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„Es macht süchtig“

Bekim Latifis Leidenschaft ist das Schauspiel. Sein Abi schloss er in Kamenz ab. Danach ging es steil nach oben.

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© Jeanne Degraa

Von Julemarie Vollhardt

Kamenz. Sein Name ist Bekim. Bekim Latifi. Der 23-Jährige verbrachte einen Teil seiner Kindheit und seine Jugend in Kamenz. Er besuchte die Grundschule am Forst und absolvierte sein Abitur am Gotthold-Ephraim-Lessing-Gymnasium. Für kurze Zeit ist er nun wieder hier, um seine Familie zu besuchen. In ein paar Tagen wird Bekim zurück nach Hamburg fahren und auf den Bühnen des Thalia Theaters seiner großen Leidenschaft nachgehen. Denn er ist Schauspieler und bereits jetzt festes Ensemblemitglied einer höchst renommierten Bühne Hamburgs. Interessant ist, wie er so schnell an die Spitze kam, was ihn noch erwartet und warum er seinen Beruf in vollen Zügen lebt. Wir haben ihn gefragt.

Mit 17 Jahren vor 350 Zuschauern

„Als Teenager war ich ein echter Filmnerd. Aber mich reizten keine Actionfilme oder Superhelden, sondern nur interessante Geschichten mit guten Schauspielern. Im Nachhinein war das schon ein Zeichen dafür, was ich später einmal machen würde. Meine Geschichte fing also mit der Begeisterung für den Film an.“ Bekim nickt selbstsicher. Als Teenager beschließt er dann auch, selbst einmal Spielen zu wollen. Seine erste Vorstellung gibt er mit 16 am „Theater Junge Generation“ in Dresden. Die Proben, Darbietungen und die Arbeit mit den Menschen machen ihm so viel Spaß, dass er unbedingt weitermachen will. Mit 17 spielt er dann in einer von der Bürgerbühne Dresden professionell aufgezogenen Inszenierung mit. Der junge Schauspieler erinnert sich an seine Aufregung: „Vor 350 Zuschauern zu spielen, war damals schon ein großes Ding für jemanden aus der 11. Klasse.“

Das Jahr nach dem Abitur verbringt er mit intensiver Vorbereitung auf das Vorsprechen an drei großen Schauspielschulen. „Vor Beginn des Vorsprechens an der Otto-Falckenberg-Schule in München habe ich gefühlt, dass ich so weit bin. Hatte eine gewisse Lebenserfahrung gesammelt und Tiefe erreicht. Die braucht man unbedingt, um bestimmte Rollen ausfüllen zu können.“ Innerhalb von fünf Tagen und in insgesamt drei Runden werden bei dem Vorsprechen aus unglaublich vielen jungen Talenten die Besten herausgepickt. „Aus meiner Endrunde hätte man alle annehmen können, die meisten anderen wurden letztendlich auch an anderen Schauspielschulen genommen. Alle waren sehr stark.“ Anerkennend zieht Bekim die Augenbrauen hoch. Der Übungsaufwand zahlt sich aus, er wird angenommen. Und so beginnt er mit neun anderen Auserwählten sein vierjähriges Studium an der Falckenberg-Schule in München.

Im dritten Jahr seines Schauspielstudiums wird Bekim von einem Dramaturgen des Thalia Theaters Hamburg entdeckt und für ein Casting eines Familienstücks eingeladen. Es läuft so gut, dass Bekim eine Woche danach einen Festvertrag des Thalia angeboten bekommt. Bekim weiß das zu schätzen. „Dieses Angebot war schon eine echte Ausnahme. Das Thalia ermöglicht eigentlich nur selten ein Vorsprechen für neue Anstellungen, und ich wurde unabhängig davon angenommen. Und das auch noch, obwohl nicht zwingend neue Schauspieler im Ensemble gebraucht wurden. Dazu bin ich der Jüngste am Thalia, der nächste ist dann schon 26 Jahre alt.“

Ein typischer Arbeitstag am Thalia Theater beginnt gegen 10.30 Uhr mit Proben für eine Inszenierung. Diese laufen bis 15 Uhr. Abends stehen Vorstellungen an, davor und danach müssen noch Texte gelernt, Sekundärliteratur gelesen und Rollen studiert werden.

