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„Ich bin ein Handwerkerkind“

Antje Reichel ist die neue Chefin der Kreishandwerkerschaft. Sie weiß, welche Probleme das Handwerk meistern muss.

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© Norbert Millauer

Von Franz Werfel

Freital/Pirna. Die Herausforderungen, vor denen das Handwerk steht, sind groß: Nachwuchs finden, Digitalisierung vorantreiben, Generationenwechsel in den Betrieben vollziehen. Letzteres hat die Kreishandwerkerschaft, der Innungsverband des Handwerks im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, jetzt selbst vollzogen. Mit Klaus Tittels Eintritt in den Ruhestand geht eine Ära zu Ende – nach 17 Jahren als Geschäftsführer gibt er seine Arbeit in jüngere Hände.

Und zwar in die von Antje Reichel. Die 37-Jährige ist in der Region verwurzelt, hat ihr ganzes Leben in Pirna verbracht. Mit ihrem Mann und den drei Kindern wohnt sie in Bonnewitz. „Ich bin in der Region verwurzelt, kenne viele Betriebe schon lange und viele Handwerker persönlich“, sagt sie. Was die Arbeit im Handwerk bedeutet, hat Antje Reichel von klein auf erlebt. „Ich bin ein Handwerkerkind“, sagt sie mit Blick auf ihren Vater. Bauingenieur Steffen Vetter betreibt ein Baugeschäft in Pirna. Auch Antje Reichels Mann ist Handwerker: Er arbeitet als Angestellter in einer Tischlerei.

Jung, weiblich, mehrfache Mutter – das sei auch Thema bei ihrer Bewerbung gewesen, sagt sie. Der Job an der Spitze des Innungsverbandes war begehrt, 25 Interessenten hatten sich auf die Stelle beworben. Durchgesetzt hat sich Antje Reichel – wie schon so oft in ihrem Leben.

Nach ihrem Abitur, das sie am Pirnaer Herder-Gymnasium abgelegt hat, machte sie zunächst eine Lehre zur Vermessungstechnikerin im staatlichen Vermessungsamt. Als einer der zehn besten Absolventen ihres Jahrgangs wurde ihr eine Laufbahn-Ausbildung für den mittleren öffentlichen Dienst angeboten. Ihre erste Stelle nahm sie anschließend im Lohmener Bauamt an. Parallel zu diesem Job studierte sie drei Jahre Verwaltungsbetriebswirtschaft in Dresden und schloss mit Diplom ab.

Die vergangenen acht Jahre arbeitete sie für die Stadt Glashütte. Dort wartete eine besondere Aufgabe auf sie. Bürgermeister Markus Dreßler beauftragte sie damit, für die Stadt den Eigenbetrieb Abwasserwirtschaft aufzubauen – und anschließend zu leiten. Eine spannende, anspruchsvolle Aufgabe, wie Antje Reichel sagt.

„Ich habe gelernt, mich mit Leistung, Kompetenz und Freundlichkeit durchzusetzen.“ Sie kann verhandeln, hartnäckig sein und weiß, was sie erreichen will. Prozesse moderieren, diskutieren, vermitteln: Das hat sie sich für ihren neuen Job vorgenommen. Denn: „Qualifiziertes Handwerk ist wichtig und wird es auch weiterhin bleiben.“ Der alte Spruch: Wenn du nichts findest, gehst du ins Handwerk, stimme schon längst nicht mehr, so Reichel. Deshalb hat sie sich auch vorgenommen, die Handwerker noch besser miteinander zu vernetzen – vorausgesetzt diese nehmen ihr Angebot an. „Ich will im Hintergrund so viel wie möglich bewegen – damit das Handwerk die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.“

Die Probleme, vor denen viele Lehrberufe stehen, fingen schon in der Schule an. „Die Menschen müssen sich wieder bewusster werden, wie wichtig eine gute Ausbildung ist. Deshalb würde ich mir noch viel mehr Berührungspunkte zwischen Praxis und den Schulen wünschen“, sagt Antje Reichel. Dabei denkt sie durchaus nicht nur an die regionalen Handwerksbetriebe. „Der Fachkräftemangel trifft ja alle: Polizei, Pflege, Verwaltung, Industrie.“ Bei Bemühungen um den Nachwuchs konkurriere das Handwerk mit vielen anderen Berufsgruppen. Gerade auch die jungen, kreativen Köpfe will Reichel künftig noch stärker für das Handwerk begeistern, denn in den handwerklichen Berufen könnten sich Kreative gut verwirklichen.

„Handwerker wird es immer geben“, ist sie überzeugt. Und oft gehöre körperlich harte Arbeit nach wie vor dazu. „Als Handwerker wissen Sie nach jedem Arbeitstag genau, was Sie geschafft haben.“ Außerdem seien die Berufe sehr vielseitig. „Jedes Objekt, das Sie fertigen, ist ein Einzelstück. Und Sie haben immer den direkten Draht zum Kunden.“

Die Kreishandwerkerschaft vertritt derzeit in elf Innungen rund 400 Handwerksbetriebe im Landkreis. Insgesamt gibt es im Landkreis fast 3 000 Betriebe – bei den Mitgliederzahlen ist also noch Luft nach oben. „Viele Meister fragen sich, warum sie zusätzlich zu ihrer Pflichtmitgliedschaft in der Dresdner Handwerkskammer noch im Innungsverband aktiv sein sollen“, weiß Antje Reichel. Über das wichtigste Argument dafür muss sie nicht lange nachdenken: „Unsere Betriebe vor Ort haben durch die Verbindung zur Region oftmals mehr Möglichkeiten, etwa bei der Nachwuchsgewinnung, als die Handwerkskammer in Dresden.“ Schon jetzt seien sie auf lokalen Messen, wie demnächst in Schmiedeberg, aktiv. Antje Reichel setzt schon jetzt, im Gegensatz zu anderen Innungsverbänden, voll auf eine intensive Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer.

In der Kreishandwerkerschaft wird sie bei allen künftigen Vorhaben von zwei Mitarbeiterinnen unterstützt. „Wir drei Mädels werden das schon schaffen“, sagt sie, lacht – und verschwindet wieder in ihrem neuen Büro im Haus des Handwerks.