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Glanz und Gloria für Sankt Just

Jugendredakteurin Susanna Siwczyk hat den Restauratoren in Kamenz einen Tag über die Schulter geschaut.

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© René Plaul

Von Susanna Siwczyk

Kamenz. Ich betrete die Kirche und werde von angenehmen 10° Grad Celsius empfangen. Auf dem Weg begegne ich schon einer der Restauratorinnen – Kathrin Christl, wie ich später erfahre – und werde zu einem großen Gerüst geführt. Neben dem üblichen, etwas modrigen Kirchenduft, schwingt auch noch ein leichtes Aroma von frischer Farbe in der Luft. Aus einem kleinen Radio dringt klassische Musik – MDR Kultur, wie mir stolz mitgeteilt wird. Am Gerüst angekommen, lerne ich meine „Aufsichtsperson“ Sandra Risz kennen. Sie beendete ihr Studium 1997 und ist nun seit vielen Jahren als Restauratorin aktiv.

Von der Evanglisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Kamenz angesprochen, arbeitet sie zusammen mit Kathrin Christl, Sonja Kaeten und Katharina Bodenbach seit Ende April 2017 an der Restaurierung der Wandmalereien in der alten Begräbniskapelle. Alle vier sind trotz dicker Jacke, Mütze und Schal erkältet und bibbern vor sich hin. Tatsächlich erinnern die Temperaturen in der Kirche nicht grade an laue Sommernächte. Ich bewundere das Durchhaltevermögen der vier Restauratoren, während meine Gliedmaßen schon langsam zu frieren anfangen. Ich zücke meinen Notizblock – und die Besichtigungstour kann beginnen.

Auf dem wackligen Gerüst



Gleich zu Anfang werde ich mit einem Problem konfrontiert – durch meine Angst vor Höhen besteige ich das wackelige Gerüst zunächst etwas zögerlich. Meine Bedenken vergesse ich jedoch dank des Anblicks, der sich mir bietet, schnell wieder. Wir befinden uns nun ganz oben direkt unter der Decke und ich darf die verblüffend farbenfrohen und detaillierten Malereien bestaunen. Auch die Ornamente und Verzierungen auf den Sandsteinrippenbögen sind noch im Original erhalten und strahlen durch ihre Erdfarben eine gewisse Wärme aus.

Die Gewölbekappen, ebenfalls aus Sandstein, beherbergen jede Menge Engel, darunter einen „Feuerengel“ mit kleinen Flämmchen an den Flügeln. Am Triumphbogen ist die Geschichte der törichten und der klugen Jungfrauen dargestellt. Bei genauerer Betrachtung lassen sich sogar noch die Pinselstriche der ursprünglichen Schöpfer ausmachen. Die Malereien stammen aus dem 15. Jahrhundert, was sich sehr gut an der Kleidung der Figuren erkennen lässt, und sind das Werk kosmopolitischer Künstler im Stil der böhmischen Wandmalerei.

Unter dem Dach lagert außerdem ein Großteil der Ausrüstung der Restauratoren: Überall stehen ehemalige Joghurtbecher und Gewürzgurkengläser, umfunktioniert zu Behältern für diverse Tinkturen zur Reinigung und Retusche der Malereien. Mich überkommt die Lust ein wenig mitzumischen – im wahrsten Sinne des Wortes – allerdings ist die jetzige Retusche-Arbeit sehr anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung. Dafür komme ich in den Genuss, den Beruf als Restaurator hautnah zu erleben, als ich meine Hand einmal in eine Mischung aus Wasser und 100 Jahre alten Putzpigmenten tauchen darf, um meinen abhandengekommenen Kugelschreiber aus dem Reinigungswasser zu fischen.

Der versteckte Sankt Just

Mit einem von Sandra Risz zur Verfügung gestellten neuen Stift, setzen wir unseren Rundgang in der zweiten Etage des Gerüsts fort. Comicartig wird dort von Jesu Geburt, Heldentaten und Kreuzigung erzählt. Auch die Flucht nach Ägypten, die Szene am Ölberg und die Marienkrönung sind abgebildet. Mir fällt ein eigenartiger grauer Bereich an einem der Blindfenster auf. „Das Gewölbe ist etwas schief. An dieser Stelle hat man versucht, diese Asymmetrie mithilfe von Schatten auszugleichen“, erklärt mir Sandra Risz. Auch die Gesetze der Perspektive waren damals noch nicht ganz ausgereift – so ragt einer Figur beispielsweise das Dach eines Gebäudes direkt über den Kopf.

