Merken

Gewalt im Einsatz

Sie wollen Hilfe leisten, werden aber verbal oder tätlich attackiert. Der Respekt vor den Rettern geht immer mehr zurück.

Teilen
Folgen
© Arno Burgi/dpa

Von Maria Fricke

Am Abend des 19. Juni wurden Rettungskräfte in eine Wohnung nach Frankenberg gerufen. Dort sollten sie einem Mann helfen. Der hatte seine Wohnungstür allerdings verschlossen. Die Rettungssanitäter riefen die Feuerwehr. Sie öffnete die Tür. In der Wohnung erlebten die Helfer ihr blaues Wunder. „Als man dem Mann helfen wollte, schlug er auf zwei Rettungssanitäter ein“, beschreibt Jana Kindt, Sprecherin der Polizeidirektion (PD) Chemnitz. Die Rettungskräfte wurden leicht verletzt, mussten ambulant behandelt werden. Die Ermittlungen wegen des Verdachtes der Körperverletzung laufen.

Es gibt sie, auch hier, die Übergriffe auf Rettungskräfte, Feuerwehr oder Polizei. „Bisher sind die tätlichen Angriffe immer glimpflich abgelaufen“, sagt Matthias Mucke, Leiter Rettungsdienst Hainichen beim DRK Döbeln-Hainichen. Nur selten hätten sich Mitarbeiter ärztlich vorstellen müssen, seien meist weiter arbeitsfähig gewesen. Verbale Angriffe aber stünden auf der Tagesordnung. „Die Kräfte werden von den Patienten beschimpft“, schildert Mucke. Meist liege es am Krankheitsbild des Patienten, in einigen Fällen spielen auch Alkohol und Drogen eine Rolle. „Aber das ist nicht die Masse“, so Mucke.

Beleidigung beim Fluteinsatz

Auch René Greif, der Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Hartha, hat mit seinen Kameraden schon einmal eine solch unschöne Erfahrung machen müssen. „Eine Person wollte sich vor einigen Jahren nicht retten lassen. Dort gab es verbale Entgleisungen“, schildert Greif. Alkohol und Drogen seien nicht im Spiel gewesen. „Sonst ist unsere Hilfe bisher meist immer angenommen worden“, sagt Greif. In Döbeln und Leisnig seien Übergriffe auf die Kameraden bisher ausgeblieben, sagen die Wehrleiter. Die Ostrauer seien bei einigen Flut-Einsätzen beleidigt worden. „Warum kommt ihr erst jetzt? Warum habt ihr keine Sandsäcke dabei?“, seien die Fragen gewesen, mit denen die Kameraden am Einsatzort konfrontiert worden sind, sagt Gemeindewehrleiter Heiko Ramm.

„Gewalt im Einsatz, das ist ein großes Problemfeld“, sagt Uwe Knoll, Landesgruppenvorsitzender der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft Sachsen. „Datenbanken gibt es dazu allerdings noch keine.“ Das Problem bei der Erfassung der Fälle sei die Antwort auf die Frage: Was ist Gewalt? „Das empfindet jeder anders“, sagt Knoll. Erst seit diesem Jahr werde das Thema mehr und mehr in der Öffentlichkeit diskutiert, so Knoll.

Mit der Initiative „Gewalt im Einsatz“, die Kameraden dazu aufruft, im Internet einen Fragebogen zu dem Thema auszufüllen, sollen zukünftig die Übergriffe erfasst werden. Knoll selbst ist Feuerwehrmann in Leipzig-Connewitz. Er weiß, wovon er spricht, wenn es um Gewalt im Einsatz geht. Denn die Zustände in Leipzig eskalieren gerade in diesem Ortsteil häufiger. Im Dezember 2015 auf der Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig sei es, so Knoll, wie Bürgerkrieg gewesen. „Es gab massive Übergriffe auf die Feuerwehr.“

Aber auch die Polizei ist vor Angriffen nicht geschützt. Genau 62 Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gab es im vergangenen Jahr in Mittelsachsen. Im Vorjahr waren es 61. Fast alle konnten aufgeklärt werden, informiert Jana Kindt.

Die Motive der Täter sind, wie auch Mucke vom DRK berichtet, vielfältig. „Mitunter reicht das Auftauchen einer Uniform, egal ob Rettungssanitäter oder Polizei oder Feuerwehr, aus“, erklärt Jana Kindt. Alkohol und andere Drogen spielten keine unwesentliche Rolle, aber auch Krankheiten seien Grund für die verbalen wie tätlichen Angriffe und Widerstände.

Fünf Jahre für tätlichen Angriff

Die Übergriffe zeigen: Der Respekt vor den Rettern hat nachgelassen. „Die frühere Stellung des Rettungsdienstes war eine andere“, so Matthias Mucke. Wenn ein Rettungswagen zum Einsatzort komme, werde er nicht mehr in dem Sinn wahrgenommen. Statt Platz zu machen, werde neugierig geschaut. Der „kaum mehr vorhandene Respekt gegenüber den Beamten“, bereitet auch Uwe Reißmann, dem Polizeipräsidenten der PD Chemnitz, Sorgen. Denn sowohl 2015 als auch 2016 habe es massive Handlungen gegenüber den Beamten gegeben.

Doch wie lässt sich das Problem lösen? Selbstverteidigungskurse gibt es weder für die Feuerwehr noch die Rettungskräfte, wie die Vertreter beider Helfergruppen sagen. Bei der Feuerwehr in Leipzig wird ein Lehrgang zum Thema Gewalt angeboten. Das DRK Döbeln-Hainichen setzt auf Deeskalation und Kommunikationstraining. Die Situation soll zunächst durch Gespräche entspannt werden. Motto: Eher einen Schritt zurück, als Abwehr. Wird es brenzlig, werde die Polizei alarmiert, so Mucke.

Seit dem Frühjahr gibt es ein Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, sagt Jana Kindt. „Bei tätlichen Angriffen auf Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte drohen nunmehr bis zu fünf Jahre Haft“, erklärt sie. Bis zum Frühjahr habe es eine solche Strafandrohung nur für Angriffe während Vollstreckungshandlungen gegeben. „Jetzt ist jede Diensthandlung geschützt“, so die Sprecherin. Von dem Gesetz profitieren die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste.