Merken

Kanonen-Grüße von 1809

Der Wilsdruffer Jörg Roß stieß bei Fassadenarbeiten auf eine Eisenkugel. Nun hat der Fund ein kulinarisches Nachspiel.

Teilen
Folgen
© Karl-Ludwig Oberthür

Von Annett Heyse

Wilsdruff. Bevor Fleischermeister Jörg Roß und seine Frau Brit ihr Haus in der Dresdner Straße sanieren ließen, hatten sie gewitzelt: „Vielleicht finden wir einen Schatz.“ Beim Erneuern des Daches im Frühjahr tauchten aber kein versteckter Geldbeutel und auch keine Kiste mit wertvollem Inhalt auf. Die Überraschung steckte eine Etage tiefer in der Hauswand: Zum Vorschein kam eine Kanonenkugel, und sie stammt aus Wilsdruffs kriegerischer Vergangenheit.

Es war Maler Hendrik Berthold aus Kurort Hartha, dem die Stelle zuerst auffiel. Der Handwerker sollte die Fassade streichen, Teile davon waren vorher neu verputzt worden. Berthold entdeckte eine Wölbung in der Hauswand, die nur auffiel, wenn man unmittelbar davor stand. „,Vielleicht eine Kanonenkugel‘, sagte er zu mir. Und dass er so etwas schon mal gesehen habe“, berichtet Jörg Roß. Dem Fleischermeister ließ die Beule keine Ruhe.

Als die Handwerker sich ins Wochenende verabschiedet hatten, kletterte er selbst mit Hammer und Meißel aufs Gerüst und nahm sich der Beule an. Und tatsächlich: als der Putz abplatze, kam Eisen zum Vorschein. „Die Kugel steckte richtig in der Mauer drin und war mit kleinen Holzkeilen befestigt“, erinnert sich Roß. Die Gedanken in dem Moment könne er im Nachhinein gar nicht beschreiben. Wer rechnet schon damit, in seiner Hauswand eine Kanonenkugel zu finden? „Also eines steht fest: Das ist unser Schatz!“, befindet Roß und strahlt übers ganze Gesicht.

Schwarze Husaren vor der Stadt

Der Schatz steckt nun für alle sichtbar unter der Dachkante des Hauses Dresdner Straße 2 wieder in der Fassade. Ein kleines Schild auf Augenhöhe gibt einige Erläuterungen. Inzwischen haben nämlich Roß und der Wilsdruffer Historiker Michael Blümel herausgefunden, was es mit der Kugel auf sich hat. Der 3,6 Kilogramm schwere und im Durchmesser zehn Zentimeter große Stahlkörper donnerte am 12.Juni 1809 über Wilsdruff hinweg und schlug im Hof der heutigen Fleischerei Roß ein. Abgeschossen hatten die Kugel die Schwarzen Husaren, die von der Hühndorfer Höhe her die von den Franzosen besetzte Stadt belagerten. Damals gehörte Haus Nr.2 dem Glasermeister Johann Carl Jüchziger. Dem muss der Schreck tüchtig in die Glieder gefahren sein. Die Kugel hob er auf und ließ sie in die Hauswand einmauern.

„Bestimmt sollte sie das Haus vor weiteren Zerstörungen bewahren“, vermutet Brit Roß. Viele Jahre lang war die Kugel zu sehen, vor Ungemach im Zweiten Weltkrieg schützte sie aber nicht ganz: Als in den letzten Kriegstagen deutsche Soldaten auf der Flucht vor der russischen Armee durch Wilsdruff kamen, flogen wieder Geschosse. Eines traf den Dachstuhl der Fleischerei und entzündete ihn. Irgendwann in den Jahrzehnten danach muss jemand die Mauer und damit auch die Kugel zugeputzt haben. Sie verschwand einfach aus dem Stadtbild. Nun ist sie wieder zu sehen.

Und weil die Geschichte mit der Kugel Jörg Roß keine Ruhe ließ, hatte er eine Idee: eine Kugelsalami nach einem besonderen Rezept. In der Hartwurst stecken feine Gewürze und gutes Fleisch. „Es ist eine Edelsalami, an der wir lange herumprobiert haben“, sagt Brit Roß. Jetzt liegt die Kugelsalami, die natürlich eine runde Form und etwa zehn Zentimeter Durchmesser hat, im Laden. Auch einen kleinen Anhänger mit der Geschichte von der Kanonenkugel hängen die Fleischer an jedes Exemplar. So nimmt der Einschlag von 1809 doch noch eine positive Wendung: als kleine Touristenattraktion und Delikatesse in der Dresdner Straße in Wilsdruff.