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Endlich ab ins Ausland

Christian Avenarius wird neuer Chef des sächsischen Verbindungsbüros in Brüssel. Europa statt Mord und Totschlag.

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© Sven Ellger

Von Andreas Weller

Für Christian Avenarius geht ein Traum in Erfüllung. „Ich wollte schon immer mal im Ausland arbeiten“, so der derzeitige SPD-Fraktionschef im Stadtrat. Ab voraussichtlich 2. Mai ist sein Arbeitsort Brüssel. Avenarius übernimmt das Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen zum EU-Verwaltungszentrum in Belgien. Er wird sozusagen Europa-Lobbyist. Kritiker sagen, ihm fehle Erfahrung in Europa-Fragen.

„Ich werde alles tun, um meine Kritiker zu widerlegen“, erklärt Avenarius. „Ja, die Aufgabe ist für mich neu.“ Er werde alles tun, sie gut zu erledigen und auch Zweifler zu überzeugen. „Ich möchte dazu beitragen, Europa hier bekannter zu machen.“ Schließlich sei der europäische Gedanke wichtig. „Nur mit einem vereinten Europa kann es Frieden und Wohlstand für alle in Europa geben.“ Vieles hänge von der EU ab. Jeder profitiere davon, auch Dresden. Europäische Bestimmungen wie die zum Datenschutz betreffen jeden. „Die Stadtratsarbeit hat direkte Auswirkungen auf die Bürger“, so der SPD-Mann. „Fördergelder für Projekte in Dresden gibt es häufig aus Europa.“

Dass es nun, mit 58 Jahren, mit der Arbeit im Ausland klappt, sieht Avenarius positiv. Früher habe er es wegen der Kinder nicht gemacht. Seine Frau Susann und er haben insgesamt fünf, beide haben welche in die Ehe mitgebracht. Die Kinder sind längst erwachsen.

„Silvester haben meine Frau und ich gesagt, 2018 wird wohl mal ein ruhigeres Jahr, ohne große Veränderungen“, erzählt Avenarius. Dann kam wenige Tage später der Anruf von SPD-Landeschef und Vize-Ministerpräsident Martin Dulig. Der fragte Avenarius, ob er sich den Wechsel vorstellen könne. „Ich habe geantwortet, dass ich zunächst mit meiner Frau sprechen muss.“ Diese willigte ein und nun stehen doch größere Veränderungen an. „Ich denke, die ersten Tage werde ich in einem Hotel wohnen, mir dann eine möblierte Wohnung im Europaviertel mieten.“ Erst wenn seine Frau komplett nachkommt, wollen sie sich gemeinsam eine Wohnung suchen. Bis dahin heißt es, häufig pendeln. Gut drei Stunden dauert es mit dem Flugzeug, mit dem Zug sind es mehr als acht Stunden.

Nun ist der Wechsel offiziell. Was Avenarius in Brüssel genau erwartet, weiß er noch nicht. 15 Mitarbeiter hat das Büro. Sie informieren die sächsische Regierung darüber, was in Europa gerade läuft. Sie stellen Kontakte her, um möglichst viele Fördermittel nach Sachsen zu lotsen. Denn jedes Bundesland hat dort ein solches Büro, insgesamt sind dort mehr als 200 Regionen, gut 2 500 Firmen, Verbände und Institutionen vertreten. Davon sollen auch sächsische Firmen profitieren. „Ich will mich dort für die Staatsregierung nützlich machen“, so Avenarius. „Aber ich gehe das an, wie alle bisherigen Aufgaben, schaue mir das in Ruhe an und höre zu.“

Bis zu seiner Abordnung bleibt Avenarius Oberstaatsanwalt, zuständig für Kapitaldelikte, also Mord und Totschlag. Da wird Brüssel eine drastische Veränderung. „Nach über 27 Jahren in der sächsischen Justiz gehe ich mit Wehmut, auch wenn ich mich auf die neue Aufgabe sehr freue. Es gibt viele Kollegen, die ich vermissen werde.“ Auch im Stadtrat gebe es Personen, denen Avenarius sich verbunden fühle.

Der gebürtige Münchner hält sich für die neue Aufgabe durchaus für geeignet. „Weil ich nicht so schlecht auf andere zugehen und mich in neue Sachverhalte einarbeiten kann.“ Für die Stadtratsfraktion der SPD bedeutet der Wechsel, dass sie eine neue Führung wählen muss. Avenarius war seit 2015 Fraktionschef. Erfolge habe er nie persönlich, sondern in der Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen erreicht. „Am wichtigsten war, dass wir mit Linken und Grünen zusammengehalten haben, als Dresden am meisten gespalten und in einer Krisensituation war.“ Gemeint ist die Zeit, als 2015 aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen schnell Unterkünfte geschaffen werden mussten. „Da haben wir den Oberbürgermeister unterstützt, und ich hatte den Eindruck, wir tragen die Verantwortung ohne die CDU.“ Überhaupt habe sich die Kooperation von Rot-Grün-Rot für Dresden gelohnt. „Wir haben den zentralen Kurs bestimmt, Haushalte beschlossen und eine neue Wohnungsbaugesellschaft WID gegründet.“

Wenn es nach Avenarius gehe, könne die Zusammenarbeit auch nach der Wahl 2019 fortgesetzt werden, wenn es eine Mehrheit dafür geben sollte. „Vielleicht reicht auch eine Zusammenarbeit in einigen wichtigen Punkten.“ Generell sei die SPD aber auch offen für andere Parteien – außer AfD und NPD. „So etwas ist immer eine Zusammenarbeit auf Zeit.“

Fehler in der politischen Arbeit gesteht Avenarius auch ein. „Am Anfang war ich etwas zu naiv. Und vielleicht hätte ich noch häufiger versuchen sollen, andere zu überzeugen.“ Avenarius meint die CDU bei Themen wie der WID, Asyl und dem Programm für ein weltoffenes Dresden. Im regelmäßigen Richtungsstreit in der eigenen Fraktion habe er sich häufig gefragt, ob das sein „Führungsversagen“ sei. „Bei fundamentalen Fragen wie dem Bettelverbot für Kinder ist es aber nicht schlimm, unterschiedlicher Meinung zu sein.“ Das müsse man als Wert verstehen.