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Hinter Schloss und Laserschranke

Gesichert wie ein Goldschatz lag ein Schmuckstück im Grünen Gewölbe. Dabei gehörte es dort gar nicht hin.

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© Sven Ellger

Von Christoph Springer

Dieses Geräusch wird Anna Bergann nie vergessen. Das leise „Pling“, mit dem ihr Ring auf dem harten Marmorboden landete. Dann rollte das Schmuckstück davon. „Mit Seelenruhe ist der da langgekullert“, erzählt die 20-Jährige aus Chemnitz. Das teure Silberschmuckstück kurvte Richtung Spiegelwand, unter einen historischen Tisch und kippte dort auf die Seite. Finale! Da lag er nun, nur wenige Schritte entfernt und doch unendlich weit weg. Hinter unsichtbaren Barrieren, die man besser unangetastet lässt. Das Malheur passierte im Grünen Gewölbe.

Erst seit vier Monaten trug Anna Bergann den Silberring mit einem eingelassenen Diamanten. Ihr Freund hatte ihn ihr Anfang Juni zur Verlobung geschenkt. Dass Anna gern an dem Schmuckstück spielt, den Ring auf dem Finger hin und her dreht, war auch ihm schon aufgefallen. Und weil er ohnehin ein Stück zu groß war, hat ein Schmuckmeister das Fingerloch ein wenig enger gemacht. Nicht eng genug, wie das junge Paar im Grünen Gewölbe erleben musste. „Wir waren mit meiner kleinen Schwester dort, und ich kam später in den Raum“, erinnert sich die junge Bankkauffrau an den zweiten Oktobersonntag.

„Ich hatte einen Audioguide und wollte noch etwas zu Ende hören.“ Dann folgte sie ihrem Verlobten und ihrer 14-jährigen Schwester in den Pretiosensaal, um sogleich von dem Gehörten zu berichten. „Dabei habe ich an dem Ring gespielt, und plötzlich fiel er runter.“

Auch der Freund der jungen Frau erinnert sich an diesen Moment, als wäre das erst vor Minuten passiert. „Alle standen ganz starr da, wie angewurzelt. Der Ring rollte wie in Zeitlupe davon“, erzählt der Dresdner. „Ich musste mir sofort ein Lachen verkneifen.“

Mit einem Staubwedel in der Hand nahte eine Retterin, eine Kollegin aus dem Grünen Gewölbe. Doch an der Absperrung musste sie einsehen, dass sie nicht helfen kann. Auch für ihren Staubwedel ist die Sicherheitszone tabu, in der der Ring liegen geblieben war. Als Anna Bergann in diesem Augenblick mit der Hand auf ihr Verlobungsgeschenk deutete, brach die Hölle los. Die Alarmanlage schrillte, binnen Sekunden kamen Wachbeamte in den Raum, ihnen folgten jede Menge neugierige Besucher. „Die haben sich nur noch für meinen Ring interessiert. Und alle haben mir gut zugesprochen.“

Das teure Schmuckstück blieb dennoch erst mal dort, wo die kostbaren Sammelstücke aus der Schatzkammer von Friedrich August I. gezeigt werden. „Ein Sicherheitsbeamter sagte mir, dass sie den Ring jetzt nicht holen können, alles sei alarmgesichert, und wenn sie hinter die Absperrung gehen, würde sofort die Polizei vor der Tür stehen.“ Die junge Chemnitzerin und ihr Verlobter mussten deswegen ihre Namen aufschreiben lassen, bevor sie nach Hause gehen durften. „Friedrich August“, diktierte der 20-Jährige dem Museumsverantwortlichen. Da war es vorbei mit der Gelassenheit. Dass er heißt wie der starke Sachsenfürst, der die Sammlung im Grünen Gewölbe zusammengetragen hat, mochten sie dem Dresdner nicht glauben. Jeder erwartete, dass gleich ein Fernsehmoderator den Raum betritt und „Versteckte Kamera“ ruft. Nichts geschah.

Einen Tag später hatte Friedrich August Kießling einen Termin im Grünen Gewölbe. Er bekam den Ring zurück. „Ich habe mich tausendmal bedankt“, erzählt der Verlobte der Chemnitzerin. Danach lag das Silberschmuckstück mit einem eingelassenen Diamanten eine Woche lang bei ihm zu Hause, denn das Paar sieht sich nur am Wochenende. Anna Bergann musste deshalb lange warten, bevor ihr der 20-Jährige den Verlobungsring zum zweiten Mal auf den Finger stecken konnte. „Der ist jetzt besonders wertvoll für mich“, freut sie sich. „Es ist ein gutes Omen, dass er mal in einem Residenzschloss genächtigt hat. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Außerdem war er da gut bewacht.“

Einen Hochzeitstermin hat das junge Paar noch nicht. Vorher muss sich Friedrich August Kießling selbst noch einen Ring kaufen. Denn für das Silberstück für seine Verlobte hat der Werkzeugmechaniker tief in die Tasche gegriffen. So tief, dass er jetzt erst einmal sparen muss für seinen eigenen Ring. Einig ist er sich mit Anna aber, dass diese Ringe auch ihre Eheringe werden sollen. Jetzt sogar noch mehr.