter bei der Taschenkontrolle. Sie reagiert jedenfalls mit guter Laune. Kein Kunststück – sie ist in keine der Verhandlungen involviert, sondern nur Zuschauerin. Ariane Richter gehört zu einem Kurs der BAO in Löbau und der Besuch im Amtsgericht ist Teil ihrer Weiterbildung. Durch die Sicherheitskontrolle am Eingang hinter der großen Holztür muss sie trotzdem durch. „Als ich reinkam, war ich kurz ein bisschen verwundert“, sagt Ariane Richter. „Ich glaube, früher gab es die Schleuse noch nicht, oder? Aber ich finde es in Ordnung so“, sagt sie. „Es kann hier jeder reinkommen.“

Dieser Meinung sind an diesem Mittwoch alle der Befragten. „Ein bisschen verwundert war ich“, sagt eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen mag. „Aber bei allem, was man so durch die Medien hört ...“, ergänzt sie. Und beim Flughafen sei es ja auch nicht anders. „Zu Beginn haben sich viele gewundert“, sagt Jens Ballack, der damals noch im Landgericht Görlitz arbeitete. „Aber mittlerweile haben sich die Leute dran gewöhnt.“ Vielleicht auch deshalb, weil das Thema Sicherheit und Kontrollen in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist im Alltag.

Am Eingang zum Gerichtsgebäude, direkt hinter der dicken Eingangstür, geht es jetzt tatsächlich ein bisschen zu wie beim Flughafen. Hinter Ariane Richter haben sich weitere Mitglieder vom BAO-Kurs eingefunden und sorgen für ungewöhnlich viel Andrang bei einer Zivilverhandlung. „Der Richter hat gerade schon von oben angerufen, ob er beginnen kann“, sagt Ronny Thiele. „Aber die Kontrolle geht vor“, ergänzt Ballack. Die besteht aus zwei Teilen. Erst die Taschenkontrolle. Die übernimmt an diesem Mittwoch Jens Ballack. Gerümpel, wie Ariane Richter sagte, interessiert ihn dabei nicht. Ihm geht es um Gegenstände, mit denen man einen anderen Menschen verletzen könnte, mit denen man auf andere einstechen oder einschlagen könnte. „Deo oder Parfüm nehmen wir aus den Taschen auch raus“, erklärt Ballack. Weil sich damit – und einem Feuerzeug – Stichflammen erzeugen lassen. Schlagstock und Pfefferspray, damit dürfen hier nur Ballack und Thiele selber rein.

Ballack begrüßt die Besucher stets mit einer Frage: „Guten Tag! Personenkontrolle. Haben sie spitze Gegenstände, zum Beispiel Nagelfeile, Schere oder Taschenmessser dabei?“ „Ich kann den Spruch auch variieren“, ergänzt er. Er lächelt nicht oft, aber den Witz hört man in der Stimme. „Wenn ich zum Beispiel ganz klar einen Handwerker vor mir habe, dann frage ich nach Dingen, die bei dem Beruf naheliegen, zum Beispiel nach Werkzeug, Nägeln oder Cuttermesser.“ Mit Handwerk kennt er sich ohnehin aus. Seit 2000 arbeite er in der Justiz, seit 2013 in Löbau. Früher hatte Ballack einen anderen Beruf: Er arbeitete im Bergbau, als Klempner und im Fensterbau. Und auch Ronny Thiele hatte früher einen anderen Job, im Büro. Irgendwann, erzählt er, kam der Wunsch auf nach einer Arbeit, die nicht nur im Büro stattfindet. Nach einer Ausbildung im Justizdienst arbeitet er seit 2016 am Löbauer Gerichtsstandort. Mehr Menschen, vielfältigere Aufgaben hatte er sich gewünscht. Beides gibt es hier. Die Aufgaben der Justizbeamten reichen von der Postannahme und -verteilung über die Archivverwaltung und die Telefonzentrale – bis zu den Kontrollen.

Bei der Taschenkontrolle hat Jens Ballack Hilfe in Form einer speziellen Taschenlampe. Die bringt nicht nur Licht in die Tiefen von Rucksäcken, sondern kann auch vibrieren. In der Lampe ist ein Sensor angebracht, der bei Metall anschlägt. Das System der Kontrolle ist einfach. „Ich muss einmal alles gesehen haben“, sagt Ballack. Ist der Inhalt der Tasche nicht äußerst übersichtlich, lässt er auch ausräumen. Handy, Schlüssel, Portemonnaie, das hat so ziemlich jeder dabei. Taschentücher sieht man häufig auf dem kleinen weißen Kontrolltisch, Feuerzeuge, Handschuhe, Mützen, Kaugummi und Schreibutensilien. Ein Mann mit schwarzer Mütze und sehr großem Rucksack – vollgepackt mit Ordnern – ist der Nächste. „Da ist es klar, die lasse ich natürlich ausräumen, sonst komme ich ja nicht bis zum Boden vor“, sagt Ballack. Wie ist es mit Kosmetiktäschchen, in denen ja doch recht private Dinge drin sein könnten? Die Justizbeamten schütteln beide die Köpfe, keine Ausnahme. „Reinschauen müssen wir.“ Ja, es gebe auch hin und wieder Menschen, die diese Kontrolle ablehnen. Dann bleiben zwei Möglichkeiten. „Entweder der ganze Rucksack bleibt hier oder meinetwegen die ganze Person“, sagt Ballack. Es seien Leute auch schon zurück zum Auto gegangen, um dort die Dinge, die ihnen unangenehm waren, zu verstauen. Recht häufig, erzählen die beiden, entdecken sie kleine Messer. Und zwar besonders im Herbst und bei Damen mittleren und höheren Alters. „Das ist die Pilzzeit“, sagt Ballack. „Man vergisst auch schnell, dass man sowas dabei hat. Den Frauen ist das dann meistens ganz unangenehm.“

Nächster Schritt ist die Personenkontrolle. Die übernimmt Ronny Thiele. Bitte einmal langsam durch die Schleuse gehen! Rote LED-Leuchten an der Schleuse zeigen sofort an, wo sich an der Kleidung Metall befindet. In diesen Bereichen untersucht Thiele nochmal mit der Sonde. Wenn die Beamten unsicher sind, was sich beispielsweise in einer Hosentasche befindet, dürfen sie die Leute auch abtasten. Normalerweise übernimmt das Abtasten bei weiblichen Besuchern auch eine weibliche Justizbeamtin. „Tja, wir sind nun zwei Männer“, sagt Ballack. Ihre Lösung: Im Fall der Fälle fragen sie die betroffene Frau vorher, ob sie abtasten dürfen. Lautet die Antwort Nein, wird eine weibliche Mitarbeiterin hinzugerufen.