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Hier ist der Sommer zu Hause

Hohe Ozonwerte strapazieren die Stoffe von Sonnenschirmen heute deutlich stärker. Bei Schirm Sprenger in Großröhrsdorf setzt man deshalb auf neue Materialien.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Der nächste Sommer scheint Lichtjahre entfernt. Und doch wirft er hier, in der Steinstraße in Großröhrsdorf, nicht nur sprichwörtlich seine Schatten voraus. Bei Schirm Sprenger rattern die Nähmaschinen und kämpfen sich die Nadeln durch endlos erscheinende Stoffbahnen. Hier entstehen jene Sonnenschirme, die in der neuen Saison Schatten spenden.

Jörg Sprenger, Gründer und Inhaber des Unternehmens, öffnet die Tür zum Lager. In deckenhohen Regalen stapeln sich die Membranen für die Schirme, mal in dezentem Weiß, mal in knalligem Orange; oder eben in gedecktem Blau. Sie warten auf ihren ersten Outdooreinsatz, während nebenan die gereinigten Schirmplanen liegen, akribisch sortiert nach dem Besitzer. Wackerbarth Radebeul, Schlosshotel Pillnitz, Festung Königstein oder Elbresidenz Bad Schandau steht auf kleinen Zetteln. Im Lager warten weitere Dutzend Großschirme auf ihre Demontage, Säuberung und manchmal auch Reparatur. Gut 350 Schattenspender sammelt Jörg Sprenger im Herbst ein und liefert sie im Frühjahr wieder aus, zumeist im Auftrag der Radeberger Brauerei. Sie ist einer der wichtigsten Auftraggeber für das Neun-Mann-Unternehmen, wurde trotzdem zufällig auf Jörg Sprenger und sein Team aufmerksam.

Stürme und Gewittergüsse setzen den Schattenspendern immer öfter zu, bringen sie vereinzelt gar zu Fall. Dann wird schnell Hilfe gebraucht. Die Riesen mit bis zu sechs Metern Durchmesser müssen geborgen und repariert werden. Jörg Sprenger erledigte das immer schnell und unaufgeregt, sodass die Radeberger Brauerei ihm nicht mehr nur den Service überließ, sondern auch neue Schirme in Auftrag gab.

Weniger ist mehr

Immer mehr Städte und Gemeinden wollen verhindern, dass ihre Marktplätze und Biergärten zu Werbegroßflächen werden. Sie genehmigen Großschirme nur noch ohne oder mit dezentem Aufdruck.

Schirmbauer Sprenger hat darauf reagiert. Die Logos der Brauereien werden immer öfter auf einzelne Segmente gedruckt, und zwar nur noch an der Innenseite des Schirms.

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Das war kurz nach der Jahrtausendwende. Der Konfektionsbetrieb hatte gerade das erste Jahrzehnt überstanden. Er stattete Marktstände mit neuen Planen und Schirmen aus. Doch die Nachfrage ging zurück und es gab Tage, da stellte Jörg Sprenger seine 1991 getroffene Entscheidung, selbstständig zu werden, infrage. Doch er, der in seiner Freizeit Alpenpässe mit dem Rennrad erklimmt, ist keiner, der aufgibt. Im Gegenteil. Der führte, unterstützt von seiner Frau, die Großröhrsdorfer Firma weiter und bewarb sich parallel in Baden-Württemberg bei einer Bandweberei. Der Textilexperte mit Führungserfahrung wurde eingestellt und pendelte von Ost nach West. Eine kraftraubende Zeit, die ein jähes Ende fand. Doch Zeit, sich über die Kündigung zu ärgern, hatte Jörg Sprenger nicht. Denn damals wuchs die Nachfrage nach Großschirmen. Sie macht etwa 60 bis 70 Prozent des Umsatzes aus. Geändert haben sich in den vergangenen Jahren vor allem die Materialien. Polyester hat durch das abwaschbare PVC ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen. Die PVC-Schirme können abgekärchert werden, dann noch trocken wischen, und schon sind sie fertig für die neue Saison.

Jörg Sprenger persönlich bevorzugt Naturmaterialien. In seinem Garten steht ein Sonnenschirm mit einem Holzgestell und Messingbeschlägen. Doch auch seine Membran ist nicht mehr aus Baumwolle. Die bleicht zu schnell aus und ist zu sonnenempfindlich. Der Ozongehalt ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen, die Sonne somit viel aggressiver geworden, sagt Jörg Sprenger. Die Stoffe werden spröde und reißen schneller. Die Industrie forscht an belastbaren Materialien. Die gibt es längst, sie sind aber unbezahlbar für den Endkunden. Denn ihre Herstellung verlangt nach aufwendigen Färbe- und Imprägnierverfahren. „Die sind in Deutschland teilweise gar nicht erlaubt“, sagt Jörg Sprenger.

Dass er sein Geld in der Textilbranche verdienen würde, schien unausweichlich, war es doch der Urgroßvater Emil Hommel, der die Bandweberei in der Steinstraße gegründet hat. In dem dreigeschossigen Fabrikgebäude wurden Polstergurte und Gürtelbänder gewebt. Bis zu 30 Angestellte beschäftigte Emil Hommel, zusätzlich waren noch Heimweber beschäftigt. Großröhrsdorf war einst die Hochburg der Bandweberei mit 4500 Beschäftigten in über 30 Betrieben. Einige wenige gibt es noch heute. Manche, wie dSprenger Schirme, haben ihr Produktportfolio komplett geändert, um zu überleben. In Großröhrsdorf hat man Erfahrungen mit Innovationen. Hier wurden Sicherheitsgurte für den Wartburg und Trabant gewebt. Heute ist Jörg Sprenger allerdings froh, kein Autozulieferer mehr zu sein. Der Preisdruck in der Branche ist hoch, die Margen gering.

Dafür hat er mit dem Nähen technischer Textilien ein weiteres, einträgliches Geschäftsfeld erschlossen. Kunden sind Flugzeugbauer in Dresden, die ihre sensiblen Bauteile in den Großröhrsdorfer Taschen transportieren. Jörg Sprenger ist der Mann für den Außendienst, seine Tochter hat die Finanzen im Blick.

Die Geschichte der Großröhrsdorfer Schirmbauer wird weitergehen, auch wenn Jörg Sprenger in den Ruhestand geht. Er ist 65 und wünscht sich mehr Zeit, für seine Familie und für das Radfahren. Sich noch einmal auf einer Etappe der Tour de France quälen, das ist eines der Ziele von Jörg Sprenger in diesem Jahr.