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Sendepause

Rohullah Qaderi hat in Afghanistan als Reporter gearbeitet. Dann wurde er bedroht und floh. Asyl musste er sich erklagen.

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© Egbert Kamprath

Von Franz Werfel

Altenberg. Für Rohullah Qaderi ist der 30. Dezember 2014 ein ganz normaler Arbeitstag. Der damals 22-jährige Fernsehreporter will sich an der Blauen Moschee in Masar-i-Scharif, im Norden Afghanistans, mit einem Informanten treffen. Dieser hat ihm Videomaterial für den Lokalsender Kam TV versprochen. Im Sender arbeitet Qaderi als Dokumentarfilmer und Produzent. Doch die Begegnung läuft aus dem Ruder.

„Weil vor der Moschee so viele Menschen standen, sagte der Informant, wir könnten uns doch in seinem Auto besprechen“, sagt Qaderi. Heute sitzt er in heller Stoffhose und weißem Hemd, das ein fein durchwebtes Tweed-Sakko bedeckt, in einem Dönerladen in Altenberg. Noch wohnt Rohullah Qaderi in Zinnwald in einem Flüchtlingsheim. Nach Altenberg ist er gekommen, um seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von einem jungen Mann, der die Rechte der afghanischen Gesellschaft auf freie Information verteidigen wollte. Eine Geschichte, wie Terroristen den Journalisten für einen Anschlag missbrauchen wollten. Und eine Geschichte darüber, wie deutsche Gerichte Asyl-Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge korrigieren.

„Ich stieg zu dem Mann ins Auto, etwas abseits der Moschee “, erzählt Rohullah Qaderi weiter. Er spricht gut Deutsch, redet ruhig. „Am Lenkrad saß ein zweiter Mann, der hatte eine Waffe in der Hand.“ Die Männer haben kein brisantes Videomaterial für den Reporter. Aber einen brisanten Auftrag. „Sie sagten: Wir präparieren deine Kamera mit einer Bombe.“ Damit soll er ein ranghohes Mitglied der Bezirksregierung von Masar-i-Scharif töten. In Deutschland ist die Stadt mit ihren rund 260 000 Einwohnern bekannt. Unweit des Zentrums unterhält die Bundeswehr seit 2005 ihr größtes ausländisches Feldlager.

Dem Fernsehsender Kam TV, bei dem Qaderi arbeitet, werden gute Kontakte zu den lokalen Politikern nachgesagt. Wenn er sich und den Politiker in die Luft sprenge, sagen die Männer, gehe Qaderi in die Geschichte ein. Seine Familie wollen sie für diesen Dienst reich entlohnen. Wenn er sich weigert, wollen sie ihn, seine Eltern und seine elf Geschwister töten. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, schlagen sie den Reporter mehrfach ins Gesicht.

Rohullah Qaderi ist Sunnit, sagt aber, dass er nicht an Allah glaubt. Bis heute weiß er nicht, zu welcher Terrorgruppe die Männer gehören. Er denkt nicht, dass es Taliban waren. Noch am selben Tag nach der Begegnung in dem Auto kündigt er seinen Job beim Sender. Seiner Familie erzählt er erst einmal nichts von dem Vorfall.

Elf Tage später, kurz nach seinem 23. Geburtstag, überfallen mehrere Männer das Handygeschäft von Rohullah Qaderis Bruder. Er selbst ist auch gerade in dem Laden. Auf ihn haben es die Rebellen abgesehen. „Ich habe mich auf den Boden geworfen und so laut um Hilfe geschrien, bis sie wieder weggegangen sind“, sagt Qaderi. Dann vertraut er sich seinem Vater an. Gemeinsam beschließen sie, dass Rohullah Qaderi Afghanistan verlassen soll.

4 000 Dollar für die Flucht

Es dauert einen Monat, bis die Familie 4 000 US-Dollar zusammen hat, die er für seine Flucht braucht. So lange versteckt er sich in einem kleinen Dorf südlich von Masar-i-Scharif. Dann beginnt seine Reise. Mal zu Fuß, mal mit dem Auto erreicht Rohullah Qaderi über Pakistan, den Iran und die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Tschechien die Bundesrepublik. Mitte August 2015 schafft er es auch noch über die letzte Grenze. In Deutschland stellt er am 15. September seinen Antrag auf Asyl.

