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Immer wieder auf und nieder

Sein Leben lang reist Thomas Bachmann als Schausteller durch die Lande. Ein Traum, ein Albtraum, eine Verpflichtung.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Das Lachen klingt eher wie aus einer Geisterbahn. Wenn Thomas Bachmann sein Fußpedal unterm Tisch drückt, dann kommt der Hall dazu, der jedem Rummelbesucher direkt ins Ohr geht: „Rambazamba, legen wir los hier, geben wir Gas hier“, ruft der 44-Jährige in sein Mikro. „Immer wieder auf und niiiiiedeeer.“ Zwischendurch kommt seine Tochter Isabella in die Kabine und legt ihm eine Schularbeit zum Unterschreiben hin. Eine Eins. Wie immer. Die andere ist für Mama.

Im Musikexpress sind gerade nur zwei Wagen besetzt. Es ist Montagnachmittag, Saure-Gurken-Zeit beim Rummel auf dem Volksfestgelände an der Pieschener Allee. Zum Familientag am Mittwoch wird hier wieder deutlich mehr los sein. Die Tickets kosten dann nur zwei statt drei Euro. Ausnahmsweise spielt in diesem Jahr sogar mal das Wetter mit. Für gewöhnlich können sich die Rummelleute in Dresden grundsätzlich auf Regen und Sturm einstellen, egal ob Frühjahr, Sommer oder Herbst.

Direkt vor Bachmanns Augen zieht der Musikexpress unentwegt seine Kreise, die „die ausgeflippte Berg- und Talbahn“, die heutzutage ungefähr so ausgeklippt wirkt wie ein Riesenrad oder eine Losbude – aber genauso auch unsterblich. Hoffentlich.

Zwei Millionen D-Mark hat Thomas Bachmann direkt nach der Wende für das Fahrgeschäft bezahlt. Bis dahin waren seine Eltern Bernd und Hannelore lange Zeit mit einer Schießbude und einem Kinderkarussell durch die ostdeutschen Lande gezogen. „Eigentlich wollten wir ein großes Kinderkarussell kaufen“, erinnert sich ihr Sohn. „Den Kredit haben wir nur aus Spaß beantragt.“ Plötzlich jedoch seien alle Lampen grün gewesen. Nach langem Überlegen setzten die Bachmanns alles auf eine Karte und ließen sich aus Italien ihren nagelneuen Musikexpress liefern: 50 Tonnen schwer, 10 000 Lämpchen, Maximalgeschwindigkeit: 50 Kilometer pro Stunde. An die Wände wurden Tina Turner und Michael Jackson gemalt. Zeitlos sollte es sein. Auf dem Spiel stand damals einiges, ja eigentlich alles. Es musste funktionieren.

Thomas Bachmann entstammt einer Dresdner Schaustellerfamilie. Keine Minute in seinem Leben habe er daran gezweifelt, dass auch er das Geschäft übernehmen wird – in sechster Generation. Seine Eltern sind bis heute noch jeden Tag dabei. Bernd Bachmann verkauft die Fahrchips für den Musikexpress, Hannelore kümmert sich um das Kinderkarussell gleich gegenüber, und Thomas Bachmanns Lebensgefährtin brät nebenan die Burgerscheiben im „Dinner 66“. Auch die Kinder Isabella (12) und Antonio (8) helfen hier und da. Vormittags sind sie dort in der Schule, wo gerade Rummel ist. Zwischen 15 und 25 Standorte bespielt die Familie zwischen März und Weihnachten. Im Winter ziehen sie sich auf ihr Grundstück in Cotta zurück.

In den ersten Jahren nach der Wende lief das Geschäft für die Bachmanns bombenmäßig, doch dann, schon Mitte der Neunziger, kam ein tiefes Tal. Die Konkurrenz wurde stärker, der Markt war gesättigt. „Wir hatten Albträume“, sagt Bachmann, „und haben uns nur langsam wieder rausgekämpft.“ Von nun an wurde gespart ohne Ende, Versicherungen wurden aufgelöst. Auch Freunde halfen auf dem weiten Weg den Berg hinauf.

Seit drei Jahren ist der Kredit abbezahlt. „Heute arbeiten wir kostendeckend, aber schlechter sollte es nicht mehr werden. Dann kommen wir irgendwie klar.“ Auf das gewohnte Dauerjammern der Schausteller hat Thomas Bachmann keine Lust. Nur so viel noch: Die Suche nach neuen Mitarbeitern sei fast aussichtslos geworden. Die Arbeitsagentur sagt, das „soziale Umfeld“ passe nicht.

Also muss die Familie ran, jeden Tag. Krank sein gibt es nicht. Auch mit 40 Grad Fieber oder einer Schleimbeutelentzündung im Knie sitzt Bachmann in seiner Kabine oder werkelt vormittags an seiner Bahn. Als junger Mann hat er mal Mechaniker für Datenverarbeitungs- und Büromaschinen gelernt. „Das meiste habe ich mir aber von meinem Vater abgeguckt.“ Schon mit sieben Jahren stand er mit in der Werkstatt, schweißte, lötete und schraubte. Heute ist er der Praktiker, der Allround-Handwerker, und auch den 40-Tonner mit dem Musikexpress fährt er selbst.

In diesen Tagen, beim Heimspiel in Dresden, könnte sich Thomas Bachmann abends auch daheim in Cotta ins Bett legen, aber er bleibt lieber hier in seinem Wohnwagen, ganz nah bei seinem „Baby“, seiner Arbeit, seiner Lebensversicherung. Idioten gibt es schließlich überall genug.

Häufig werde er gefragt: „Bachmann, du hast ne Macke! Warum tust du dir das alles noch an?“ Den ganzen Tag am Fahrgeschäft, nachts in Schlamm und Regen abbauen, zum nächsten Platz fahren, wieder zwölf Stunden aufbauen und am Tag darauf wieder „Rambazamba“ machen. „Man muss schon großer Idealist sein“, sagt er lacht laut los. Dann ist die Fahrt zu Ende. Etwas wackelig auf den Beinen steigen die Gäste aus dem Musikexpress, strahlen und zeigen den Daumen nach oben. „Siehste, genau dafür mach ich das“, sagt Bachmann. „Und nicht für die drei Euro.“

Ob seine Kinder eines Tages den Musikexpress übernehmen werden? Thomas Bachmann will es ihnen freistellen, aber wie lautet der Leitspruch seiner Firma? „Schaustellertradition verpflichtet.“ Freuen würde es ihn also schon.