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Hexe hinter der Himmelspforte

Zwölf Jahre hat Rainer König die Baba Jaga gespielt – kichernd, fluchend, eitel, komisch und mit einem Gefühl von Seelenverwandtschaft.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Die Hexe ist auch nur ein Mensch. Das erklärt alles. Bis auf die Hühnerfüße, auf denen sie über die Bühne springt. Unhandlich wäre das falsche Wort. Aber leicht laufen lässt sich damit nicht. Rainer König hat es trotzdem getan, zwölf Jahre lang.

Hasta la vista, Hexenfans! Rainer König eilt weiter ...
Hasta la vista, Hexenfans! Rainer König eilt weiter ... © PR/Komödie/Jan Gutzeit

Für sechs Teile des Theaterstücks „Die Hexe Baba Jaga“ und mehr als 500 Vorstellungen zog er sich dicke, schwarze Strumpfhosen über die Beine und stieg in einen Watton. Der Schauspieler bringt zwar alles mit, um mit seinem künstlerischen Handwerk eine Hexe zu formen. Weibliche Rundungen gehören jedoch nicht dazu. Über das formgebende Kostüm für unten drunter kamen Rock und Unterrock, Schürze und Weste. Und ein Pelzmantel. „So ein ganz schwerer“, sagt Rainer König. „Drei Sprünge, eine Drehung, und schon bin ich durchgeschwitzt.“

Reichlich warm ums Herz war ihm zum ersten Mal weit vorher geworden – als der Theatermacher Marten Ernst ihn fragte, ob er die Baba Jaga spielen wolle. „Da kamen in mir all die Bilder aus den russischen Märchenfilmen hoch, und ich wusste, dass auch dort ein Mann die Hexe spielt.“ Heiß und kalt wurde es dem erfahrenen Mimen bei dem Gedanken: Jeder kennt diese russische Hexe Baba Jaga. Wie sollte er sie spielen und keinen kläglichen Abklatsch liefern? Was war zu tun, um eine ganz eigene, unverwechselbare Hexe zu kreieren? „Ich habe alles gelesen, was ich in der Literatur über Hexen finden konnte.“ In die Märchenwelt und Mythologie vertiefte sich Rainer König, ließ Geschichte und Esoterik nicht aus und kam zu dem Schluss: „Hexen sind schräg drauf und ambivalent.“

Das half ungemein wirtschaften. Wie langweilig wäre es gewesen, eine durch und durch fiese Hexe zu spielen. Rainer König fühlte sich erleichtert – er, der von sich sagt, dass er stets ein Lebensumfeld suchte, in dem es harmonisch, fröhlich und seelisch stressfrei zugeht, hätte nicht halb so viel Spaß an einer bitterbösen Baba Jaga gehabt. Und diese Hexe würde für lange Zeit sein Umfeld bleiben. Schließlich kroch Rainer König tief in diese Figur hinein. Schritt für Schritt kam er ihr auf die Schliche: Klar, ist die Alte mit der Warzennase gern garstig. Aber man darf ihr Gewese, ihren Größenwahn auch nicht zu ernst nehmen. Ständig schmiedet sie Pläne, von denen das Publikum schon ahnt: Das wird nix. Immer wieder droht sie und heckt grandiose Gemeinheiten aus. Doch mit ihren furiosen Vorhaben bleibt sie meistens auf der Strecke. „Das ist so herrlich menschlich“, sagt Rainer König, „Die Zuschauer erkennen ihre eigenen Wesenszüge wieder, deshalb lieben sie diese Figur.“ Seine eitle, verquaste Hexe, die ständig scheitert und doch keine Versagerin ist? „Nein“, sagt der 63-Jährige, „Versager sind Leute, die keine Ideen haben.“ Außerdem komme Baba Jaga aus jeder ihrer Krisen auch wieder heraus.