Im Gegensatz zu dem Gerücht, dass Schauspieler ein entspanntes Leben hätten, bleibt Bekim nicht viel Zeit zum Ausruhen. Er entspricht eigentlich gar keinem gängigen Klischee. Weder verdient er zu wenig Geld, noch raucht er oder ist vor lauter Engagement-Lücken unausgelastet. Doch damit gehört Bekim einer Minderheit an. Denn er verbringt mit seiner schauspielerischen Karriere ein Leben, von dem unglaublich viele Menschen mit seinem Beruf nur träumen können. In Deutschland gibt es ungefähr 25 000 Schauspieler, von denen gerade mal 2 000 fest an einem Schauspielhaus angestellt sind. Im Gegenzug dazu gibt es 5 000 arbeitslose Bühnenkünstler und die restlichen 18 000 sind nur für jeweils ein Stück an einem Theater oder helfen sich mit Nebenjobs aus. Der Beruf des Schauspielers ist einfach extrem unsicher, dafür muss man geboren sein. Und das ist Bekim offenkundig auch. Er besitzt seiner Meinung nach drei Charaktereigenschaften, durch die er die anstrengende Arbeit sehr gut verträgt: eine gewisse Verrücktheit, große Spielfreude und die Besessenheit der Schauspielkunst. Zusammengefasst: Er brennt für das Schauspiel! „Man beschäftigt sich nur noch damit, gibt sich seiner Leidenschaft gänzlich hin und lebt vollständig für die Kunst.“.

Vom Leben im Moment

Der Reiz am Schauspielen liegt für ihn in zwei Dingen. Einerseits ist es der Reiz der Geschichten: „Man taucht in völlig fremde Welten ein, spielt etwas, das man niemals sein wird. Als Schauspieler wird man auch dafür bezahlt, dass man vielleicht sonderbare Rollen verkörpert. Dabei entdeckt man Seiten an sich selbst, die man so niemals gefunden hätte.“ Und andererseits liegt der Reiz in dem „Leben im Moment“, welches man heutzutage im Alltag kaum noch hat. „Menschen genießen nicht den Augenblick, den sie leben, sondern sind gedanklich bereits voraus. Im Theater ist man hingegen gezwungen, im Hier und Jetzt zu leben, sich also ständig mit allem neu auseinanderzusetzen und den Moment zu spielen.“ Bekim wirkt auf einmal aufgeregt und elektrisiert. Er erinnert sich: „Einmal fiel bei einer großen Aufführung die Musik zwischen dem Auftritt des vorherigen Spielers und mir aus. Ich musste binnen Sekunden entscheiden, ob ich auftrete oder nicht. Das kann man in Proben nicht üben. In solchen Momenten hasst man sich und die Welt, weil sie einen überfordert. Ich habe mich für den Auftritt entschieden. Der Kick, den ich dabei bekam, machte süchtig nach mehr. Und das Gefühl dabei wurde zum Denkwürdigsten in meiner Laufbahn.“

Doch eigentlich befindet er sich noch am Anfang seiner Karriere. Auf die Frage, was sein Plan für die Zukunft ist, antwortet er begeistert: „Am liebsten würde ich später alles machen: Theater, Hörspiel und Film. Der besondere Reiz, in einem Film mitzuspielen, wäre natürlich der Gedanke der Ewigkeit. Dass man in 100 Jahren immer noch lebendig ist. Das ist doch der Wahnsinn!“

Öfter ins Theater gehen

Seine großen Leinwandhelden sind unter anderem Al Pacino, Robert De Niro und Greta Garbo. Bekim antwortet auf die Frage, warum das alles amerikanische Film-Ikonen sind: „In Amerika wird das Spielen exzessiver betrieben, fast wie ein Wahn. Sodass man sich komplett einer Rolle unterwirft, sich ihr gänzlich unterordnet. Sie spielen ihre Rollen im realen Leben.“ Missmutig fügt er noch hinzu: „Leider verwechseln viele Menschen zum Beispiel Soap-Darsteller mit Schauspielern. Dabei könnte ein unausgebildeter, leidenschaftsloser GZSZ-Darsteller nicht weniger mit der Kunstform zu tun haben. Menschen sollten einfach öfter ins Theater gehen und insgesamt viel mehr offen sein für Kultur.“

Bekim brachte auch mich zum Nachdenken. Nicht nur darüber, mehr „im Moment“ zu leben und damit freier zu sein. Auch, mehr nachzudenken, sich mehr überfordern zu lassen, mehr Neues auszuprobieren oder einfach mal wieder in das Theater zu gehen und diesmal alles mit anderen Augen zu sehen.

Die Jugendredaktion der Kamenzer SZ spürt in ihrer selbstentwickelten Serie „Kunst – Kaff – Kamenz“ den künstlerischen Talenten von jungen Menschen nach.