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In Görlitz verdienen die Menschen am besten

Die Stadt profitiert von Bombardier, Siemens und vielen Jobs in der Stadt- und Kreisverwaltung. Im Kreissüden sieht das anders aus.

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© dpa

Von Markus van Appeldorn

Landkreis Görlitz. Wenn die Bundesagentur für Arbeit in Bautzen ihre Lohnstatistik für den Landkreis Görlitz vorlegt, gibt es eine kleine Überraschung: Denn die Menschen in Görlitz verdienen im Schnitt deutlich besser als diejenigen in anderen Regionen des Kreises. Der Medianlohn von rund 2 560 Euro in und um Görlitz bedeutet Platz 1 im Landkreis Görlitz – und in der gesamten Oberlausitz. Medianlohn bedeutet: Die Hälfte der Bevölkerung hat einen Lohn über dieser Marke, die andere Hälfte verdient schlechter. Nimmt man die Stadt Görlitz sogar allein, dann liegt das Median-einkommen sogar bei 2 751 Euro. Schon ein paar Kilometer weiter sieht die Statistik ganz anders aus. Mit knapp über 2 000 Euro liegen die Durchschnittslöhne in den Geschäftsstellenbereichen Zittau und Löbau der Arbeitsagentur zum Teil mehr als 100 Euro unter dem Landkreisniveau. Hier ist das Armenhaus der Republik.

Görlitz profitiert von Verwaltung

Mindestens zwei Gründe gibt es für das hohe Durchschnittseinkommen in der Stadt Görlitz und ihrem Umland. Da ist zum einen die Betriebsgröße. „Große Betriebe können in der Regel mehr Arbeitsentgelt bezahlen als kleinere Betriebe“, sagt Thomas Berndt, Chef der Arbeitsagentur Bautzen. So würden in und um Görlitz 39 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Großbetrieben mit mindestens 250 Beschäftigten arbeiten. Im Geschäftsstellenbereich Weißwasser – und hierzu zählt auch etwa das Kraftwerk Boxberg – seien das immerhin noch 23 Prozent. Dann fällt’s ab. Im Geschäftsstellenbereich Löbau arbeiten nur 17 Prozent der Beschäftigten in Großbetrieben, in Zittau gar nur zehn. Ein anderer Grund sei die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur der Geschäftsstellenbereiche. In Löbau, Niesky und Zittau arbeiten die meisten Menschen im verarbeitenden Gewerbe, dem Handel und der Instandhaltung von Autos – alles Branchen mit relativ niedrigen Medianlöhnen. Erst an vierter Stelle der Beschäftigungszahl folgt hier das Gesundheits- und Sozialwesen. Eine mit einem Medianlohn von 2 581 Euro der bestbezahlenden Branchen. In Görlitz ist es anders: Dort ist das Gesundheits- und Sozialwesen die zweitgrößte Branche. Und weil es eben die Kreisstadt ist, folgt an dritter Stelle die Verwaltung. Der Medianlohn der Verwaltungsangestellten ist mit 3 183 Euro mit der höchste im Kreis, nur in der Energieversorgung und in der Erziehung und Unterricht wird besser verdient. Gut zahlende Großunternehmen wie Bombardier und Siemens und ein hoher Anteil an Verwaltungskräften – das erklärt den großen Medianlohnunterschied zwischen Görlitz und dem Umland.

Das weiß auch Lars Fiehler, einer der Geschäftsführer bei der IHK Dresden: „Wo Verwaltung sitzt, da zieht es auch viele junge Leute hin. Das wirkt sich erheblich auf die Kaufkraft eines Standortes aus.“ Den Grund für die teils beträchtlichen Gehaltsunterschiede auch in gleichen Branchen sieht er aber nicht allein in der Betriebsgrößenstruktur: „Einen riesigen Einfluss hat die Tiefe der Wertschöpfungskette. Es macht einen gehörigen Unterschied, ob ein Unternehmen Zulieferer oder Endproduzent ist“, erklärt er. Deshalb zahle ein Industrieunternehmen mit vielen Mitarbeitern auch nicht zwingend besser als ein kleinerer Betrieb. „Wenn ein Zulieferer mit zwei bis drei Prozent Umsatzrendite operiert und jemand sagt, ich will fünf Prozent mehr Lohn, gibt das die Mathematik einfach nicht her“, erklärt Fiehler.

Es gibt aber auch im Norden des Landkreises eine Reihe von Besserverdienern. Viele wohnen in und um Boxberg. Dort, wo die Leag Bergbau und Kraftwerke betreibt, versorgt sie auch die Konten ihrer Mitarbeiter mit Energie. „Viele trauen sich überhaupt nicht zu erzählen, was sie verdienen, weil es so viel ist“, schildert Ute Liebsch von der Industrie-Gewerkschaft Bergbau/Chemie/Energie das Luxusproblem mancher Arbeitnehmer. „Da erhält schon ein Hilfsarbeiter fast 2 000 Euro im Monat“, sagt sie. Die tarifvertraglich geregelten Löhne seien durchaus auf Westniveau. „Viele junge Leute haben hier im Bergbau oder im Kraftwerk eine zweite Ausbildung gemacht“, sagt Ute Liebsch. Nachvollziehbar, denn die Leag zahlt bereits Azubis zwischen 850 und 1040 Euro Vergütung – 13 mal jährlich und gewährt auch noch 30 Tage Urlaub. Die Lohnstatistik der Agentur für Arbeit weist die Arbeitskräfte in der Energieversorgung mit einem Durchschnittslohn von 4 205 Euro als Spitzenverdiener im Landkreis aus – beinahe das Doppelte des Medianlohns aller im Landkreis sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. „Die Leag ist bei den Löhnen ein echter Leuchtturm in der Region“, sagt Gewerkschaftschefin Ute Liebsch, „die Menschen dort haben jeden Monat einen Tausender mehr in der Tasche als anderswo.“ Ein weiterer Grund für ein höheres Medianeinkommen beispielsweise rund um Weißwasser: Ein Drittel aller Arbeitnehmer rund um Weißwasser pendelt nach Spremberg oder Cottbus – und da liegt der Medianlohn zwischen 2 470 und 2 600 Euro.

Löhne werden steigen

IHK-Chef Lars Fiehler prognostiziert aber, dass bald Bewegung in die Löhne in der Oberlausitz kommt. „Die Ansiedlung von Daimler mit einem Batteriewerk in Kamenz oder der Elbe-Flugzeugwerke in Kodersdorf macht kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region jetzt schon Angst“, sagt Fiehler. Diese Konzerne würden zwar das niedrige Lohnniveau der Region nutzen, aber deutlich mehr zahlen. „Das setzt die Betriebe hier unter Lohndruck. Nicht nur für Fachkräfte, sondern auch für Geringqualifizierte.“ Die gute Nachricht für die südliche Oberlausitz: Hier sind die Löhne im vergangenen Jahr stärker gewachsen als im Landkreis. Im Bereich Löbau stiegen die Medianlöhne im Berichtszeitraum um 14,4 Prozent – das ist der Spitzenwert im Landkreis, dicht gefolgt von Niesky mit 14,3 Prozent Plus. Zittau verzeichnet ein Wachstum von 13,8 Prozent, Görlitz hingegen nur von 9,1 Prozent und Weißwasser von 10,9 Prozent. Der gesamte Kreis kommt auf ein Plus von 12,5 Prozent.