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Fahrraddiebstahl als Familiensache

Familie S. kam in ein Dorf bei Niesky, um zu stehlen. Nun müssen sich Vater, Mutter und die Söhne vor dem Görlitzer Landgericht verantworten.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Thomas Schade

Mutter, Vater und zwei Söhne – es kommt nicht alle Tage vor, dass fast eine komplette Familie auf der Anklagebank sitzt. Am Landgericht Görlitz ist das seit Montag der Fall. Hier muss sich Familie S. verantworten, weil sie im großen Stil Fahrräder gestohlen haben soll, so die Staatsanwaltschaft in der Anklage.

Getrennt werden Vater Erich, 43, und Mutter Anna, 44, in den Saal 216 des Görlitzer Landgerichtes geführt. Beide sitzen seit August 2016 in Untersuchungshaft. Ihre Söhne Pascal, 19, und Tobias, 22, wurde zwischenzeitlich wieder freigelassen. Die eher schmächtige Anna S., eine gebürtige Polin, wirkt niedergeschlagen, versucht ihr Gesicht hinter einem Plastikhefter zu verbergen. Ehemann Erich, ein fast schon freundlich dreinschauender Mann, ist Deutscher und gilt für die Staatsanwaltschaft als der Kopf der Familienbande.

Beide lernten sich kennen, da war er gerade mal 18 und sie 19. Es soll die große Liebe gewesen sein, sagt Verteidigerin Ines Kilian. Beide leben seit vielen Jahren in Deutschland. Als sie 1992 heirateten, waren aber beide offensichtlich zu jung, um ihr Leben selbst in die richtigen Bahnen zu lenken. Mutter Anna hat keine Ausbildung und auch nie gearbeitet. Vater Erich versuchte sich als Müllfahrer und hat auch mal auf einer Hühnerfarm gearbeitet.

Der Sprung in die Selbstständigkeit scheiterte ebenfalls, eine Abrissfirma, die beide gegründet hatten, ging nach kurzer Zeit pleite. So war das Geld meist knapp und nach zahlreichen kleineren Vergehen beschlossen die S.s im Jahr 2015 endgültig, ihren Lebensunterhalt aus Straftaten zu bestreiten. Nur ein Teil davon, so war am Rande zu erfahren, ist nun Gegenstand des Prozesses.

Staatsanwalt Ringo Hensel wirft der Familie schweren bandenmäßigen Diebstahl in vielen Fällen vor. Die Familienmitglieder seien in unterschiedlicher Weise an den Straftaten beteiligt gewesen. In seiner Anklage legt der Staatsanwalt der Familie 17 Diebesfahrten zur Last, die sie vom September 2015 bis zum 2. August 2016 unternommen hatten. Für die Fahrten nach Dresden, Radeberg, Radebeul, Weinböhla, Niesky, Bautzen oder Görlitz nutzten sie speziell präparierte Fahrzeuge, mal mit deutschem, mal mit polnischem Kennzeichen.

Mit Zangen und Bolzenschneidern seien die Fahrradsicherungen geknackt worden. Zudem, so die Anklage, habe in der Familie eine Art Arbeitsteilung bestanden. Die Söhne Pascal und Tobias hätten die Bikes entwendet, Vater und Mutter wartete im Auto und brachte das Diebesgut in den sogenannten „Bunker“. So nannten die S.s die Garage im polnischen Zgorzelec, in der sie ihre Beute versteckten und weiterveräußerten.

Wie viele Fahrräder die Familie insgesamt gestohlen habe, lasse sich nicht genau beziffern, so Staatsanwalt Ring Hensel. In der Anklage seien nur die Taten enthalten, die den S.s konkret zugeordnet werden können. Der verursachte Gesamtschaden könne wahrscheinlich zu einem fünfstelligen Betrag aufgerechnet werden. Die Zahl sei jedoch nicht prozessrelevant, da jeder Diebstahl als „juristisch selbstständige Tat“ beurteilt werde.

Die Familienbande war bereits im Juni 2016 nach einem Diebeszug in Bautzen bei einer Verkehrskontrolle zufällig in die Hände der Polizei geraten. Die Beamten fanden damals in dem Auto zwei Bolzenschneider, Zangen und sechs Räder im Wert von 2 800 Euro. Warum der Bande nicht schon damals das Handwerk gelegt wurde, blieb am ersten Verhandlungstag unklar. Die Angeklagten ließen sich durch den Aufgriff keinesfalls schrecken. Vier Wochen später stahlen sie zwei Räder im Elbepark Dresden, fuhren anschließend zum Flughafen und wechselten dort von ihrem Fluchtauto in den Ferienflieger in die Türkei, um Urlaub zu machen.

Danach rückte Familie S. fast täglich zu Diebesfahrten aus und merkte wohl nicht, dass sie mittlerweile auf dem Radar der Polizei war. Beamte der Görlitzer und der polnischen Polizei waren der Bande spätestens seit der zweiten Julihälfte 2016 dicht auf den Fersen. Sie beobachtete das kleine Gehöft in dem Straßendorf Trebus, wo die Familie unauffällig lebte. Nachbarn war lediglich aufgefallen, dass die Bewohner ihr Grundstück an manchen Tagen morgens sehr früh verließen und abends erst sehr spät nach Hause kamen.

Unterdessen hatten polnischen Kollegen auch den „Bunker“ in Zgorzelec gefunden, der offenbar schon seit einiger Zeit als Umschlagplatz für gestohlene Fahrräder diente. Am 3. August 2016 bereiteten deutsche und polnische Polizisten dem diebischen Treiben der Familie ein Ende.

Als Erich und Anna S. 20 Bikes aus ihrem „Bunker“ an einen polnischen Käufer verscherbeln wollten, wurden sie von polnischen Polizisten festgenommen. Zur selben Zeit durchsuchten Beamte der sächsischen Polizei das Haus der Familie und nahm die beiden Söhne fest. Der Prozess wird am 10. April fortgesetzt.