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Kinder werden Lebensretter

Grundschüler lernen, wie sie Verunglückten helfen können. Bei der Ausbildung fällt ein Chefarzt in Ohnmacht.

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© André Braun

Von Cathrin Reichelt

Leisnig/Sitten. Willi brüllt den am Boden Liegenden an und rüttelt ihn an den Schultern. Keine Reaktion. Der Neunjährige prüft, ob der Verunglückte noch atmet. Dann greift der Junge zu einem Schwamm. „Das ist mein Handy“, sagt Willi bestimmt und drückt auf einer fiktiven Tastatur die Zahlen 112. Anschließend legt er beide Hände übereinander und beginnt mit der Herzdruckmassage, bis der Notarzt kommt.

So wie Willi probieren mehr als 40  Mädchen und Jungen der dritten und vierten Klasse der Emil-Naumann-Grundschule Sitten an einem Dummy, wie sie sich in einem Notfall verhalten sollten. Es ist der erste Praxis-Workshop der Helios-Klinik Leisnig mit einer Schule, bei dem Kinder unter dem Motto „Prüfen, rufen, drücken“ zu Lebensrettern ausgebildet werden. Die Idee zu der Aktion stammt von Dr.  Jan-Jakob Meyer, Chefarzt für Anästhesie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Palliativmedizin in der Helios-Klinik. „Ersthelfer kann jeder sein, ob groß oder klein“, sagt er.

Beim Tag der kleinen Helden, wie ihn der Mediziner und seine Kollegen bezeichnen, wollen sie den Kindern vor allem die Berührungsängste nehmen. „Viele trauen sich eine Wiederbelebung nicht zu“, so der Chefarzt. Er erhofft sich von der Aktion noch einen zweiten Effekt. „Wenn die Kinder wissen, wie sie sich in einem Notfall verhalten sollten, animieren sie auch ihre Eltern dazu“, so Meyer. Denn die meisten Patienten bekämen Probleme, weil die Ersthilfe zu lange dauere.

Außerdem lehre die Erfahrung, „dass der Samen, der in der Grundschule gelegt wird, in der siebten und achten Klasse aufgeht“. Schulleiterin Sylke Rasch sieht das ebenso. Das Angebot der Helios-Klinik passe zum Sachkundeunterricht der dritten und vierten Klasse. Kinder seien noch sehr wissbegierig und viele saugen Wissen regelrecht auf. Das müsse genutzt werden. Außerdem sei es gut, dass das Thema von Fachleuten vermittelt werde und die Schüler dadurch einmal andere Ansprechpartner hätten als die Lehrer. „Wenn ein Chefarzt mit seinem Team bei uns auftritt, ist das schon eine besondere Sache“, meint die Schulleiterin. Die Aktion passe zudem auch in das Konzept der außerschulischen Lernorte der Einrichtung. „Wir schauen immer wieder über den Tellerrand hinaus“, sagt Sylke Rasch.

Das Team der Helios-Klinik versteht es, das eigentlich ernste Thema kindgerecht zu vermitteln. Den Komiker Kaya Yanar kennen die Schüler und schauen deshalb gespannt zu, als er in einer Art Werbefilm in seiner teils flapsigen Art erklärt, was in einem Notfall zu tun ist. Wie der Kreislauf funktioniert und weshalb die Menschen nur drei bis fünf Minuten die Luft anhalten können, erläutert anschließend Jan-Jakob Meyer – und sorgt für eine Schrecksekunde. Unvermittelt fällt der Chefarzt auf den Boden und bleibt regungslos liegen. Kristin Peterson, Oberärztin der Kinderklinik, eilt ihm zu Hilfe. Allerdings lässt sie sich bewusst Zeit. Sie weiß, die Ohnmacht ist nur gespielt. Die Oberärztin lässt die Mädchen und Jungen ihren eigenen Herzschlag und den Atem spüren. Beim Ein- und Ausatmen sollen sie darauf achten, wie sich der Brustkorb senkt und hebt.

Dann zeigt die Oberärztin an ihrem Kollegen, was die Kinder später an der Puppe selbst ausprobieren können. Sie spricht den Chefarzt laut an, rüttelt ihn, drückt das Kinn nach unten, sodass sich der Mund öffnet, prüft den Atem, wählt den Notruf und beginnt mit der Herz-Druck-Massage. Die sollte solange dauern, bis der Notarzt kommt. Die Schüler können es kaum abwarten, bis sie selbst an der Reihe sind. Außerdem können sie sich im Hof einen Rettungswagen von innen ansehen. Zum Schluss gibt’s für jeden eine Urkunde, die ihn als kleinen Helden ausweist und ein Merkblatt für die Erste Hilfe.