Rohullah Qaderi ist ein Geflüchteter, wie ihn sich deutsche Politiker, Verwaltungsbeamte und Mitbürger wünschen. Er hat nach zwölf Jahren den höchsten Schulabschluss Afghanistans erreicht und sein Bachelorstudium zum Englischlehrer erfolgreich abgeschlossen. Er spricht die zwei persischen Sprachen Dari und Farsi, das pakistanische Urdu, sehr gut Englisch und Deutsch mittlerweile auf B-1-Niveau. Das bedeutet, dass er sich fließend unterhalten kann. Er kann Handys reparieren, unterrichten, moderieren und Fernsehbeiträge planen, filmen, schneiden, vertonen.

In dem Altenberger Dönerladen holt Rohullah Qaderi einen Schnellhefter hervor. Die Dokumente, die er in Klarsichtfolien abgeheftet hat, erzählen sein Leben vor und nach der Flucht. Für die Zeit in Afghanistan stehen Fotos seiner Familie, Urkunden von Schule und Uni und ein Empfehlungsschreiben seines Chefs beim Fernsehen. In dem Brief bedankt sich sein früherer Vorgesetzter für die Arbeit beim Sender, bezeichnet Qaderi als zielstrebig und diszipliniert. Er wünscht ihm für seinen weiteren Lebensweg alles Gute.

Für die Zeit in Deutschland stehen ein halbes Dutzend Zertifikate und Urkunden. In den vergangenen 18 Monaten hat Rohullah Qaderi mehrere Praktika absolviert, unter anderem bei der Caritas und beim sächsischen Flüchtlingsrat. Auch einen Brief des Altenberger Bürgermeisters hat Qaderi abgeheftet. Darin bedankt sich Thomas Kirsten für seine Mithilfe bei der Koordination neuankommender Flüchtlinge. Mehrere Wochen hat Rohullah Qaderi der Stadt Altenberg als Dolmetscher geholfen.

Und noch etwas steckt in dem Hefter. Es ist der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. In dem steht, dass Rohullah Qaderi in Deutschland kein Asyl zustehe. Zwar glaubt ihm die Bundesbehörde seine Geschichte. In ihrer Begründung steht aber: „Die vorgetragene Bedrohung durch diese Gruppierung kann in ihrer Intensität nicht als eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung gewertet werden.“ Dem Ablehnungsbescheid liegen Informationen zur freiwilligen Rückreise bei. Innerhalb von 30 Tagen soll Qaderi ausreisen.

Fast 6 400 Klagen in einem Jahr

Der Brief, den Rohullah Qaderi Anfang August 2016 bekommt, ist für ihn ein Schock. Er denkt an seine Recherche über ehemalige Taliban-Kämpfer, die zur afghanischen Polizei gewechselt seien. Wegen der Bedrohung konnte er die Doku nicht fertigstellen. „Der Rohschnitt liegt noch im Sender“, sagt er. Für ihn steht fest: „Bevor mich Deutschland zurück nach Afghanistan schickt, bringe ich mich lieber um.“

Zwei Wochen haben Schutzsuchende Zeit, nach einem abgelehnten Asylantrag Klage bei einem Verwaltungsgericht einzureichen. 2016 haben das in Sachsen fast 6 400 Menschen gemacht. Oft kommen sie so zu ihrem Asylstatus. Der Freistaat stellt wegen der Klagewelle 14 Richter neu ein. Das Dresdner Gericht gibt Rohullah Qaderis Klage Ende 2016 statt. Auch mit Verweis auf seine Arbeit als Reporter bekommt er den subsidiären Status und darf mindestens drei Jahre in Deutschland bleiben. Obwohl er den Journalismus liebt und für das, was ihm passiert ist, nichts kann, macht sich Qaderi Vorwürfe. „Hätte ich den Job nicht gemacht, könnte ich heute noch in meiner Heimat leben.“ Und seine Familie wäre nicht bedroht. Seine Eltern und Geschwister sind nach Kabul gezogen. Sie fühlen sich in Afghanistan nicht mehr sicher. Aber die Grenzen nach Europa sind dicht.

In der nächsten Woche beginnt Rohullah Qaderi einen Schnupperkurs im Dresdner Kreuzgymnasium. Bis er nach Dresden umzieht, wird er jeden Tag von Zinnwald mit dem Bus pendeln. Wenn alles passt, will er dort einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren. „Ich möchte erst mal als Lehrer arbeiten.“ Ob er je in seinen Traumjob zurückkehren wird, ist ungewiss.