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Im Herzen Dorfhainerin

Die langjährige Gemeinderätin Marlies Sollwedel kehrt Dorfhain den Rücken, aber nicht den Menschen.

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© Andreas Weihs

Von Verena Schulenburg

Dorfhain. Ganz allein ist sie in ihrem neuen Zuhause nicht. Es gibt noch Mungo. Die 15-jährige Katze ist kürzlich mit umgezogen, von Dorfhain nach Dresden. Trotzdem ist Marlies Sollwedel noch nicht so richtig angekommen in der großen Stadt. Und das, obwohl sie eigentlich eine gebürtige Dresdnerin ist. „37 Jahre in Dorfhain kann man nicht einfach wegwischen“, sagt Sollwedel und lächelt dabei. Die kleine Gemeinde am Tharandter Wald ist der 73-Jährigen ans Herz gewachsen.

Vermissen werden sie auch viele Dorfhainer. Mit dem Wegzug von Marlies Sollwedel verliert der örtliche Gemeinderat ein langjähriges Mitglied, eine Querdenkerin, eine gute Seele, aber auch einen „unruhigen Geist“, wie sie selbst über sich sagt. Ihr Stuhl am Ratstisch wird künftig leer bleiben. Mehr als 30 Jahre engagierte sie sich unter dem Mandat der Linken in dem Ortsgremium und setzte sich für die Belange der Dorfhainer ein. Eine Arbeit, der sie immer mit viel Verantwortungsbewusstsein nachging. „Natürlich haben wir auch gestritten“, erinnert sich Sollwedel an die Montagabende der Ratssitzung. Dabei sei es aber immer um das Beste für die Einwohner der Gemeinde gegangen. Niemals hätten Parteizugehörigkeiten oder andere Befindlichkeiten eine Rolle gespielt. „Wir müssen unseren Wählern immer in die Augen sehen können“, sagt Marlies Sollwedel. Eine Haltung, die der „großen Politik“ manchmal fehle, findet sie.

Der Platz am Dorfhainer Gemeinderatstisch war längst nicht die einzige Position, die Marlies Sollwedel im Ort einnahm. Bereits als sie 1980 mit ihrem Mann Bernd und den ersten beiden von später drei Kindern nach Dorfhain zog, schaute die studierte Ingenieurökonomin gern über die eigenen vier Wände ihres Zuhauses hinaus und half gelegentlich in der örtlichen Bücherei aus – nach der Arbeit. Gemeinsam mit ihrem Mann arbeitete Marlies Sollwedel bis zur politischen Wende bei der VEB Elektronische Bauelemente Dorfhain. Das Unternehmen hatte genau dort seinen Sitz, wo heute die Felssicherungsfirma Jähnig ansässig ist.

Ob die örtliche Kulturkommission, die Theatergruppe oder das Seniorenradio, für das sie sich seit Jahren in Dresden einsetzt, für Kultur hat Marlies Sollwedel schon immer eine Schwäche gehabt. Die Wahl-Dorfhainerin mischt mit, wo sie gebraucht wird. Sogar den Förderverein Kinder für Dorfhain, unter dessen Dach die örtliche Kindertagesstätte betrieben wird, hat sie jahrelang geleitet. Es sind nur einige von vielen Aktivitäten.

Der Wegzug aus Dorfhain bedeutet für Marlies Sollwedel auch Abschied von diesen Aufgaben – mehr allerdings nicht. „Ich lasse die Arbeit in Dorfhain, nicht die Menschen“, sagt sie mit etwas Wehmut in der Stimme. „Ich werde fast jeden einzelnen Dorfhainer vermissen, auch all die Kinder. Ich bin vielen Leuten unglaublich dankbar für die tolle gemeinsame Zeit.“ Der Umzug vom Land in die Stadt, vom Eigenheim in die Mietwohnung, fiel Marlies Sollwedel keinesfalls leicht. Die Entscheidung sei aber notwendig gewesen, erzählt sie. „Ich möchte nicht, dass meine Kinder irgendwann das ganze Haus leerräumen müssen“, sagt die 73-Jährige pragmatisch. Seitdem ihr Mann Bernd im November 2016 nach Krankheit verstarb, lebte Marlies Sollwedel allein in dem Haus. Die drei gemeinsamen Kinder – eine Tochter und zwei Söhne – sind längst erwachsen und stehen selbst voll im Leben, mit eigener Familie und Jobs fern der Heimat, in Nordrhein-Westfalen und sogar im kanadischen Vancouver.

Um die Ecke wohnen zwar nun auch die Dorfhainer nicht mehr. Gut 20 Kilometer Autofahrt sind für Marlies Sollwedel aber kein Hindernis, um die Menschen zu sehen, die ihr noch immer nahe stehen. Ihrem neuen und zugleich alten Wohnort kann die rüstige Seniorin aber auch Positives abgewinnen. Sie wohnt nicht nur wieder in dem nahen Umfeld, in dem sie einst als Kind mit ihren Eltern lebte. „Ich habe jetzt wieder mehr Zeit“, sagt sie. Ihrem Radioprojekt will sie in Dresden treu bleiben, sich aber auch Zeit nehmen, um die vielfältige Kulturlandschaft der Landeshauptstadt zu erkunden. „Und ich möchte einen Kurs belegen, um endlich besser Englisch zu sprechen“, erzählt sie, für das Enkelkind aus Vancouver. Es ist nur eines von fünf Kindern, die künftig ihre Oma sicher gern öfter sehen möchten.