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Giftpfeile nach Dresden

„Stolz wie Bolle“ ist Johannes Vetter nach seinem WM-Triumph. Den verdankt der Speerwerfer vor allem seinem Trainer Boris Obergföll und dessen Frau Christina. In Sachsen habe keiner so recht an ihn geglaubt.

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© dpa

Ulrike John

London. Speerwurf-Weltmeister Johannes Vetter wusste nach seinem Triumph von London genau, bei wem er sich bedanken wollte - und bei wem nicht. Als die Freudentränen am Samstagabend im Londoner Olympiastadion getrocknet waren, rechnete der 24-Jährige erst einmal mit jenen ab, die ihm so einen Coup nie zugetraut hätten. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen“, sagte Vetter und schob noch hinterher: „Das sollen sie auch tun.“

Mit seinem Wechsel vor drei Jahren zu Bundestrainer Boris Obergföll nach Offenburg hat Vetter nach eigener Überzeugung den entscheidenden Karriereschritt gemacht. Dass er bei der Leichtathletik-WM 2017 Gold erobert, hätte er aber damals wohl selbst nicht gedacht. Vetter kündigte seine Ausbildung bei der Landespolizei, wechselte zur Sportfördergruppe der Bundeswehr, verließ den Dresdner SC, zog 620 Kilometer nach Südwesten und schloss sich der LG Offenburg an. Bei Obergföll verbesserte er sich dann um fast 15 Meter, sein Bauchplatscher nach einem Wurf ist inzwischen sein Markenzeichen.

„Ich habe alles hinter mir gelassen und bin komplett neue Wege gegangen“, erklärte der Olympia-Vierte, der mittlerweile in Sekundenschnelle zwischen Sächsisch und Badisch wechseln kann. „Meines Erachtens wurde ich in Dresden nicht meinem Talent und meinen Leistungen entsprechend gefördert.“

Der Respekt der Konkurrenz vor dem WM-Finale war Vetter allerdings sicher. Mit seinem deutschen Rekord von 94,77 Metern am 11. Juli in Luzern und seinen 91,20 Metern am Donnerstag in der WM-Ausscheidung hatte er sich dann endgültig in die Position eines Favoriten gebracht.

Vetter entschied gleich mit dem allerersten Wurf des Abends den Wettkampf - was in jenem Moment kaum einer der 56 000 Zuschauer dachte. Er schleuderte den Speer auf 89,89 Meter hinaus.

Bitter für Mitfavorit Thomas Röhler: Der Olympiasieger aus Jena musste mit 88,26 Metern als Vierter Jakub Vadlejch (89,73) und Petr Frydrych (88,32) die weiteren Medaillen überlassen. „Ich hatte gedacht, dass Thomas heute in der Lage ist, über 90 Meter zu werfen“, sagte Vetter später. Doch die Tschechen haben auch einen erfolgreichen Trainer: Weltrekordler Jan Zelezny, der gleich dreimal Olympiasieger und Weltmeister war.

Röhler nahm es mit Größe. „Das war mal wieder ein perfektes Beispiel, wie Sport funktioniert. Es muss halt auch den einen Menschen geben, der den vierten Platz belegt bei Weltmeisterschaften“, sagte der 25-Jährige. „Den hab ich wieder ausgelost heute. Die Leistungen waren wirklich sehr, sehr dicht beieinander.“

Der Mannheimer Andreas Hofmann belegte mit 83,98 Metern den achten Platz. „Jetzt ist endlich alles raus, ich bin froh, dass es Johannes geschafft hat“, sagte Bundestrainer Obergföll zum hochgewetteten deutschen Trio. „Leider hat es nicht zu den zwei Medaillen gereicht, von denen wir geträumt hatten, vielleicht sogar drei.“

Auch beim Deutschen Leichtathletik-Verband war der Jubel groß nach dem ersten Titel in London. „Man geht mit einem Weltmeister und drei Athleten unter den Top-Acht der Welt raus. Und mit einem Olympiasieger, der um sechs Zentimeter am Podium vorbeigegangen ist mit 88 Metern“, sagte Cheftrainer Idriss Gonschinska und verwies darauf: „2012 wurde der Olympiasieg noch mit 84 Meter vergeben.“

Auf Vetter wird nun einiges einprasseln. Röhler, der ein bemerkenswert professioneller und sympathischer Öffentlichkeitsarbeiter für den Speerwurf ist, kann ihn da sicher beraten. „Ich glaube, Olympiasieger ist nochmal eine andere Hausnummer. Aber es hat mich sehr gefreut, dass Johannes die Leistung heute bestätigen konnte, die er die letzten Wochen gezeigt hat“, sagte der Thüringer. „Wir wären gerne gemeinsam oben gestanden.“

Einzige deutsche Speerwurf-Weltmeister waren bislang Linkshänder Matthias de Zordo aus Saarbrücken 2011 und der Berliner Detlef Michel 1983. „Ich bin stolz wie Bolle. Was ich die letzten drei Jahre mit Boris auf die Beine gestellt habe, ist einfach unbeschreiblich“, sagte Vetter und verwies auch auf die mentale Unterstützung von Ex-Weltmeisterin Christina Obergföll: „Sie hat mir vor dem Wettkampf geschrieben: Hol dir das Ding heute! Hol dir Gold! Du hast es so drauf, du hast es so verdient.“ (dpa)