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Gardinen zwischen zwei Bundesstraßen

Claudia Köhler ist mit ihrem Laden von Zeithain nach Riesa gezogen, direkt an die Elbbrücke. Ein Neustart mit 61.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Von außen betrachtet hat nichts dafür gesprochen, umzuziehen – noch dazu in einen größeren Laden. Claudia Köhler ist 61 Jahre alt, hat zwei künstliche Kniegelenke. Zudem hat ein Vertreter der Gardinenladen-Inhaberin vor Kurzem das Aussterben ihres Geschäftsmodells prophezeit: In 20 Jahren gebe es keine Gardinengeschäfte mehr – so der Tenor. „Es stimmt schon, vor allem ältere Leute kaufen bei mir. Junge Leute, die sich vielleicht gerade ein Haus gebaut haben, kommen auch mal.“ Aber die seien in Sachen Gardinen eher dezent unterwegs. „Mal ein Schal oder ein Raffrollo. Mehr wollen die Jungen heutzutage nicht.“ Doch noch läuft’s. Und wie es in zwei Jahrzehnten um den Gardinenhandel bestellt ist, wird die Unternehmerin dann nicht mehr interessieren. In fünf oder sechs Jahren möchte sie in Rente gehen. Noch so ein Grund, der einem Neuanfang eigentlich widersprochen hätte.

Vor dem Haus die B 182, dahinter die B 169 – nicht sehr gemütlich, aber die Unternehmerin findet die Lage super.
Vor dem Haus die B 182, dahinter die B 169 – nicht sehr gemütlich, aber die Unternehmerin findet die Lage super. © Sebastian Schultz
Die Lieblingsnähmaschine von Claudia Köhler: eine alte Veritas aus DDR-Produktion.
Die Lieblingsnähmaschine von Claudia Köhler: eine alte Veritas aus DDR-Produktion. © Sebastian Schultz

Trotzdem hat sie es gewagt – weil sie es wagen musste. Im November eröffnete Claudia Köhler ihren Gardinenladen neu. Vorher war sie im Gewerbegebiet in Zeithain. „Jetzt bin ich mitten in Riesa“, sagt die Unternehmerin. Das kann man wohl sagen. Ihr neues Geschäft liegt an der Berliner Straße – das letzte Haus in Richtung Elbe, direkt neben der Auffahrt auf die Elbbrücke. Vor dem Gebäude führt die B 182 entlang, dahinter die B 169. Ist das nicht ein ungewöhnlicher Standort für einen Gardinenladen? Claudia Köhler findet nicht. Sie fühlt sich ausgesprochen wohl in ihrem neuen Domizil. „Der Standort ist super. Wer hier bei Rot an der Ampel wartet, kann gar nicht anders, als meine Schilder lesen.“ Für sie die perfekte Werbung. Ihre Stammkunden hätten den Umzug bereitwillig mitgemacht. Auch wenn Claudia Köhler jetzt froh ist – von allein, wäre sie nicht aus Zeithain weggegangen. „Ich musste. Nach 22 Jahren habe ich unerwartet die Kündigung erhalten.“ Der Kündigung war ein Wasserschaden vorausgegangen. „An dem Dach wurde Jahre lang nichts gemacht. Es hat sich ein kleiner See gebildet, weil die Abflüsse verstopft waren. Das Wasser hat sich dann seinen Weg gesucht.“ Doch bemerkt hat sie die Feuchtigkeit nicht sofort. „Irgendwann hat es hinter den Schränken angefangen zu schimmeln.“ Sie habe viel wegschmeißen müssen. Schadensersatz habe sie nicht erhalten. „Darüber streite ich mich immer noch mit dem Vermieter.“ Zu allem Überfluss verabschiedete sich in dieser Zeit auch noch ihre, wie sie sagt, „einzigartige Näherin“ Brigitte Rösler in den Ruhestand. Kurz hat auch Claudia Köhler überlegt, aufzugeben.

Mit 66 Jahren in Rente

Doch wenn sie ihre volle Rente haben will, müsse sie noch bis 66 durchhalten. „Und außerdem, was soll ich den ganzen Tag zuhause rumsitzen?“

Für Riesa entschied sie sich, weil sie mit ihrem Mann in Hirschstein lebt. „Da bin ich jetzt natürlich schneller im Laden als früher.“ Bei der Suche nach einem neuen Geschäft kam es ihr vor allem drauf an, dass er verkehrsgünstig gelegen ist, groß und Parkplätze direkt am Haus sind. Denn häufig brächten Kunden Tapetenrollen oder Kissen mit, um sich passende Gardinen auszusuchen. „Da ist es günstig, wenn man gleich nebenan parken kann.“ Neben dem Haus an der Berliner Straße sei außerdem das Volkshaus und ein Laden am Rathausplatz in die engere Auswahl gekommen. Letztlich entschied sich Claudia Köhler aber für die Lage an der viel befahrenen Straße. Die Räume kannte sie bereits aus der Zeit, als sie noch vom Immobilienunternehmen Klemm genutzt wurden.

Inzwischen hat Köhler mit Lidia Pavenko auch wieder eine Näherin gefunden. Mit der gelernten Damenmaßschneiderin ist sie ebenfalls „äußerst zufrieden“. Claudia Köhler ist als Quereinsteigerin in dem Beruf gelandet. Sie studierte in der DDR Ökonomie. „Wie viele andere habe ich mich nach der Wende zuhause selbstständig gemacht.“ Genäht habe sie schon immer. So entstanden ab 1991 die ersten Gardinen im heimischen Keller. Erst 1995 zog sie ins Zeithainer Gewerbegebiet – und von dort nun eben nach Riesa. „Ohne meine Familie und die vielen Helfer hätte ich das nicht geschafft. Dafür noch mal herzlichen Dank!“