Merken

Kameras beobachten die Altstadt

Der Freistaat reagiert auf anhaltende Kriminalität in Görlitz. 2018 wird vorbeugend Videotechnik eingesetzt.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ralph Schermann

Sebastian Wenger hörte die Meldung im Autoradio. „Ich war rundum begeistert“, erzählt er. Was er da am Mittwochabend hörte, war die Meldung über den Ausbau von Videoüberwachung gegen Kriminalität: „Endlich ist es auch in Görlitz so weit, und dieser Weg ist der richtige.“

Modellversuch am Grünen Graben: Die hochauflösende Kamera links arbeitet auf der Grundlage von Laserblitzen, die aus den darunter angebrachten zwei Kästen abgestrahlt werden. Rechts im Vergleich eine bisher handelsübliche Videokamera.
Modellversuch am Grünen Graben: Die hochauflösende Kamera links arbeitet auf der Grundlage von Laserblitzen, die aus den darunter angebrachten zwei Kästen abgestrahlt werden. Rechts im Vergleich eine bisher handelsübliche Videokamera. © Pawel Sosnowski/80studio.net
© SZ-Grafik

Sebastian Wenger, als Betreiber einer Pension in Neiße-Nähe schon oft von Diebstählen und Sachbeschädigungen betroffen, rief Anfang 2016 ein „Gremium für Aktivitäten gegen Kriminalität“ ins Leben, kurz Sicherheitsstammtisch genannt. Seitdem treffen sich bei ihm Vertreter von Tourismusverein, Aktionsring Handel, Banken und Gastronomie sowie vom Allgemeinen Unternehmerverband. Grund der Treffen sind seine Beobachtungen der Entwicklung der grenznahen Kriminalität: „Es wird immer schlimmer.“ Als Mittel dagegen machte sich sein Stammtisch von Anfang an für eine Videoüberwachung stark.

Tatsächlich startet nun ein solches Pilotprojekt in Görlitz. Wie weit die Vorbereitungen dabei gediehen sind, wollte sich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Mittwoch vor Ort anschauen. Immerhin war er es, der die Polizeidirektion Görlitz ermuntert hatte, so ein Projekt zu planen. „Videoüberwachung hat in der Vergangenheit zu großen Ermittlungserfolgen beigetragen – die spektakulären Fälle in Köln, Berlin und Dresden sind bekannt“, sagt der Minister. Warum aber Görlitz? „Weil diese Stadt in Sachsen in der Häufigkeit der Diebstähle an zweiter Stelle liegt.“

Tatsächlich waren trotz eines Gesamtrückgangs der Kriminalität 2016 in der Stadt Görlitz 8 528 Straftaten registriert worden, davon rund 3 000 Eigentumsdelikte. 3 878 Täter wurden erwischt oder ermittelt, darunter etwa die Hälfte Ausländer. Der Görlitzer Polizeipräsident Torsten Schultze begründet Videoanlagen auch damit: „Von den Ermittelten sind 43 Prozent Mehrfachtäter, und von denen wiederum 17 Prozent Intensivtäter, also Menschen, die schon mindestens fünfmal erwischt wurden. Da geht es um Raub, Wohnungseinbrüche, Diebstähle aus Kellern und Fahrzeugen. Videoüberwachung kann helfen, präventiv abzuschrecken, kann aber auch bei Ermittlungen Indizien liefern.“

Vorgesehen sind in Görlitz vier Kamerastandorte, zunächst rund um die Altstadt an Hugo-Keller-Straße/Grüner Graben, Rothenburger-/Hotherstraße und an der Altstadtbrücke. Auch wenn in ersten Facebook-Kommentaren Unverständnis über den Standort an der Jägerkaserne geäußert wurde, etwa Bertram Oertel von „verkehrsbehinderndem Zirkus“ sprach oder Linda Hohlfeld den Grünen Graben nur ironisch als „wirklichen Brennpunkt in Görlitz“ belächelte, haben die Standorte einen Hintergrund aus polizeilichen Lagebildern: „Es geht sicher auch darum, Grenzübergänge im Blick zu haben, aber bei Fahndungen orientieren wir uns vor allem an Verbringungswegen“, erklärt der Leiter des Pilotprojektes, Daniel Mende. Der Kriminalist demonstrierte am Mittwoch zwei Testkameras und verglich mit dem Minister, Bundes- und Landtagsabgeordneten, dem Görlitzer Oberbürgermeister sowie auch dem Inspekteur der sächsischen Landespolizei die Aufnahmen in einem großen Bildübertragungs-Lkw, wie er vor allem bei der Absicherung von Massenveranstaltungen im Einsatz ist. Während die handelsübliche Überwachungskamera Fahrzeuge, amtliche Kennzeichen und das Umfeld abbildete, verblüffte das Ergebnis der zweiten Anlage: Die hochauflösende Kamera nutzt Laserblitze und ist daher völlig unabhängig von Schneetreiben oder Gegenlicht. Vor allem aber beeindruckten die glasklaren Blicke hinter die Frontscheiben. Alle Insassen von Fahrzeugen erscheinen überaus deutlich auf den schwarz-weißen Kontrollbildschirmen. „Diese Technik arbeitet bei Entfernungen bis zu einem Kilometer und bei Geschwindigkeiten bis 200 km/h korrekt“, erklärt Daniel Mende.

Innenminister Markus Ulbig ist „von der Wirksamkeit der präventiven Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten überzeugt“, sagt er, schränkt allerdings deren Einsatz deutlich ein: „Eine durchgehende Live-Überwachung per Kameras durch Polizeibeamte ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Bei speziellen Anlässen oder bei Gefahrenlagen können die Signale jedoch im Führungs- und Lagezentrum der Polizeidirektion Görlitz zugeschaltet werden.“ Alle Aufzeichnungen würden automatisch nach 96 Stunden unwiderruflich gelöscht, sofern sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Und: „Es handelt sich um nach den Datenschutzvorschriften statthafte Video-Aufzeichnungen. Ein automatischer Abgleich mit gespeicherten Daten findet nicht statt, eine Gesichts- oder Verhaltenserkennung gibt es definitiv nicht.“ Damit wies Ulbig Vorwürfe zurück, die die Fraktion Bündnis 90/Grüne im Sächsischen Landtag geäußert hatte. Tatsächlich gibt es zurzeit gar keine gesetzlichen Grundlagen für eine solche „intelligente“ Videokontrolle.

Einer, der sich lange für Videoüberwachung stark gemacht hat, ist der Görlitzer Landtagsabgeordnete Octavian Ursu (CDU): „Wir brauchen das an Görlitzer Schwerpunkten. Der Start ist prima, nun hoffe ich auf baldige Erweiterung.“ Sebastian Wenger hofft das ebenso: „Videokameras gehören auch an die weiteren Brücken.“ Seitens der AfD erinnerte der Görlitzer Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel daran, schon 2015 für Görlitzer Standorte eine stärkere Videoüberwachung gefordert zu haben. Er warf der CDU vor, in einem im Juni an alle Haushalte verteilten „Sachsenbrief“ schon ein Bestehen hochauflösender Kameras behauptet zu haben. Das stimmte freilich so nicht. Auch die jetzt gezeigten Modelle waren nur geliehen. Nun soll die Ausschreibung der zu beschaffenden Technik erfolgen. 500 000 Euro stellt der Freistaat Sachsen dafür bereit. 2018 sollen die vier Görlitzer Standorte dann ausgerüstet sein.