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Heißgeliebtes Hochhaus

Die WGR lässt ein Haus an der Bahnhofstraße sanieren. Dort eine Wohnung zu bekommen, war einst nicht so einfach.

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© Lutz Weidler

Von Christoph Scharf

Riesa. Ob vom Schiff, aus dem Zug, aus der Luft oder von der B 169 aus: Das Areal zwischen Berliner Straße und Muskator macht Riesa unverwechselbar. Bevor die Wohnungsgesellschaft WGR dieses Jahr dort ein Hochhaus an der Bahnhofstraße einrüsten lässt, ist die SZ auf Spurensuche gegangen. Wer lebte in dem Areal früher? Und wie sah es dort aus? Aufschlussreich sind Fotos aus dem Museum Riesa: Sie zeigen das Muskator-Mischfutterwerk, daneben ein paar Altbauten Richtung Puschkinplatz – und eine große, leere Brache. Die Aufnahmen von Siegfried Wallat stammen aus dem Jahr 1976/77. Da wurde gerade Platz für die geplante Neubebauung geschaffen.

So sah die Bahnhofstraße 1976/77 aus. Da wurde gerade Platz für den Bau der Hochhäuser gemacht, wie eine Aufnahme aus dem Bestand des Museums Riesa zeigt.
So sah die Bahnhofstraße 1976/77 aus. Da wurde gerade Platz für den Bau der Hochhäuser gemacht, wie eine Aufnahme aus dem Bestand des Museums Riesa zeigt. © Siegfried Wallat

„Eigentlich sollten an diese Stelle 17-Geschosser hin“, sagt Joachim Fröhlich. Der 76-Jährige hatte damals als Ingenieur im Rohrkombinat gearbeitet, bevor er nach der Wende als Leiter kaufmännische Hausverwaltung bei der Wohnungsgesellschaft Riesa (WGR) anfing. Da war er dann für die Zehngeschosser zuständig, die mittlerweile an der einstigen Straße der DSF entstanden waren. Denn für 17 Geschosse hatte es in Riesa nicht gereicht. „Das passte dem Rat des Bezirks nicht. Die 17-Geschosser wurden meines Wissens dann in Dresden-Prohlis errichtet“, erinnert sich der Rentner. Für die „Kleinstadt“ Riesa blieben Zehngeschosser.

Um Baufreiheit zu schaffen, musste unter anderem ein Schmiedebetrieb weg, der nach Strehla umzog. Außerdem gab es im Umfeld markante Baracken. „Die waren damals bei uns nur ‚Holzbuden‘ genannt worden.“ Stück für Stück wurde ab Ende der 70er das gesamte Areal dann neu bebaut – an der heutigen Bahnhofstraße und dem Karl-Marx-Ring nebenan. Auch jenseits der Breitscheidstraße ging es seinerzeit weiter, wofür die Siedlung „Neue Hoffnung“ – einer in der Zwischenkriegszeit umgebauten Kaserne – weichen musste.

Die Wohnungen in den neuen Hochhäusern an der Bahnhofstraße seien jedenfalls sehr begehrt gewesen, sagt Joachim Fröhlich. „Die hatten Zentralheizung! Und fast jede Wohnung einen Balkon!“ Und ab sechs Geschossen war auch ein Fahrstuhl dabei. „Da gab es kaum Leerstand.“ Wenn auch der bequeme Müllschlucker, der anfangs installiert war, nicht lange funktionierte. „Da hatten die Leute alles Mögliche reingeworfen, der musste deshalb gesperrt werden.“ Aber die Aussicht: „Wenn man über die Dächer Riesas schauen kann, ist das bombastisch!“ Gewohnt hat Joachim Fröhlich an der Bahnhofstraße allerdings nie – er lebt noch in dem Weidaer Block in dem Aufgang, in dem er 1967 eingezogen ist. „Wir sind nur ein einziges Mal auf die andere Seite des Flurs umgezogen.“

Vom Dach der Hochhäuser an der Bahnhofstraße allerdings beobachtete er 2002 die Flut – bis Nünchritz war dort nur Wasser zu sehen. Die Bahnhofstraße selbst liegt allerdings hochwassersicher. Dieser Aspekt dürfte bei ihrer ersten Vermietung aber kaum eine Rolle gespielt haben. Wer entschied denn überhaupt, wer dort eine Wohnung bekam? „Die Betriebe, die am Bau der Häuser beteiligt waren, bekamen Wohnungskontingente. Und die wurden dann in den Betrieben vergeben – offiziell nach Leistung.“ So war quasi in jedem Block auch irgendwie jeder Betrieb beteiligt. Und am Ende wohnte da eine bunte Mischung von Mietern. „Das reichte vom Arbeiter über den Volkspolizisten bis zum Doktor und zur Verkäuferin.“

Die Mischung sei jedenfalls ganz anders gewesen als heute. Wenn es da auch eine Kehrseite gab: „An den zuletzt gebauten DDR-Blöcken an der Freitaler Straße wohnten viele Ärzte, aber auch sogenannte Arbeitsscheue: Die einen wollten schlafen, die anderen feiern. Das gab Ärger.“

Immerhin: Die Hochhäuser an der Bahnhofstraße galten nicht als besonders hellhörig. „Wenn nicht gerade jemand mit Stöckelschuhen über das Laminat lief.“ Durch die Verwendung von Dreischicht-Platten sei sogar eine gewisse Wärmedämmung gegeben gewesen. Ärger machte nur die DDR-Heizungsanlage, bei der aus Gründen des Edelstahlmangels mit gläsernen Zirkulationsleitungen gearbeitet worden war. „Die gingen schnell mal kaputt und das Wasser lief aus.“ Nach diversen Modernisierungen ist das heute anders. Dieses Jahr bekommt der Block am Zebrastreifen noch eine Fassadensanierung. Freie Wohnungen gibt es laut dem WGR-Angebot dort nur vereinzelt: Eine Einraumwohnung mit 40 Quadratmetern und Balkon kostet 300 Euro warm.