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Erste Aussage im Infinus-Prozess

Der ehemalige Vorstand Jens Pardeike hat seine fünf Mitangeklagten im Kapitalanlagebetrugs-Prozess am Montag belastet. Er hatte schon sehr früh „kein gutes Bauchgefühl“.

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© dpa

Von Ulrich Wolf

Dresden. Wie ein Student vor dem Professor in der Diplom-Prüfung versucht Jens Pardeike, die bohrenden Fragen des Vorsitzenden Richters zu beantworten. Oft weicht er aus, meidet den Blickkontakt, starrt in seine Unterlagen. Der 48 Jahre alte Angeklagte im Kapitalanlageprozess um den Dresdner Finanzdienstleister Infinus spricht emotionslos, leise, ohne Gesten. Oft nuschelt er, manchmal zuckt er nur mit den Schultern. Und doch ergibt sich aus den bruchstückhaften Antworten ein Bild der Infinus-Gruppe, das wenig schmeichelhaft ist: keine durchdachte Strategie, keine effiziente Risikokontrolle, wenig Koordination bei den verantwortlichen Vorständen.

Zu diesen zählte auch Pardeike. Er war verantwortlich für das Geschäft mit den zuletzt 800 vertraglich gebundenen Vermittlern, entwarf Verkaufsprospekte und führte Verhandlungen mit der Finanzaufsicht.

Vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Dresden sagt er am Montag, bereits 2005 sei ihm der Verdacht gekommen, die Bilanzen des Finanzdienstleisters könnten nicht ganz korrekt sein. Zeitweise seien Testate für die Jahresabschlussbilanzen gefährdet gewesen. Ohne die In-sich-Geschäfte der Firmengruppe hätte es Verluste gegeben.

„Ich hatte schon früh ein schlechtes Bauchgefühl“, räumt der gebürtige Freitaler und ehemalige Berufsoffizier der Nationalen Volksarmee ein. Nach der Wende war er Finanzberater geworden, arbeitete zwischenzeitlich bei den Staatlichen Kunstsammlungen und ging 1995 zu einer der Infinus-Vorläuferfirmen des späteren Gründers Jörg Biehl. Von November 2013 bis Februar 2014 saß Pardeike in Untersuchungshaft, kam aber nach mindestens sieben Vernehmungen wieder auf freien Fuß. Heute arbeite er bei einer Hausverwaltung, vor allem im Bereich der Grünpflege, sagt der Ex-Manager. Im weißen Hemd sitzt er auf der Anklagebank, die zwei oberen Knöpfe sind offen. Fast sieben Stunden lang muss er reden.

Er sei immer wieder mal „drauf und dran gewesen, die Schlüssel abzugeben“. Doch das habe er den gebundenen Vermittlern und den Mitarbeitern nicht antun wollen. „Kurzfristig wäre für mich kein Ersatz zu finden gewesen.“ Deshalb sei er geblieben. Sein Vertrauen in den Hauptbeschuldigten Biehl sei spätestens seit Ende 2012 erheblich gestört gewesen. „Ich kam schweißgebadet nach Hause.“ Die Frage des Richters, ob das Infinus-Geschäftsmodell dem Schema linke Tasche, rechte Tasche entsprochen hätte, bejaht Pardeike.

Wer ist mit „man“ gemeint?

Man habe das nicht nachhaltig erwirtschaftete Geld gebraucht, um die Zinsversprechen zu erfüllen, die man den Anlegern gegeben habe. „Ohne Eigengeschäfte hätte man das schon 2008 nicht mehr geschafft.“ „Man“ sagt Pardeike oft. Selten ist klar, ob er damit sich selbst oder die anderen fünf Mitangeklagten meint. „Man musste sehr viel Geld für den Erhalt des Status quo aufbringen“, sagt er. Oder: „Mir war klar, dass man so nicht weitermachen konnte.“

Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats muss nachfassen, immer gleiche Fragen oft in andere Worte kleiden, Druck aufbauen. Zum Beispiel, als er Konkretes zur Geschäftsstrategie von Infinus wissen will: „Was hatten Sie mit dem Geld der Anleger vor?“ Pardeike stockt, sucht Hilfe bei seinem Anwalt. Tuscheln. „Wenn Sie mir das nicht erklären können, dann muss ich daraus schließen, dass Sie gar nicht wussten, was Sie mit dem vielen Geld machen sollten“, provoziert der Richter. Erst jetzt kommt eine deutliche Antwort: „Ich hielt das Modell für uneffektiv.“

So hakt Schlüter-Staats Punkt für Punkt ab. Es geht um Themen wie Deckungsstock, Rückkaufwerte, Risikovorsorge, Einlagensicherungsinstrumente, Überschussbeteiligung, Compliance. Mitunter sagt der Richter: „Das verstehe ich jetzt nicht, das müssen wir später noch einmal erläutern.“

Die Kommunikation ist zäh. „Hat man Gewinne gemacht?“, fragt Schlüter-Staats. „Was heißt Gewinne, man hat Erträge gemacht“, antwortet Pardeike. „Also Erlöse?“, fragt der Richter. „Man hat versucht, mehr Einnahmen als Ausgaben zu erzielen“, sagt Pardeike. „Also doch Gewinne?“, fragt der Richter. „Ja“, sagt der Angeklagte. Doch Angaben dazu, wie viel Geld genau Infinus bei den Anlegern sammeln wollte, vermag Pardeike nicht zu machen. „Ich kann nur schätzen, dass nach 2010 rund die Hälfte des eingesammelten Geldes gebraucht wurde, um die Zinsversprechen der älteren Verträge zu erfüllen.“ Zielrenditen habe er „nur überschlagsmäßig berechnet“. Das Eigengeschäft sei nur forciert worden, um höhere Provisionserträge für den Mutterkonzern Fubus zu generieren. „Das konnte auf Dauer nicht gut sein, denn das brauchte einen Haufen Liquidität.“

Pardeike kritisiert zudem das Zusammenspiel der Führungskräfte. Es sei zwar geplant gewesen, sich jeden Dienstag zu treffen, doch da „waren teilweise auch große Lücken drin“. Das sei alles relativ locker gewesen. „Manchmal hatte man sich auch nichts zu sagen.“

Je länger Pardeike redet, desto größer wird die Unruhe bei seinen früheren Infinus-Kollegen. Einige ihrer Verteidiger sehen in den Äußerungen Pardeikes „weder Fisch noch Fleisch“. Für die vorderen Zuschauerreihen deutlich vernehmbar, raunzt der ehemalige Aufsichtsrat Siegfried Bullin seinem Anwalt zu: „So ein Unsinn, was der erzählt.“

Die Staatsanwaltschaft wirft den sechs Ex-Managern vor, mit einem Schneeballsystem mindestens 22 000 Anleger betrogen zu haben. Das Gericht will 104 Zeugen hören, die Prozesstermine reichen bis weit in das nächste Jahr. Am kommenden Mittwoch soll weiterverhandelt werden.