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Glück kennt keine Behinderung

Eine Fotografin nimmt Menschen mit Down-Syndrom auf und hat dadurch ihr eigenes Schubladendenken abgelegt.

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© Christian Juppe

Von Sarah Herrmann

Sie habe Glück gehabt. Diesen Satz hat Jenny Klestil gleich dreimal von Ärzten gehört. Die hatten bei keinem ihrer drei Kinder Trisonomie 21 – besser bekannt als Down-Syndrom – festgestellt. Bis vor drei Jahren empfand auch Klestil das als Glück. Bis der Welt-Down-Syndrom-Tag 2015 kam und die Fotografin entdeckt hat, dass Glück keine Behinderung kennt.

© Jenny Klestil
© Jenny Klestil
© Jenny Klestil

Einen Tag lang wollte die gebürtige Rheinländerin, die heute mit ihrer Familie in Frankfurt am Main wohnt, ehrenamtlich Familien fotografieren, in denen jemand Down-Syndrom hat. „Daraus hat sich ein positives Schneeballsystem entwickelt und immer mehr Familien fragten nach“, sagt die 40-Jährige. Mittlerweile porträtiert die dreifache Mutter fast nur noch „Menschen mit Extras“, wie sie es bezeichnet.

Fast 1 000 Models hatte sie für das Projekt mit dem Namen „Glück kennt keine Behinderung“ bereits vor der Linse. „Das hat mir geholfen, das eigene Schubladendenken abzulegen“, sagt die Fotografin. Sie sehe die Behinderung jetzt nicht mehr als Defizit. Und die Arbeit sei angenehmer. „Es gibt keine Erwartungshaltung“, erklärt Klestil. „Das Ergebnis ist emotional unbezahlbar.“ Seit Beginn des Projekts habe sie zahlreiche schöne Momente erlebt – und auch traurige. Drei ihrer Models sind bereits gestorben. „Damals erreichten mich Nachrichten von der Familie, wie wichtig meine Aufnahmen gerade deshalb sind“, erinnert sich Klestil. Das habe sie sehr gerührt, sagt sie mit vor Tränen glänzenden Augen. Ein kleines Ziel sei durch solche Rückmeldungen schon erreicht. Das große Ziel des Projekts ist es aber, dass Trisonomie kein Tabuthema mehr ist.

Im August 2015 zeigte Klestil ihre Aufnahmen erstmals in einer Ausstellung. Die wurde mittlerweile an 70 verschiedenen Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt. Zudem ist ein Buch erschienen. Auf rund 200 Seiten erzählt Kleistil die Geschichten von 50 Familien in etwa 300 Bildern. Und die Familien erzählen ihre Geschichten in Worten.

Jede hat einen Text geschrieben. Da ist von der 29 Jahre alten Alexa und ihrem Mann Tommy zu lesen, die erst nach der Geburt von dem Syndrom ihrer kleinen Emma erfahren haben. Oder von der 12-jährigen Leonie. Leonie, die schon zweimal am Herzen operiert wurde. Leonie, die sich auf den Boden wirft und trommelt, wenn sie wütend ist. Leonie, die von ihren Eltern und ihrer großen Schwester geliebt wird.

Seit Donnerstagabend sind einige der Aufnahmen auch in der Landesgeschäftsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Sachsen nahe der Waldschlößchenbrücke zu sehen. „Ich bin durch meine Aktivitäten in den sozialen Netzwerken auf das Projekt aufmerksam geworden“, sagt Geschäftsführer Michael Richter. „Schon auf dem Smartphone konnte man sehen, wie viel Liebe die Fotografin ihren Models entgegenbringt.“ Davon konnten sich bei der Eröffnung auch Familien aus Dresden und dem Umland überzeugen. Auch vor Ort wurden Aufnahmen gemacht.

So auch von Barbara, Peter und der siebenjährigen Helen. Dass Helen Trisonomie hat, erfuhr das Klotzscher Ehepaar erst im Kreißsaal. „Es war ein bisschen wie Schicksal“, sagt die Mutter. „Ich habe als Jugendliche bereits ein Kind mit Down-Syndrom betreut.“ Am Anfang sei der Schock groß gewesen. „Da braucht man gar nicht drumrumreden“, sagt die Frau mit dem grauen Kurzhaarschnitt. „Aber für uns stand es nie zur Debatte, sie nicht als unsere Tochter anzunehmen.“

Natürlich sei es nicht immer leicht. Derzeit bereite vor allem die Suche nach einem Schulplatz Sorge. Alle drei Grundschulen in ihrem Umkreis hätten abgesagt. Es sei personell nicht leistbar. Auf eine Förderschule soll Helen möglichst nicht gehen. „Sachsen muss in Sachen Inklusion noch viel leisten“, sagt die Dresdnerin. Im näheren Umfeld gebe es hingegen kaum Probleme. Manche seien unsicher im Umgang mir Helen, Ablehnung gebe es hingegen nie.

Kraft ziehen sie auch aus der Eltern-Initiative „Upsidedown“, in welcher sich Familien mit dem gleichen Schicksal austauschen und verabreden. Bis heute bereuen Barbara und Peter keine Sekunde mit Helen. Auch sie haben erfahren, dass Glück keine Behinderung kennt.

Ausstellung: Am Brauhaus 8, montags bis donnerstags, 9 bis 16 Uhr, sowie freitags bis 13 Uhr