Zuletzt werde ich zur Ostseite hinter den Altar geführt. Dort versteckt sich Sankt Just, der Namensgeber der Kirche, und ein Engel mit Kerze, der den Gottesdienst leitet. Der Altar selbst ist zurzeit von einem großen schwarzen Vorhang bedeckt, um ihn vor Staub und Schmutz zu schützen.

Wieder auf festem Boden angekommen, gibt mir Sandra Risz noch einen tieferen Einblick in die Entwicklung des Projekts: „Das Ganze ist ein schwieriges Unterfangen. Der Anfangszustand war problematisch – sehr lockerer und grob gearbeiteter Putz und die mangelhaften Retuschen von 1938 haben uns die Arbeit nicht grade erleichtert. Es ist nicht einfach, die schlechten Retuschen aufzubessern und gleichzeitig die Originalität zu erhalten.“

Vermutlich war damals weder die Zeit noch das Geld vorhanden, um die Malereien angemessen zu restaurieren. Auf der Nordseite wurden die Heiligen mit Neuputz überdeckt. An mehreren Stellen hat die grobe Freilegung mit einem Hacker die Malereien beschädigt und den Putz so zerklüftet, dass eine Strichretusche nicht mehr möglich ist. Demnach muss auf die sehr aufwendige Punktretusche zurückgegriffen werden. Dabei werden dicht nebeneinandergesetzte Punkte auf die Fehlstellen aufgetragen. Doch die unsaubere Arbeit von damals ist nicht das einzige Problem. Auch die Feuchtigkeit in Bodennähe und die Erschütterungen durch größere Fahrzeuge auf der Straße neben der Kirche verschlechtern den Zustand des Putzes.

Beeindruckender Unterschied

Dass die Arbeit der Restauratoren trotz der vielen Hindernisse nicht umsonst war, beweisen die vorher-nachher Fotos, die mir Frau Risz zeigt. Die Malereien wurden gereinigt, der Putz befestigt und an der Retusche wird grade gearbeitet. Der Unterschied ist beeindruckend: Die Farben wirken viel intensiver, die Oberfläche glatter und die Gesichtskonturen einiger Figuren sind wieder zu erkennen. Sogar der verloren geglaubte Fuß eines Heiligen konnte freigelegt werden.

Zuletzt unterhalte ich mich noch mit Katharina Bodenbach, dem jüngsten Mitglied des Teams und im letzten Studienjahr. Sie berichtet von ihren Erfahrungen als Studentin. Wer Restaurator werden möchte, muss ein Studium mit praktischem und theoretischem Teil absolvieren. Es gibt verschiedene Kurse wie Holztechnik und Tafelmalerei und neben Kunst und Handwerk spielen auch Physik und Chemie eine Rolle. „Zusammengefasst habe ich es nie bereut, Restauration zu studieren. Man kommt viel rum, ich war bereits in Indien in einem buddhistischen Tempel und habe in Österreich ein Vorpraktikum absolviert. Außerdem ist man nach dem Studium oft sein eigener Chef und dank der vielen Facetten dieses Berufs nie gelangweilt“, erzählt sie.

Mein Aufenthalt neigt sich langsam dem Ende zu. Kurz bevor ich den Heimweg antrete, darf ich noch miterleben, wie der Babykostwärmer, mit dem die Retuschemittel erhitzt werden, einen Kurzschluss auslöst und die Belüftung lahmlegt. Der Elektriker ist jedoch schnell zur Stelle.

Halberfroren und um den Verlust meines Kugelschreibers trauernd, aber dafür um einiges gebildeter im Hinblick auf Restauration und Bibelgeschichte, verlasse ich die Kirche. Der Tag hat mir einen guten Einblick in den abwechslungsreichen Beruf eines Restaurators gegeben: Man reist viel, kann komplex und anspruchsvoll arbeiten, lernt viele Dinge zur Bau- und Kunstgeschichte und kann durch viel Recherche und Detektivarbeit ein wenig in die Rolle von Sherlock Holmes schlüpfen. Ein wirklich schöner Beruf – nur sollte man auch die ein oder andere dicke Winterjacke im Schrank haben.

Ein Tag als ... ist die Reportagen-Serie der Kamenzer Jugendredaktion. Die Jugendlichen probieren einen Beruf aus, den sie schon immer kennenlernen wollten. Einige Unternehmen und Institutionen unterstützten sie und machten so Begegnungen möglich. Vielen Dank dafür!