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Israels neue Siedlung Amichai

Israel baut das erste Mal seit 25 Jahren eine neue Siedlung im Westjordanland: Amichai. Die Bewohner freuen sich. Doch Menschenrechtler und Palästinenser kämpfen dagegen.

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© dpa

Von Stefanie Järkel

Amichai. Die Weinreben stehen in akkuraten Reihen, grüne Trauben wachsen unter der Sonne des Westjordanlandes. Daneben graben Bagger ihre Schaufeln in den steinigen Boden. Ihr Hämmern schallt über die hügelige Landschaft hinweg. „Wir hoffen einfach, dass niemand diesen Erfolg stoppen wird, diesen jüdischen Erfolg, diesen zionistischen Erfolg“, sagt Avichai Boaron - kurze braune Haare, Kippa, schwarzes Polohemd. „Ich bin stolz.“ Er lächelt. Doch was für Boaron ein Traum ist - ist für andere ein Alptraum.

Erstmals seit 25 Jahren hat Israel mit dem Bau einer ganz neuen Siedlung im Westjordanland begonnen. In dem Ort Amichai (zu Deutsch: Mein Volk lebt) nordöstlich von Ramallah sollen 40 Familien unterkommen, die im Februar ihre Mobilhäuser in dem Siedlungsaußenposten Amona räumen mussten - auch Boaron, seine Frau und seine sieben Kinder. Ein Gericht hatte damals entschieden, dass sich die Menschen unrechtmäßig auf palästinensischem Privatland niedergelassen hatten.

Israel hat während des Sechstagekrieges unter anderem das Westjordanland und das arabisch geprägte Ost-Jerusalem erobert. Das Westjordanland wird seither weitgehend von Israel kontrolliert. Die Palästinenser beanspruchen allerdings das Gebiet für einen unabhängigen Staat Palästina mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. Mittlerweile leben rund 600 000 israelische Siedler im Westjordanland und in Ost-Jerusalem.

Die israelische Menschenrechtsorganisation Jesch Din hat gemeinsam mit einem Vertreter des nahe gelegenen palästinensischen Dorfes Dschalud eine Petition gegen Amichai beim Höchsten Gericht eingereicht. Sie kritisieren, dass die für den Ort ausgewiesene Verwaltungsfläche auch palästinensisches Privatland beinhalte - und befürchten Zugangsprobleme für die Besitzer. Sie fordern, den Plan zu widerrufen.

Jesch Din kritisiert dabei auch, wie Amichai gegründet wird. „Das ganze Verfahren wird ohne Transparenz gemacht“, sagt Sprecher Gilad Grossman. Palästinenser sollten grundsätzlich die Möglichkeit haben, Einspruch einzulegen, auch wenn Verwaltungsbezirke etwa vergrößert würden. Das Gericht hat der Regierung laut Jesch Din drei Monate Zeit gegeben sich zu äußern. Die zuständige Behörde äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht.

Die meisten der ehemaligen Bewohner von Amona wohnen derzeit in Ofra, einer Siedlung in der Nähe des früheren Standortes von Amona. „Ich bin jetzt ein Flüchtling“, sagt Elad Zivo. Der 42-Jährige arbeitet als Architekt. Er, seine Frau und sechs Kinder leben in zwei Zimmern in einem Gästehaus in Ofra, Stockbetten reihen sich aneinander. „Es ist eine sehr schwierige Situation“, sagt Zivo. „Man hat überhaupt keine Privatsphäre.“ Boaron hofft auf Entschädigungen durch die Regierung von Hunderttausenden Schekeln pro Familie (vier Schekel entsprechen rund einem Euro).

„Nach Jahrzehnten habe ich die Ehre, der Regierungschef zu sein, der eine neue Siedlung in Judäa und Samaria (Westjordanland) baut“, teilte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vergangene Woche auf Twitter mit. Darunter war ein Bild zu sehen, das einen Bulldozer bei Planierarbeiten zeigt.

Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte den Baubeginn dagegen als „gefährliche Eskalation und Versuch, die US-Bemühungen und die Bemühungen des US-Präsidenten Donald Trump zu untergraben“. Trump hatte die Region Ende Mai besucht und setzt sich für eine Wiederaufnahme der seit mehr als drei Jahren brachliegenden Friedensverhandlungen beider Seiten ein.

Sprecher Nabil Abu Rudeineh rief Trump dazu auf, zu intervenieren. Der US-Präsident hatte Netanjahu im Februar zur Zurückhaltung beim Siedlungsausbau aufgerufen. Die Vereinten Nationen und die Bundesregierung hatten den Plan für die neue Siedlung bereits im März scharf kritisiert. Die UN haben Israel immer wieder zu einem Stopp aller Bauaktivitäten in den Gebieten aufgefordert.

Boaron hofft, dass der Staat in wenigen Monaten die Straßen gebaut und die Grundstücke für zunächst 102 Häuser angeschlossen haben wird. Dann würden die ehemaligen Bewohner von Amona und weitere Familien die Grundstücke kaufen und Häuser darauf bauen. „Wir hoffen, dass wir so weit wachsen, wie wir können“, sagt Boaron. „Wir hoffen, dass wir Tausende Familien hier haben werden. Dass sie in ihr Land kommen, um die Wüste blühen zu lassen.“ (dpa)