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Grönland träumt von Unabhängigkeit

Katalonien, Schottland, die Basken - Grönland. Auch auf der größten Insel der Welt, wo am Dienstag gewählt wird, ist der Wunsch nach Unabhängigkeit stark.

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© dpa

Von Theresa Münch

Nuuk/Kopenhagen. Wenn Grönländer zum Arzt gehen, brauchen sie oft einen Dolmetscher. Nicht, weil sie kein Grönländisch sprechen, sondern weil Arztbesuche, Behördengänge, fast das ganze öffentliche Leben der riesigen Arktisinsel auf Dänisch stattfinden. Grönland ist Teil des dänischen Königreichs - doch eigentlich haben die Dänen seit fast zehn Jahren nur noch in der Außen- und Verteidigungspolitik das Sagen. Im Alltag fühlt sich das für viele Grönländer noch anders an. Eine Mehrheit meint deshalb: Grönland muss unabhängig werden.

Am Dienstag wird auf der größten Insel der Welt ein neues Parlament gewählt. Dabei stimmen die Grönländer indirekt auch darüber ab, wie schnell diese Unabhängigkeit kommen soll. Denn alle ernstzunehmenden Parteien wollen sie - die Frage ist aber, wann und um welchen Preis.

Klar ist, dass Grönland es alleine kaum schaffen wird. Hier leben gerade einmal 56 000 Menschen, so viele wie in einer deutschen Kleinstadt. Straßen gibt es zwischen den Siedlungen nicht, von Städten kann man ohnehin kaum sprechen. Geld verdienen die Grönländer vor allem in der Fischindustrie. Die Hälfte des Haushaltsvolumens, umgerechnet rund 500 Millionen Euro, schießt Dänemark jedes Jahr zu. Dieses Geld würde wegfallen, sollte Grönland die Nabelschnur kappen, betont Dänemarks Regierungschef Lars Løkke Rasmussen gern.

Hoffnung gibt den Grönländern paradoxerweise die Klimaerwärmung. Denn nicht zuletzt wegen ihr wird die Insel geopolitisch ein immer heißeres Pflaster. Im schmelzenden Arktiseis sollen riesige Rohstoffvorkommen schlummern: Öl, Uran, Seltene Erden. Das weckt internationales Interesse, das Grönland auf dem Weg in die Selbstständigkeit den entscheidenden Schub geben könnte.

Derzeit steckten die meisten Erkundungsprojekte noch in den Kinderschuhen, sagt Ulrik Pram Gad, Grönland-Experte der dänischen Universität Aalborg und ehemaliger Abteilungsleiter in der grönländischen Regierung. „Aber sie könnten den Weg für große Bergbauvorhaben ebnen, die eine wesentliche Rolle in der nationalen Wirtschaft spielen würden. Doch damit das klappt, brauchen wir chinesische Investoren.“

Die stehen bereits in den Startlöchern: So besitzt der chinesische Rohstoffriese Shenghe Resources Anteile an der australischen Greenland Minerals & Energy (GME), die in Südgrönland nach Seltenen Erden und Uran graben darf. Angeblich haben die Chinesen die Option, 60 Prozent an GME zu übernehmen, sobald die Mine in Kuannersuisut etwas abwirft. Am Zitronenfjord im Norden ist eine Zinkmine geplant, an der ebenfalls Chinesen beteiligt sind. Und eine weitere chinesische Firma hat Rechte an einer möglichen Eisenerzmine im Westen.

In Dänemark können viele nicht verstehen, dass Grönland ausgerechnet die Chinesen so offen willkommen heißt. Hier macht man sich Sorgen, dass das Verhältnis zu den USA leiden könnte. Denn für die Amerikaner ist Grönland durch seine Nähe zu Russland strategisch wichtig. Früher hatten sie hier Atomwaffen stationiert, heute einen Teil des US-Raketenwarnsystems.

Die Grönländer wollen darauf keine Rücksicht nehmen. „Ein chinesischer Kapitalist ist ein Kapitalist wie jeder andere“, sagt Gad. „Die Dänen haben sich nicht um die Minen geschert.“ Grönlands Regierungschef Kim Kielsen war im vergangenen Jahr sogar selbst in China, um Investoren zu umwerben - obwohl er nicht einmal Englisch spricht. Nun ist ein chinesisches Konsortium unter den letzten Kandidaten für ein großes Flughafen-Erweiterungsprojekt.

Die Absicht der grönländischen Regierung sei nicht, sich statt von Dänemark nun von einem anderen Land abhängig zu machen, betont Gad. Idealerweise verteile man die Abhängigkeiten: „So dass wir Sicherheitsbeziehungen mit den USA haben, einige Beziehungen zu Dänemark und zu Island. Dass wir von den Norwegern lernen, den Bergbau-Sektor zu regulieren, mehr mit unseren Inuit-Freunden in Kanada zu tun haben. Und ja, Investitionen aus China wären auch schön.“

Bisher haben sich die großen Hoffnungen in die Bergbauprojekte mit chinesischem Geld allerdings nicht erfüllt. Nur eins ist aus den Startlöchern gekommen, viele liegen auf Eis. Der Sektor entwickele sich nicht so stark wie vorhergesagt, gibt Maria Ackren von der Ilisimatusarfik, der Universität Grönlands zu. „Die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt sind derzeit nicht vorteilhaft.“

Eine grönländische Partei, die Partii Naleraq, setzt trotzdem schon ein Datum für die Unabhängigkeit: „Wir wollen raus aus der Opferrolle“, sagte ein Kandidat einer dänischen Zeitung. „Deshalb wollen wir 2019 eine Abstimmung, um herauszufinden, ob es eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gibt - und eine endgültige Entscheidung 2021.“

Die meisten anderen Parteien rechnen eher in Jahrzehnten. Auch weil es so lange wohl dauern wird, bis die Rohstoffvorkommen im schmelzenden Eis leichter zu erreichen sind. Vor allem die Seltenen Erden, für die China nahezu ein Monopol hat und die für Smartphones und andere technische Geräte unverzichtbar sind, dürften dann noch gefragter sein als jetzt schon.

Akuter und deshalb entscheidender für die anstehende Wahl seien Themen wie Bildung, Wohnungsbau und Fischfangquoten, sagt Martine Lind Krebs von der grönländischen Vertretung in Dänemark. Und die Sprache natürlich: Etwa jeder zweite Grönländer versteht Studien zufolge nur sehr wenig oder gar kein Dänisch. Künstlerin Julie Hardenberg hat gerade einen Versuch beendet: Ein halbes Jahr lang sprach sie in Grönland ausschließlich Grönländisch. Es war schwer, sagt sie. (dpa)