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Gefährliche Straßenbahn-Streichler

Die Verkehrsbetriebe machen ernst: Hört die Gefährdung in der Neustadt nicht auf, fährt die Linie 13 dort nicht mehr.

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© Christian Juppe

Von Kay Haufe

Dresden. Erst sind es zwei, drei Leute, ab 23 Uhr bevölkern oft bis zu 100 Menschen die Kreuzung Louisen-/Rothenburger und Görlitzer Straße. Vorwiegend an lauen Wochenend-Abenden sitzen sie auf den Bordsteinen, stehen auf den angrenzenden Gleisen, quatschen, trinken Bier. Wenn dann eine Straßenbahn vorbeikommt, die aufgrund der Menschmassen langsam fährt, wird diese gern mal „gestreichelt“. Zudem ziehen die Sitzenden oft erst im letzten Moment ihre Füße von den Gleisen zurück.

Was für die Feierseligen ein Spaß ist, bereitet den Fahrern die allergrößten Probleme. Denn sie müssen entscheiden, ob die Straßenbahn weiterfahren kann, ohne jemanden zu gefährden. „Natürlich kann der Fahrer über den Spiegel eine Person auch noch in 30 Meter Entfernung beobachten. Aber hier sprechen wir von vielen Menschen, die sehr dicht am Fahrzeug stehen. Da ist oft nicht mehr erkennbar, ob jemand in Gefahr ist oder es gleich sein könnte“, sagt Jan Silbermann, der Betriebsleiter Straßenbahn bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB). Schon fünfmal musste die Linie 13 deshalb in diesem Jahr über Albertplatz und Bahnhof Neustadt oder die Königsbrücker Straße umgeleitet werden, vor allem im Juni und Juli. Die Fahrgäste waren sauer, die Fahrer verunsichert, der Fahrplan nicht mehr einzuhalten. „Aber ich stehe voll und ganz hinter der Entscheidung meiner Fahrer“, sagt Silbermann. Nichts sei wichtiger als die Sicherheit.

Damit sich das „Straßenbahn-Streicheln“ angesichts anhaltend warmer Temperaturen nicht etabliert, reagieren die DVB jetzt mit Aushängen an den Haltestellen im Viertel und im Fahrgastfernsehen in den Bahnen, die nahe der Neustadt unterwegs sind oder durch sie hindurchfahren. Auch auf Twitter und Facebook ist die Botschaft zu sehen. „Ihr sagt: harmlos, witzig, cool! Wir sagen: Dumm, gefährlich, uncool!“ Die bisherigen Reaktionen seien durchweg positiv, sagt der Betriebsleiter. Aber ob das jetzt dazu führt, dass sich die „Streichler“ zurückhalten, kann er nicht sagen. Am kommenden Wochenende werde auf jeden Fall der Dispatcher vor Ort sein und die Lage beobachten. „Das Komische ist, dass man nicht voraussagen kann, wann die Lage gefährlich wird“, sagt Silbermann. Am vergangenen Wochenende beispielsweise habe es keinerlei Störungen gegeben. Doch wenn das Streicheln regelmäßig auftritt, erwägen die DVB, die Linie 13 nachts dauerhaft umzuleiten.

Neu ist das Phänomen nicht. Schon seit rund fünf Jahren kämpfen die Verkehrsbetriebe damit. „Meist erledigt sich das Problem mit den kälter werdenden Abenden.“ Doch darauf will sich auch die Polizei nicht verlassen, die mit den DVB schon seit Jahren zusammenarbeitet. „Die derzeitige Situation an der Kreuzung ist für uns nicht zufriedenstellend“, sagt Polizeisprecher Thomas Geithner. Deshalb sind seine Kollegen vor allem an Wochenenden, wenn es die Lage zulasse, schon ab 18 Uhr vor Ort und sprechen mit den ersten Passanten am sogenannten Assi-Eck. „Ziel ist, die Menschenmenge gar nicht erst auf über 100 anwachsen zu lassen. Das erfordert Zeit und Personal“, sagt Geithner. Beides ist angesichts steigender Delikte in der Äußeren Neustadt knapp. „Da gibt es den Scheunevorplatz und den Alaunpark, die Schwerpunkte der Straßenkriminalität sind. Die haben für uns Vorrang vor der Sachbeschädigung an Straßenbahnen“, sagt Geithner. Grundsätzlich sprechen die Beamten Platzverweise nur in Ausnahmefällen aus.

Auch das Ordnungsamt ist regelmäßig vor Ort. Die Kreuzung ist für den Gemeindlichen Vollzugsdienst einer der Schwerpunktbereiche. Bedienstete der Besonderen Einsatzgruppe bestreifen den Bereich im Spät- und Nachtdienst regelmäßig mehrmals, sagt Stadtsprecher Kai Schulz. Der Spätdienst ist von 18 bis 23 Uhr im Einsatz, der Nachtdienst freitags und samstags zwischen 20 und 2 Uhr. „Dabei werden immer wieder Belehrungen ausgesprochen, dass die Straße freizuhalten ist. Ziel ist es, die Gefahrensituation zu beseitigen“, so der Stadtsprecher.