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Fabrikbesitzer begründete Staffelläufe

Stadtläufe haben eine lange Tradition. Schon vor über hundert Jahren wurden Staffel-Stäbe öffentlich in Görlitz übergeben.

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© Sammlung Menzel

Von Rainer Menzel

Görlitz. Staffelläufe haben ihren besonderen Reiz. Die Übergabe des Stabes an den nächsten Läufer, der nun die Verantwortung bis zur nächsten Übergabe trägt und mit seinem Können mit entscheidet über Sieg oder Niederlage, sind Höhepunkte im Wettkampfsport. Wehe, wenn der Stab bei der Übergabe durch Unachtsamkeit herunterfällt: Die ganze Mannschaft muss darunter leiden.

Mag der Großstaffellauf von Berlin nach Potsdam 1908 Pate gestanden haben, Görlitz zog jedenfalls nur wenig später nach. Es gab Läufe durch die Stadt, und viele Tausende Zuschauer verfolgten so ein Spektakel. Ein stadtbekannter Staffellauf, den man vermutlich als den Beginn bezeichnen kann, war der Arnade-Lauf. Paul und Margarete Arnade, jüdischstämmige Fabrikbesitzer aus dem Stadtteil Moys, waren die Namensgeber dieses Laufes. Die Arnades waren eine von den Mitarbeitern beliebte, weil sozial eingestellte Unternehmerfamilie, die in der Nazi-Zeit verleumdet wurde und im Konzentrationslager Theresienstadt 1942 umgebracht wurde. Ein Ausschuss für Leibesübungen organisierte den Lauf, der am Bahnhof gestartet wurde, durch die Stadt führte und auf dem Friedrichsplatz und später am neuen Schenckendorffplatz (heute in Zgorzelec) endete.

Ein Großstaffellauf fand zur Eröffnung des Schenkendorffplatzes 1922 vom Bahnhof aus hin zum neuen Stadion statt. Alle Gemeindeschulen, Gymnasien und Berufsschulen sowie die Görlitzer Vereine STC Preußen Görlitz, Gelb-Weiß Görlitz, Germania, Merkur sowie die vielen Turnvereine stellten Mannschaften, oft getrennt nach Männern und Frauen. Tausende Bürger säumten die Straßen. Die Mannschaften waren an ihren Trikots zu erkennen.

Während im Zweiten Weltkrieg der Sport zum Erliegen kam, wurde die Tradition der Großstaffelläufe nach 1950 fortgesetzt. Die demokratische Sportbewegung organisierte nach dem Sportverbot der sowjetischen Militäradministration wieder Wettkämpfe. Diese Großstaffelläufe wurden nun zum 1. Mai oder zum Jahrestag der DDR (7. Oktober) durchgeführt. Nun nahmen nicht nur Schulmannschaften teil, sondern auch die neu gegründeten Betriebssportgemeinschaften (BSG): Empor, Rotation, Vorwärts, Lokomotive, Turbine und Motor mit je einer Mannschaft. So startete man 1953 von der Innenstadt, meist auf der Elisabethstraße, durch die Stadt hindurch, und die Läufer übergaben den Stab am Goethedenkmal, sodass die Wettkämpfer die gesamte Goethestraße bis zum Haus der Jugend liefen, wo der nächste Wechsel war. Nun ging es den Weinberg hinunter ins Stadion, wo ein Rahmenprogramm organisiert war. In den 60er/70-er Jahren starteten die Läufer aller Oberschulen von der Schillerstraße aus durch die Stadt. Viele Zuschauer säumten die Straßen, da der 7. Oktober schließlich arbeitsfrei war. Dieses Großsportereignis wurde zur Tradition, bis aufgrund der Transitstrecke von und nach Polen in den 80er Jahren Rundenläufe im Stadion der Freundschaft stattfanden. In Vor- und Endläufen wurden die Sieger der Klassenstufen 5/6, 7/8, 9/10 der Görlitzer Polytechnischen Oberschulen ermittelt, die in ihrer traditionellen Sportkleidung von den vielen Zuschauern gut zu erkennen waren und angefeuert wurden. Auch während der Spartakiadewettkämpfe aller Schulen der kreisfreien Stadt und des Landkreises Görlitz fanden die mit Begeisterung ausgetragenen 4x100-, 4x400- und 4x800-m-Staffeln statt.

Kein direkter Staffellauf, aber ein großes Ereignis war in den 80er/90er Jahren der Freundschaftslauf polnischer und deutscher Läufer über die Stadtbrücke und den Inselweg an der Neiße in das Stadion der Freundschaft und nach Zgorzelec. Auch nach 1990 wurden solche Traditionen immer wieder mal weitergeführt.