Was diese Hexe erlebt, legt der Autor des Märchens fest. Aber wie spricht sie? Wie bewegt sie sich? Wie klingt ihre Stimme, und wie hört sich ihr Lachen und Fluchen an? Das waren die nächsten Fragen, die sich Rainer König stellte. Als Profi erschließt er sich eine Figur ganz gezielt.

Nach seiner wenig inspirierenden Zeit als Elektronikfacharbeiter hatte er noch in der DDR Kultur- und Theaterwissenschaft studiert. So kam er mit Schauspielern und Theatermachern in Kontakt. „Ich habe die Schauspieler, besonders Komiker, bewundert und geliebt“, erinnert er sich. Fasziniert von dem, was sie auf die Bühne brachten, kam Rainer König nicht auf die Idee, Ähnliches zu können. Bis ihn eine Freundin und Tanz-Expertin ermutigte.

So begann er, die Techniken der Pantomime zu erlernen, und gründete Anfang der 1980er-Jahre die Clownstruppe Salto Vitale, später das theater 50 mit. Seine Kunst führte ihn zu Gastspielen in Ost- und Westeuropa, König hatte Engagements in Shows und Musicals, Film und Fernsehen, im Zirkus und an der Oper. „Ich war ständig unterwegs, und wenn nicht für die Arbeit, dann um irgendwo irgendetwas für irgendjemanden zu erledigen.“ Er habe gefallen wollen, sagt er heute.

Der essenzielle Antrieb jedes Schauspielers nahm eine zerstörerische Form an: Sucht nach Applaus und Zwang ständiger Bestätigung. Glücksgefühle im Beifall und emotionale Leere nach der Vorstellung. Im Bühnen- wie im Privatleben folgte Rainer König dem gleichen Muster: „Ich wollte das alle Welt von mir sagt: Dieser Rainer König ist einfach fabelhaft!“ Dass zumindest seine Familie das anders sah und litt, diese Nachricht kam nicht zu spät. „Aber sie hat mich geschockt. Ich fand mich so toll und musste mir sagen lassen, dass ich ein Egoist sei. Dabei kümmerte ich mich doch um alles, riss mir den Arsch auf, war völlig fertig von dem ganzen Stress.“ Yoga habe ihm geholfen und seine Frau, die Klartext mit ihm sprach. „Dank meiner jahrelangen Yogaübungen konnte ich mich herunterfahren und zuhören, statt vor Empörung zu explodieren.“

Baba Jaga hat nicht ganz so viel übrig für die indische Lehre. Sie geht leicht in die Luft, auch ohne Besen. Vor allem, wenn jemand sie nicht genau so zauberhaft findet, wie sie sich selbst. Ihr Narzissmus ist Rainer König vertraut. Er durchschaut sie, durchfühlt sie, weiß, wie sie reflektiert und agiert. „Ich habe durch die Rolle extrem viel gelernt und bin schauspielerisch gewachsen“, sagt er.

Baba Jagas Ära geht zu Ende. Nach mehr als 300 Lebensjahren holt der Sensenmann sie ab. Und wieder erleben die Zuschauer sie menschlich. Denn die Hexe hat Angst vor dem Tod. Ihre restliche Zeit verbringt sie damit, gegen das Unausweichliche zu kämpfen – und ein letztes Mal zu scheitern. Hat sie doch versagt? „Nein, sie erlebt, dass der Tod nicht schlimm und nicht das Ende ist.“ Auf eine Wiedergeburt der Hexe Baba Jaga sollte zwar niemand warten. Aber Rainer König wird noch viele Charaktere zur Welt bringen. „Es war schön und anstrengend“, sagt der Mann hinter der Warzennase und kuriosen Klamottage. „Es war eine großartige Zeit.“

Das Ende des Sechsteilers: „Die Hexe Baba Jaga – Best of“ ist im Oktober am Boulevardtehater ( 26353526) zu sehen. Rainer König spielt in der neuen Spielzeit unter anderem an der Staatsoperette in „Frau Luna“.